„Es gibt mit Ach und Krach 1500 Milizsoldaten“
Interview. MilizverbandsPräsident Michael Schaffer über die Lehren aus dem Einsatz der Miliz: 40 Prozent Befreiungen seien absurd. Und es werde nicht geübt.
Die Presse: Angesichts der Entwicklung der Coronazahlen: Ist der Einsatz der Miliz überhaupt notwendig?
Michael Schaffer: Es war richtig, zum damaligen Zeitpunkt die Miliz mobil zu machen. Es ist aber erfreulich, dass sich die Zahlen so gut entwickeln, daher kann man es auch früher auslaufen lassen. Man muss die Leute nicht krampfhaft da behalten.
Wie beurteilen Sie den Einsatz?
Man hat gesehen, wie die ganze Gerätschaft aus ganz Österreich zusammengesucht wurde. Das funktioniert alles nicht, weil die Verantwortlichen nie damit gerechnet haben, dass die Miliz wirklich einmal eingesetzt wird.
Was genau funktioniert nicht?
Vom Gesetz her haben wir 30.000 verfügbare Milizsoldaten. Es wurde immer so getan, als ob es diese gibt. Tatsächlich gibt es mit Ach und Krach 1500.
Das würde bedeuten, alle Milizsoldaten sind jetzt tatsächlich im Einsatz? Da muss es doch mehr geben.
Es gibt nicht mehr. Alles, was da in den Broschüren vorgegaukelt wird, stimmt nicht. Von den jetzt eingesetzten Soldaten gehören zwei Drittel gar nicht zur beorderten Miliz, das sind Präsenzdiener, die in den letzten fünf Jahren abgerüstet sind, auf diese kann man laut Gesetz zurückgreifen.
Und die vom Ministerium angegebenen 30.000 Personen sind frei erfunden?
Das sind überwiegend Karteileichen, Leute, die ewig nicht geübt haben. Das System wird mit Karteileichen und Scheinbeorderten aufrecht erhalten. Das Milizsystem, wie es die Verfassung vorgibt, gibt es gar nicht. Das schon deshalb, weil wir nicht einmal Übungen haben. Kein Mensch käme auf die Idee, eine Feuerwehr einzusetzen, die nicht übt.
Was könnte besser laufen?
In der Schweiz hat es drei Tage gedauert und 95 Prozent sind gekommen. Und die Schweiz sollte ja unser Vorbild sein.
Die Vorlaufzeit war also zu lang?
Es war so geplant, es sind ja auch die Präsenzdiener verlängert worden. Aber man muss auch sehen: Das ist ja kein richtiger militärischer Einsatz, sondern ein Assistenzeinsatz. Bei einem militärischen Milizeinsatz kann man nicht davon ausgehen, dass man drei Monate Zeit hat und die Leute drei Wochen einschulen kann.
Drei Tage wie in der Schweiz wären bei uns nicht möglich?
Derzeit nicht, weil es weder die Leute gibt, noch das System vorbereitet ist, noch die Ausrüstung vorhanden ist.
40 Prozent der Einberufenen haben sich befreien lassen. Zu viele?
Angesichts der Entwicklung ist es nachvollziehbar – sowohl bei denen, die sich befreien lassen wollen, als auch bei denen, die befreien. Ansonsten wäre es völlig absurd und unakzeptabel.
Welche Lehren muss man aus dem aktuellen Einsatz ziehen?
Das Wichtigste ist: Es muss wieder fixe Übungen geben.
Aber genau da gibt es politisch einen weitgehenden Konsens, dass das nicht kommt. Aber dann muss man auch die Konsequenzen ziehen und das Milizsystem abschaffen. Eine Miliz ohne Übungen ist keine Miliz. Man müsste den Wehrdienst ja gar nicht verlängern, es müssten auch nicht alle Präsenzdiener zu Übungen verpflichtet werden. Da gibt es Gestaltungsspielräume. Aber das wird auch vom Aktivstand torpediert.
Warum?
Da gibt es eine gewisse Konkurrenzsituation. Laut Gesetz sind die Berufssoldaten jene Truppe, die die Einsatzarmee bewirtschaften soll. Diese bemächtigen sich des ganzen Budgets, und für die Einsatzarmee bleibt nichts übrig.
Es gibt zu viele Berufssoldaten?
Der Präsenzstand ist eindeutig zu groß.
Aber jetzt gäbe es eine Chance: In den nächsten Jahren gehen 8000 bis 9000 Leute in Pension, die Chance kann man nützen und umgestalten. Es reicht, jeden zweiten nachzubesetzen und dafür den Milizstand auszubauen.
Wird es dann billiger? Die Miliz kostet ja auch etwas.
Der Vorteil der Miliz ist: Ich bekomme Manpower, wenn ich sie brauche. Im Krisenfall kann ich einen viel höheren Personalstand haben als ein Berufsheer. Der Einsatz kostet etwas, aber ohne Folgekosten, etwa für Pensionen. Ein Ausbau der Miliz würde die Personalkosten reduzieren. Bei den Sachkosten wird es nicht billiger, der Nachholbedarf bei der Ausrüstung bleibt bestehen.