Die Presse

Warum die Wälder immer noch weniger werden

Ökologie. Aufforsten wäre ein Königsweg zum Klimaschut­z. Doch die globale Netto-Waldfläche sinkt weiter. Zwei Studien liefern eine verblüffen­d simple Erklärung: Man hat die Rechnung ohne die kleinen Bauern und Landbesitz­er in tropischen Regionen gemacht.

- VON KARL GAULHOFER

Der frohen Botschaft lauschte man gerne: Eine weltweite Aufforstun­g kann die Erderwärmu­ng stoppen. Wenn wir jene Flächen (wieder) bewalden, die wir nicht für die Landwirtsc­haft oder als Siedlungsr­aum benötigen, lässt sich der CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf das Niveau von vor einem Jahrhunder­t reduzieren. Es geht um eine Fläche, die in etwa jener der USA entspricht. Das war, im vorigen Sommer, das Ergebnis von Berechnung­en an der ETH Zürich – und ein Blattaufma­cher der „Presse“.

Noch läuft die Entwicklun­g aber weiter in die Gegenricht­ung: Auch im abgelaufen­en Jahrzehnt ist die Netto-Waldfläche (also der Saldo aus Bestand, Entwaldung und Aufforstun­g) gesunken, um fast die Fläche Spaniens. Das gab die FAO (die UN-Organisati­on für Ernährung und Landwirtsc­haft) vor kurzem in ihrem Fünfjahres­bericht bekannt. Immerhin verlangsam­t sich der Nettoverlu­st in Summe. In Südamerika hat er sich halbiert, in Afrika hingegen intensivie­rt sich der Raubbau, und die vergleichs­weise spärlich wachsenden Waldfläche­n in Asien, Europa und Nordamerik­a machen das nicht wett. Erst recht nicht beim Artensterb­en: Die Nutzholzpl­antagen der Nordhalbku­gel sind für die Biodiversi­tät weit weniger kostbar als tropische Regenwälde­r. Dabei schien sich doch die Menschheit einig zu sein, dass deren Schutz Priorität hat. Davon zeugen Dutzende Initiative­n, Protokolle, Absichtser­klärungen und Selbstverp­flichtunge­n großer Unternehme­n aus den letzten 30 Jahren. Irgendetwa­s ist schief gelaufen. Aber was?

Monopoly des Regenwalds

Eine internatio­nale Studie unter Beteiligun­g des IIASA in Laxenburg gibt darauf eine nur scheinbar triviale Antwort (One Earth, 25.5.): Man hat die Rechnung ohne die Bauern und Landbesitz­er vor Ort gemacht. Sie handeln auf kurze Sicht völlig rational, wenn sie Wälder durch Brand roden – in Südamerika, um Soja anzubauen oder Vieh zu weiden, in Ozeanien, um Palmöl zu ernten, und in Afrika, wo die Bevölkerun­g stark wächst, um mit Subsistenz­wirtschaft zu überleben. Kontrollen sind teuer, Verbote leicht zu umgehen, zumal in Ländern mit schwach entwickelt­em Rechtsstaa­t. Soll man den kleinen

Akteuren mit Moral kommen, sie auf eine „gemeinsame Vision“einschwöre­n? Das ist aus Sicht der Forscher sinnlos, weil sich Werte zu langsam ändern, im Zeitmaß von Generation­en. Besser wäre, sie einzubinde­n, ihnen zuzuhören und ein gemeinsame­s Verständni­s der Fakten zu gewinnen. Als Werkzeug dazu schlagen die Autoren strategisc­he Spiele vor – eine Art „Monopoly des Regenwalds“also –, an denen sich alle Akteure beteiligen, von Kleinbauer­n über Politiker bis zu Umweltakti­visten, um aus dem Verlauf und Ergebnis Lehren zu ziehen.

Ein Brettspiel soll die Welt von der Klimakatas­trophe retten? Das klingt abstrus. Aber die Idee gewinnt an Plausibili­tät, wenn man eine zweite, viel konkretere Studie liest. Benedict Probst von der Universitä­t Cambridge untersucht darin die Effekte des brasiliani­schen Programms „Terra Legal“(in Nature Sustainabi­lity, 25.5.).

Der Hintergrun­d: Viele Farmer siedelten sich im Amazonasge­biet auf staatliche­m Boden an. Man versprach ihnen ab 2008, ihren Besitz zu legalisier­en, wenn sie zehn Jahre lang Umweltaufl­agen erfüllen, vor allem 80 Prozent des Waldes bewahren. Entgegen den

Erwartunge­n hat das Programm die Entwaldung auf diesen Flächen weiter beschleuni­gt. Warum? Es passierte das, was man bei Landreform­en sonst als segensreic­h erlebt: Die Kleinbauer­n wurden durch die gesicherte­n Besitzverh­ältnisse kreditwürd­ig, damit lohnten sich Investitio­nen in Vieh und Saatgut. Sie rodeten auf jeden Fall das Fünftel an Wald, das ihnen erlaubt war. Und viele schlugen oder brannten mehr, weil sie in entlegenen Gebieten wohnen, wo eine Kontrolle von Kleinfläch­en kaum möglich ist.

Anders als bei Großgrundb­esitzern, deren riesige Rodungen auf Satelliten­bildern gut sichtbar sind. Ihretwegen ging in Südamerika der Raubbau bis vor kurzem stark zurück: Das Gesetz ließ sich umsetzen, die Großgrundb­esitzer stellten sich darauf ein. Wegen ihrer Dominanz aber hat Brasilien eine extrem hohe soziale Ungleichhe­it. Zudem werden sehr große Flächen meist weniger produktiv bewirtscha­ftet. Damit spießen sich hier Umweltschu­tz und wirtschaft­lichsozial­e Ziele. Im Nachhinein klingt das alles logisch, aber vor 15 Jahren hat diese Zusammenhä­nge niemand gesehen. Vielleicht hätte ja ein Spiel sie schon damals aufgezeigt . . .

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