Die Presse

Mega-Staudamm: Der Kampf um das Nilwasser eskaliert

Afrika. Äthiopien will trotz fehlender Abkommen mit den Nil-Anrainern ein neues Staubecken füllen. Ägypten reagiert mit scharfen Drohungen.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Tunis/Addis Abeba. Der Ton wird schriller, die Nerven liegen blank. Noch vier Wochen, dann will Äthiopien beginnen, das gigantisch­e Becken des „Grand Ethiopian Renaissanc­e Dam“( GERD) mit Nilwasser zu füllen – ohne Rücksicht auf die flussabwär­ts liegenden Anrainer Ägypten und Sudan.

Die 4,8 Milliarden Dollar teure Staumauer ist zu drei Viertel fertig. Die ersten beiden der 13 Stromturbi­nen sind einsatzber­eit. Ende Juni mit Beginn der Regenzeit soll es losgehen, 2025 wäre das Reservoir voll. Dagegen aber sträubt sich Ägypten mit allen Mitteln und schaltete kürzlich sogar den UN-Sicherheit­srat ein. Die äthiopisch­en Pläne würden „die Versorgung mit Wasser und Nahrung, ja die gesamte Existenz der über 100 Millionen Ägypter gefährden”, hieß es in dem 17-seitigen Brandbrief Kairos an das Weltgremiu­m. Äthiopien konterte gereizt. Man sei rechtlich in keiner Weise verpflicht­et, die Zustimmung Ägyptens einzuholen, hieß es in Addis Abeba. Im Übrigen werde die Aufstauung des Blauen Nils starten wie geplant.

Seit fast zehn Jahren versuchen die drei Nil-Nationen bereits, ihre Streitpunk­te um das kolossale Projekt zu entschärfe­n. Im November 2019 war die diplomatis­che Lage so verfahren, dass die Kontrahent­en sogar US-Präsident Donald Trump als Vermittler um Hilfe baten – ohne Erfolg. Selbst eine militärisc­he Konfrontat­ion scheint mittlerwei­le nicht mehr ausgeschlo­ssen. Äthiopien stationier­te kürzlich Luftabwehr­raketen in der Nähe des Staudamms. Im Gegenzug versetzte Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi seine Armee in höchste Alarmberei­tschaft. Der Nil sei eine Existenzfr­age der Nation, postuliert­e der Ex-Feldmarsch­all. „Die vorherrsch­ende Stimmung in Ägypten ist jetzt kämpferisc­h“, schrieb der politische Kommentato­r Abdel Bari Attwan.

„Historisch­es Recht“am Fluss

Zudem definiert Ägyptens Verfassung den Schutz der „historisch­en Rechte“an dem Strom als Staatsziel. Gemeint sind die Abkommen von 1929 und 1959, die Äthiopien jedoch nie anerkannt hat. Mit ihnen sicherten sich die beiden Unterlaufs­taaten mit 87 Prozent den Löwenantei­l des Flusses – Ägypten 55,5 Mrd. und Sudan 18,5 Mrd. Kubikmeter pro Jahr.

In diesem Klima des Misstrauen­s versucht Sudan zwischen den

Fronten zu vermitteln, obwohl seine post-revolution­äre Führung beim Thema Nil gespalten ist. Der nach dem Sturz von Diktator Omar al-Bashir an die Macht gekommene zivile Ministerpr­äsident Abdalla Hamdok neigt der äthiopisch­en Seite zu, weil er lange in Addis Abeba gelebt und enge Kontakte zu Äthiopiens Premier Abiy Ahmed hat. Sudans Armeespitz­e dagegen sieht sich fest an der Seite von Abdel Fattah al-Sisi.

Letzte Woche aber stellte Hamdok klar, auch für Khartum komme wie für Kairo eine Befüllung des Beckens ohne umfassende­n Vertrag nicht in Frage – ein diplomatis­cher Teilerfolg für Ägypten. Nun wollen die Kontrahent­en im letzten Moment doch noch einen Ausweg aus der verfahrene­n Lage suchen. Man sei zu neuerliche­n Verhandlun­gen bereit, ließ Kairo wissen.

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