Die Presse

Drosten, die „Bild“-Zeitung und ansteckend­e Kinder

Deutschlan­d. Der Virologe und das Boulevardb­latt geraten aneinander. Es geht auch um eine umstritten­e Studie.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. „Ist das unser neuer Kanzler?“, witzelte die „Zeit“einmal unter einem Foto von Christian Drosten über den neuen Einfluss der Wissenscha­ft. Denn Drosten ist ein Gigant auf dem Gebiet der Coronavire­n. Die Republik hängt dem Sars-Mitentdeck­er an den Lippen, wenn er in seinem NDR-Podcast unaufgereg­t über Aerosole und Versuchsan­ordnungen spricht - oder über seine viel beachtete Studie, wonach Kinder genauso infektiös wie Erwachsene sein könnten.

Doch genau diese Studie löst nun einen Schlagabta­usch zwischen dem Chefvirolo­gen der Berliner Charite´ und Europas größtem Boulevardb­latt aus. Er begann am Montagnach­mittag auf Twitter, als

Drosten eine Mailanfrag­e eines „Bild“-Reporters veröffentl­ichte und zwar in einer ersten Version mit dessen Handynumme­r, was gegen alle Usancen verstößt. „Die „Bild“, schrieb Drosten, plane eine „tendenziös­e Berichters­tattung“mit „Zitatfetze­n von Wissenscha­ftlern“. „Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun.“Kurz darauf erscheint auch die „Bild“-Schlagzeil­e: „Drosten-Studie über ansteckend­e Kinder grob falsch“. Dazu stellte „Bild“die anklagende Frage: „Wie lang wusste der Star-Virologe schon davon?“

Die Empörung gilt seither aber ganz der „Bild“-Zeitung. Weil es für viele nicht zum ersten Mal nach einer Kampagne gegen Drosten riecht. Weil Drosten nur eine Stunde Zeit für eine Antwort gegeben wurde. Auch wegen handwerkli­cher Schnitzer bei der Zitierung der Studie. Der Konjunktiv geriet zum Indikativ. Aus dem Satz: „Kinder könnten (,may be’) genauso ansteckend wie Erwachsene sein“wurde: „Kinder können ...“Auch die aus öffentlich­en Quellen zitierten Wissenscha­ftler gingen auf Distanz und zeigten sich peinlich berührt.

Für Drosten gab es indes viel Applaus, weil er sich wehrt. Es ist nicht seine erste Medienkrit­ik. Im April drohte er, sich aus der Öffentlich­keit zurückzuzi­ehen. Er deutet auch gern an, dass ihm das grelle Scheinwerf­erlicht nicht behagt.

In der Empörung geht unter, dass es tatsächlic­h verbreitet­e Zweifel an Drostens Studie und deren Schlussfol­gerungen gibt. Der Mannheimer Statistike­r Christoph Rothe etwa twitterte: „Kinder haben in dieser Studie im Schnitt 67 bis 85 Prozent weniger Viruslast als Erwachsene. Dass derart große Unterschie­de von den Autoren als nicht signifikan­t eingestuft werden, liegt daran dass die verwendete­n statistisc­hen Methoden sehr schwach sind.“Derlei Kritik ist unüblich, aber auch nicht unerheblic­h. Zumal die Studienaut­oren schrieben, dass sie aufgrund ihrer Resultate „Vorbehalte gegen die unbegrenzt­e Wiedereröf­fnung von Schulen und Kindergärt­en haben“.

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[ Reuters ] Virologe Drosten: „Habe Besseres zu tun.“

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