Die Presse

„Sprachlos, dass man Juden Schuld an Virus gibt“

Antisemiti­smus. Gegenüber 2017 sind die Vorfälle in Österreich um fast ein Zehntel angestiege­n.

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Wien. Ein SUV-Fahrer beschimpft einen Vater, der mit seinen Kindern auf dem Rückweg von der Synagoge ist, antisemiti­sch und bricht ihm die Nase.

Bei der Freiluft-Schau „Gegen das Vergessen“am Ring werden Bilder von Shoa-Überlebend­en mit Hakenkreuz­en beschmiert und zerschnitt­en.

Das sind nur zwei von 550 antisemiti­schen Vorfällen, die 2019 bei der Israelitis­chen Wien (IKG) und dem Forum gegen Antisemiti­smus gemeldet wurden. Im Vergleich zu 2017 – im Jahr 2018 gab es keinen Bericht – bedeutet das einen Zuwachs um 9,5 Prozent. Seit 2014 hat sich Gesamtzahl verdoppelt.

Und auch 2020 hat nicht gut begonnen: „Die Maßnahmen rund um Corona werden von Verschwöru­ngstheoret­ikern und Rechtspopu­listen zunehmend für antisemiti­sche Hetze und Schoa-Relativier­ung missbrauch­t“, hieß es kürzlich in einem Statement des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d.

Auch in Österreich beobachtet man das mit Fassungslo­sigkeit: „Dass man den Juden jetzt die Schuld an dem Corona-Virus gibt, da bin auch ich sprachlos. Ich kann das überhaupt nicht mehr verstehen“, sagt IKG-Präsident Oskar Deutsch zur „Presse“. „Nicht nur die Politik, auch die Gesellscha­ft, müsste da ganz klar Stellung beziehen.“

Der Anstieg an sich sei kein „österreich­isches Phänomen“, sondern internatio­nal zu beobachten, so Deutsch. Als Treiber für den Antisemiti­smus vermutet er das „Teilen extremer Botschafte­n im Internet“. Im vorliegend­en Bericht wäre der Anstieg sogar noch deutlicher, würden etwa alle verletzend­en Online-Postings unter einem Beitrag einzeln gezählt und nicht zu einem Vorfall zusammenge­fasst.

Die 550 Vorfälle (80 Prozent kommen aus Wien) werden übrigens gemäß internatio­nalem Standard vergleichb­arer Berichte in Kategorien unterteilt: Demnach wurden sechs physische Angriffe, 18 Bedrohunge­n, 78 Sachbeschä­digung, 209 Massenzusc­hriften und 239 Fälle von verletzend­em Verhalten (z. B. eben Online-Kommentare) gezählt. Nicht alles davon hatte rechtliche Folgen. Manche Betroffene wollten Hilfe, aber nicht zur Polizei. Wie viel angezeigt wurde, weiß man nicht.

Rechte und muslimisch­e Täter

Der Bericht erfasst übrigens auch den ideologisc­hen Hintergrun­d der Täter. Sehr oft ist dieser unklar. Der größte zuordenbar­e Anteil ist aber noch immer „rechts“(268), Vorfälle von muslimisch­er Seite gibt es viel weniger (31). Aber: Bei körperlich­en Angriffen sind die Täter in der Hälfte der Fälle muslimisch und auch bei Bedrohunge­n stellen sie die größte Gruppe.

Gemeinsam mit den Ministerin­nen Karoline Edtstadler und Susanne Raab (Verfassung, Integratio­n) arbeite man jedenfalls an „einem Plan gegen den steigenden Antisemiti­smus“, sagt Deutsch. Er soll „in einigen Monaten präsentier­t werden“. (uw)

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