Ein Staat im Blindflug
Ein Budget mit vielen Fragezeichen, wirtschaftliche Hilfe, die nicht ankommt: Der schwierige Blindflug der Regierung durch die Coronakrise.
Natürlich ist es eine Missachtung des Parlaments. Der Finanzminister legt dem Hohen Haus ein Budget für 2020 vor, von dem er selbst sagt, dass alle darin enthaltenen Zahlen falsch sind, und verlangt von den 183 Abgeordneten, diesen Stapel Altpapier zu beschließen. Die Hoheit über die Staatsausgaben, die Bewilligung und die Kontrolle des Budgets, ist eines der zentralen Rechte eines Parlaments in einer Demokratie (auch wenn es in der gelebten Praxis ein eher theoretisches Recht ist).
Kein Wunder, dass die Opposition die gestrige Budgetdebatte in seltener Einigkeit für einen massiven Angriff auf die Regierung nutzte, von einem „Fake-Budget“und einem „Mistkübel-Budget“sprach und die Neos der ÖVP/Grünen-Koalition sogar vorwarfen, die „Entmachtung des Parlaments“voranzutreiben.
Überraschend ist, dass Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und den sonst so perfekt organisierten türkisen Beratern mit ihrem guten Gespür für Themen ein solcher Fehler passiert ist. Denn alles, was Blümel hätte machen müssen, ist, die an die EU übermittelte, aktualisierte Budgetschätzung auch in Kopie an das Parlament zu schicken. Auch diese Zahlen werden am Ende des Jahres mit großer Wahrscheinlichkeit nicht stimmen, aber Blümel würde dem Nationalrat nicht das Gefühl geringer Wertschätzung vermitteln. Und es würde dem Parlament gegenüber auch den Respekt zeigen, den diese Einrichtung gerade in Zeiten wie diesen dringend notwendig hat.
Dass es eine schwierige Budgetsituation ist, darüber muss man nicht diskutieren. Die Bandbreite der Schätzungen, um wie viel die Wirtschaftsleistung in Österreich aufgrund der Coronakrise heuer schrumpfen wird, reicht von 3,2 bis neun Prozent. In Zahlen ist das ein Minus von etwa 13 bis 36 Milliarden Euro. Die Staatseinnahmen werden nach einer Schätzung des Wifo um 11,5 Milliarden Euro sinken. Könnte aber auch mehr sein, könnte aber auch weniger sein.
Dazu kommen die Hilfszahlungen in Höhe von 38 Milliarden Euro, von denen man noch immer nicht weiß, ob sie gemäß dem Koalitionsmantra „Koste es, was es wolle“überhaupt genügen werden. Bisher ist zwar erst wenig Geld geflossen (siehe Seite 1), die große Abrechnung kommt aber erst noch.
Die Betriebskostenzuschüsse – budgetiert mit 15 Milliarden Euro – können beispielsweise erst seit vergangener Woche beantragt werden und die Kurzarbeit wird im Nachhinein abgerechnet: Allein die bisher genehmigten Anträge machen schon zwölf Milliarden Euro aus – für einen Zeitraum von drei Monaten. Und die Kurzarbeit kann noch einmal um drei Monate verlängert werden. Die von manchen geplante Kürzung der Zahlungen (ein Arbeitnehmer verliert maximal 20 Prozent seines Gehalts) wird es nicht geben.
Dass es bei der Auszahlung der Hilfen teilweise zu Fehlern kommt, zu Verzögerungen, dass die Beantragung manchmal zu bürokratisch ist, das gestand sogar Blümel ein. Wenn ein Unternehmer aus dem Härtefallfonds 38 Euro erhält, fühlt er sich zu Recht gefrotzelt.
Was ist die Alternative? Überweisungen ohne jegliche Kontrolle? Die Finanzpolizei fand bei Schwerpunktkontrollen der Kurzarbeit in jedem zehnten Fall Hinweise auf Missbrauch. Und es gibt zweifellos etliche Unternehmen, die sich mit der Coronahilfe länger über Wasser halten, als es ihnen sonst wirtschaftlich möglich wäre.
Wenn man ein „Koste es, was es wolle“in die Welt hinausposaunt und damit überzogene Hoffnungen weckt, dann ist die Enttäuschung bei den Betroffenen umso größer, wenn sie eben nicht in staatlichen Förderungen untergehen.
Wichtig ist jetzt, die Wirtschaft schnell zu beleben, weil man fehlende Umsätze nicht auf Dauer mit Staatsgeldern ersetzen kann. Dafür braucht es nicht nur Steuersenkungen, sondern vor allem Deregulierungen. Man muss den Unternehmen die Möglichkeit geben, Geschäft zu machen – ohne veraltete Gewerbevorschriften und ohne strenge bürokratische Auflagen. Wenn man das – endlich – schafft, hat diese Krise sogar etwas Gutes.
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