Privat- und Firmenpleiten: Die Ruhe vor dem Sturm
Insolvenzen. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen und Ausgangsbeschränkungen zu Beginn der Coronakrise haben bisher verhindert, dass sich Personen und Unternehmen insolvent melden. Doch die „zweite Welle“wird kommen.
Wien. Seit Ausbruch der CoronaPandemie gingen die Privat- und Firmeninsolvenzen in Österreich so stark zurück wie schon lange nicht mehr. Zwischen 16. März und 11. Mai – also in der Phase der Ausgangsbeschränkungen – meldeten sich rund 77 Prozent weniger Personen und 64 Prozent weniger Unternehmen pleite als im Vorjahreszeitraum. Das ergeben die jüngsten Zahlen des Gläubigerschutzverbands Creditreform.
Auf den ersten Blick lassen die Ergebnisse zweierlei Schlüsse zu – einen positiven und einen negativen. Der Positive: Die Hilfsmaßnahmen der Regierung wirken, die Menschen und Unternehmen halten sich dank der Zuschüsse, staatlich garantierten Krediten und den Stundungen bei Steuern und Kreditrückzahlungen über Wasser.
Der Negative: Die Pleitewelle wurde nur zeitlich nach hinten verschoben. Sobald die Hilfen auslaufen, aus Kurzarbeit Arbeitslosigkeit wird und Kredite zurückgezahlt werden müssen, wird die Krise noch stärker einschlagen als nach dem ersten Schock der Ausgangssperren. Die Realität wird dazwischen liegen – wobei man ganz klar davon ausgehen muss, dass die Insolvenzen in den kommenden Monaten zulegen werden.
Schlimmer als die Finanzkrise
„Die entscheidende Frage ist, wie es jetzt weitergeht. Wenn die Arbeitslosigkeit weiter so hoch bleibt, dann werden wir zeitverzögert eine neue Welle an Privatinsolvenzen erleben. Die könnte schon im Herbst losgehen“, sagt Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer der Creditreform. Das genaue Ausmaß sei schwer abschätzbar, aber wenn man einen Vergleich zur Finanzkrise von 2008 ziehen wollte, wäre der damalige Anstieg der Insolvenzen von rund zehn Prozent „die untere Kante“, sagt Weinhofer.
Der Creditreform-Geschäftsführer erklärt die niedrigen Insolvenzzahlen seit Mitte März so: Privatpersonen melden sich selten insolvent, ohne zuvor ein Beratungsgespräch wahrgenommen zu haben – und das war in den Wochen der Ausgangssperre nicht möglich. „Per Mail meldet sich niemand pleite“, sagt Weinhofer.
Zudem waren auch der Gerichtsbetrieb der Bezirks- und Landesgerichte eingeschränkt, was dazu geführt hat, dass in weniger Fällen ein Insolvenzverfahren eröffnen werden konnte.
Darüber hinaus wurde die Antragsfrist, in der Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen müssen, sobald sie herausfinden, dass sie zahlungsunfähig sind, von 60 auf 120 Tage verlängert.
Ähnliche Erleichterung gibt es auch in der Bankbranche im Bezug auf notleidende Kredite: In bestimmten Fällen können Banken die 90-tägige Frist überschreiten, in der Kredite als notleidend eingestuft werden müssen.
Insolvenzen nur verzögert
„Es ist fast unmöglich, zu erwarten, dass das nicht nachgeholt wird, was derzeit aufgeschoben wird“, sagt Martin Kocher, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS). Es war klar, dass die staatlichen Maßnahmen – vor allem die Stundungen – viele Insolvenzen verhindern würden, aber im zweiten Halbjahr dürfte es zu einem deutlichen Anstieg kommen, sagt Kocher. Wann genau und wie hoch er ausfallen wird, sei noch unklar, aber er sei unausweichlich.