Warum die Wälder immer noch weniger werden
Ökologie. Aufforsten wäre ein Königsweg zum Klimaschutz. Doch die globale Netto-Waldfläche sinkt weiter. Zwei Studien liefern eine verblüffend simple Erklärung: Man hat die Rechnung ohne die kleinen Bauern und Landbesitzer in tropischen Regionen gemacht.
Der frohen Botschaft lauschte man gerne: Eine weltweite Aufforstung kann die Erderwärmung stoppen. Wenn wir jene Flächen (wieder) bewalden, die wir nicht für die Landwirtschaft oder als Siedlungsraum benötigen, lässt sich der CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf das Niveau von vor einem Jahrhundert reduzieren. Es geht um eine Fläche, die in etwa jener der USA entspricht. Das war, im vorigen Sommer, das Ergebnis von Berechnungen an der ETH Zürich – und ein Blattaufmacher der „Presse“.
Noch läuft die Entwicklung aber weiter in die Gegenrichtung: Auch im abgelaufenen Jahrzehnt ist die Netto-Waldfläche (also der Saldo aus Bestand, Entwaldung und Aufforstung) gesunken, um fast die Fläche Spaniens. Das gab die FAO (die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft) vor kurzem in ihrem Fünfjahresbericht bekannt. Immerhin verlangsamt sich der Nettoverlust in Summe. In Südamerika hat er sich halbiert, in Afrika hingegen intensiviert sich der Raubbau, und die vergleichsweise spärlich wachsenden Waldflächen in Asien, Europa und Nordamerika machen das nicht wett. Erst recht nicht beim Artensterben: Die Nutzholzplantagen der Nordhalbkugel sind für die Biodiversität weit weniger kostbar als tropische Regenwälder. Dabei schien sich doch die Menschheit einig zu sein, dass deren Schutz Priorität hat. Davon zeugen Dutzende Initiativen, Protokolle, Absichtserklärungen und Selbstverpflichtungen großer Unternehmen aus den letzten 30 Jahren. Irgendetwas ist schief gelaufen. Aber was?
Monopoly des Regenwalds
Eine internationale Studie unter Beteiligung des IIASA in Laxenburg gibt darauf eine nur scheinbar triviale Antwort (One Earth, 25.5.): Man hat die Rechnung ohne die Bauern und Landbesitzer vor Ort gemacht. Sie handeln auf kurze Sicht völlig rational, wenn sie Wälder durch Brand roden – in Südamerika, um Soja anzubauen oder Vieh zu weiden, in Ozeanien, um Palmöl zu ernten, und in Afrika, wo die Bevölkerung stark wächst, um mit Subsistenzwirtschaft zu überleben. Kontrollen sind teuer, Verbote leicht zu umgehen, zumal in Ländern mit schwach entwickeltem Rechtsstaat. Soll man den kleinen
Akteuren mit Moral kommen, sie auf eine „gemeinsame Vision“einschwören? Das ist aus Sicht der Forscher sinnlos, weil sich Werte zu langsam ändern, im Zeitmaß von Generationen. Besser wäre, sie einzubinden, ihnen zuzuhören und ein gemeinsames Verständnis der Fakten zu gewinnen. Als Werkzeug dazu schlagen die Autoren strategische Spiele vor – eine Art „Monopoly des Regenwalds“also –, an denen sich alle Akteure beteiligen, von Kleinbauern über Politiker bis zu Umweltaktivisten, um aus dem Verlauf und Ergebnis Lehren zu ziehen.
Ein Brettspiel soll die Welt von der Klimakatastrophe retten? Das klingt abstrus. Aber die Idee gewinnt an Plausibilität, wenn man eine zweite, viel konkretere Studie liest. Benedict Probst von der Universität Cambridge untersucht darin die Effekte des brasilianischen Programms „Terra Legal“(in Nature Sustainability, 25.5.).
Der Hintergrund: Viele Farmer siedelten sich im Amazonasgebiet auf staatlichem Boden an. Man versprach ihnen ab 2008, ihren Besitz zu legalisieren, wenn sie zehn Jahre lang Umweltauflagen erfüllen, vor allem 80 Prozent des Waldes bewahren. Entgegen den
Erwartungen hat das Programm die Entwaldung auf diesen Flächen weiter beschleunigt. Warum? Es passierte das, was man bei Landreformen sonst als segensreich erlebt: Die Kleinbauern wurden durch die gesicherten Besitzverhältnisse kreditwürdig, damit lohnten sich Investitionen in Vieh und Saatgut. Sie rodeten auf jeden Fall das Fünftel an Wald, das ihnen erlaubt war. Und viele schlugen oder brannten mehr, weil sie in entlegenen Gebieten wohnen, wo eine Kontrolle von Kleinflächen kaum möglich ist.
Anders als bei Großgrundbesitzern, deren riesige Rodungen auf Satellitenbildern gut sichtbar sind. Ihretwegen ging in Südamerika der Raubbau bis vor kurzem stark zurück: Das Gesetz ließ sich umsetzen, die Großgrundbesitzer stellten sich darauf ein. Wegen ihrer Dominanz aber hat Brasilien eine extrem hohe soziale Ungleichheit. Zudem werden sehr große Flächen meist weniger produktiv bewirtschaftet. Damit spießen sich hier Umweltschutz und wirtschaftlichsoziale Ziele. Im Nachhinein klingt das alles logisch, aber vor 15 Jahren hat diese Zusammenhänge niemand gesehen. Vielleicht hätte ja ein Spiel sie schon damals aufgezeigt . . .