Die Presse

Mehr als nur Dinosaurie­r

Interview. Ab Montag leitet die deutsche Biologin und Ex-Grünen-Politikeri­n Katrin Vohland das Naturhisto­rische Museum. Über ihren frostigen Empfang, die Mängel des Hauses, Emotionen, Coronakuns­t und das Primat der Politik.

- VON KARL GAULHOFER

Die deutsche Biologin Katrin Vohland ist neue Leiterin des Naturhisto­rischen Museums. Mit der „Presse“sprach sie über den frostigen Empfang und ihre Pläne.

Die Presse: Haben Sie sich als Kind für Dinosaurie­r begeistert?

Katrin Vohland: Das war nicht meine Welt.

Ins Naturhisto­rische gehen Eltern mit ihren Kindern, um sich Dinosaurie­r anzuschaue­n: Ist das die falsche Einstellun­g? Ich habe noch ein mobiles Büro, im Lokal oben beim Leiner, mit dem tollen Blick. Dort hörte ich eine ältere Dame zu einer anderen sagen: „Da drüben ist das Kunsthisto­rische Museum, und gegenüber das für Kinder.“Ich dachte: Nein! Natürlich hat ein Naturkunde­museum einen Unterhaltu­ngsfaktor, es soll ja Spaß machen. Aber ein Erfolg wäre, wenn die Dame bald sagt: Das ist das Museum, das sehr relevante Forschung macht und internatio­nal renommiert ist.

Forschen ist wichtiger als die Sammlung? An erster Stelle stehen die Mission und die Forschungs­strategie. Die möchte ich mit den Kollegen entwickeln. Daran orientiert sich, welche Teile der Sammlung wir prioritär zeigen, erforschen und digital erfassen.

Also keine Dinosaurie­r mehr?

Doch. Wir forschen ja über biologisch­e Vielfalt, die Co-Evolution von Mensch und Natur. Und da sind die Dinosaurie­r ein schöner Ansatzpunk­t: Ihr Verschwind­en durch einen Meteoriten­einschlag machte die Nische frei für Säugetiere. Das war ein großer Zufall, für uns Menschen ein Glücksfall. Evolution ist nicht zielgerich­tet. Das Naturhisto­rische war übrigens eines der ersten „Evolutions­museen“, die Darwins Theorie ernst genommen haben. Damals zählte es zu den führenden in Europa.

Heute nicht mehr?

Nein. Das Potenzial ist da, mit den großartige­n Sammlungen. Und die Mitarbeite­r sind unglaublic­h engagiert. Aber die Forschung ist nicht so sichtbar. Viele Museen stellen sich neu auf, fragen sich: Was wollen wir gesellscha­ftlich erreichen? Das fehlt hier.

Wo könnte der Fokus liegen?

Im Mensch-Natur-Verhältnis: Verstehen wir uns als Teil der Natur oder als ihr Gegenüber? Wie gehen wir mit Ressourcen um, wie kommen wir sicher in die Zukunft?

Ihr Museum steht, mit identer Optik, dem Kunsthisto­rischen gegenüber. Eine harte Konkurrenz mit über doppelt so vielen Besuchern. Die naheliegen­de Erklärung: Dort ist es schön, bei Ihnen nur lehrreich, statt Emotionen zu wecken, regiert der Verstand. Lässt sich daran drehen?

Natur ist doch mit Emotionen verbunden: Wenn Sie raus ins Grüne gehen, an die Sonne, geht es Ihnen gut. Wir können mit Künstlern kooperiere­n. Viele setzen sich mit diesem Virus auseinande­r, das die Weltwirtsc­haft lahmgelegt hat. Das wollen wir mit ihnen reflektier­en und das Ergebnis zeigen. Viele Besucher wollen sich nicht belehren lassen, sondern inspiriere­n und emotional ansprechen. Wir sollten sie besser bedienen.

Sie residieren künftig wie eine Königin. Ist das altehrwürd­ige Ambiente eine Last?

Es stimmt, das Büro des Direktoriu­ms ist größer als meine Wohnung. Aber man kann mit der Geschichte und Architektu­r spielen, neue Zugänge zur Sammlung gestalten. Es soll kein verstaubte­r Eindruck bleiben.

Sie wurden unfreundli­ch empfangen. Viele Wissenscha­ftler stellten sich hinter Ihren Vorgänger, Christian Köberl, und vermuteten rein politische Motive hinter Ihrer Ernennung. Hat Sie das gekränkt?

Also glücklich war ich nicht. Ich wäre aber nicht gekommen, wenn ich nicht auch viel Zuspruch bekommen hätte, von Leuten, die damit nicht in die Medien gegangen sind.

Ihr bisheriger Chef saß in der Jury. Können Sie die Kritik daran nachvollzi­ehen?

Ja, natürlich. Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich wo, und Ihr bisheriger Chef sitzt in der Auswahlkom­mission – das war mir gar nicht recht. Warum er nicht rausgegang­en ist, müssen Sie ihn fragen. Es ändert nichts daran, dass ich durch meine Ausbildung und Projekte durchaus eine Ahnung davon habe, wie man ein Museum leitet.

Wie frostig verläuft die Amtsüberga­be?

Es war erstaunlic­h nett. Wir haben länger gesprochen, als wir beide gedacht haben. Natürlich habe ich mir das alles anders vorgestell­t. Aber ich blicke lieber in die Zukunft.

Sie forschen zu Artensterb­en und Klimawande­l. Beides ist durch Corona in den Hintergrun­d getreten. Irritiert Sie das? Corona hat ja etwas damit zu tun, wie wir mit Natur umgehen. „Sie glauben, ein Mensch kann die Welt nicht verändern?

Dann haben Sie noch nie eine rohe Fledermaus gegessen“, steht auf Stickern. Aber klar: Wer seinen Job verloren hat, hat jetzt vorrangige­re Sorgen als den Klimawande­l.

Werden Sie einen „Virensaal“einrichten? Oder eine Sonderauss­tellung. Das Thema Gesundheit wird sicher ein Schwerpunk­t.

Noch nie waren Wissenscha­ftler so einflussre­ich. Aber sie sind nicht durch Wahlen legitimier­t. Geht das nicht in die Richtung einer Herrschaft der Technokrat­en? Forscher dürfen nur beraten, nie vorschreib­en. Sie haben oft einen engen Blick auf ihre Disziplin. Die Politik muss das Primat haben, ihre Aufgabe ist das Gemeinwohl.

Sie waren Politikeri­n, haben sich nun ganz für die Wissenscha­ft entschiede­n. Warum? Ich möchte die Dinge durchdenke­n, ich bin ein großer Fan von Wahrheit.

Die Ihnen wichtiger ist als Macht?

Ja. Aber Politiker sind auch nicht so mächtig. Willy Brandt sprach von der „Ohnmacht der Politiker“. Sie sind abhängig von der Gunst der Wähler, der Partei, der Konzerne, der Lobbyisten. Die Politiker kommen und gehen, die Kompetenz liegt im Apparat, der bleibt. Und in der Wissenscha­ft.

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 ?? [ Clemens Fabry ] ?? „Ich bin ein großer Fan von Wahrheit“: Katrin Vohland will das Naturhisto­rische wieder zu einem der führenden Museen in Europa machen. Heute sei es das nicht.
[ Clemens Fabry ] „Ich bin ein großer Fan von Wahrheit“: Katrin Vohland will das Naturhisto­rische wieder zu einem der führenden Museen in Europa machen. Heute sei es das nicht.

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