Die Presse

Ungarn will Ausnahmezu­stand beenden

Interview. Der ungarische Kanzleramt­sminister, Gergely Guly´as, kündigt im Gespräch mit der „Presse“das Ende des Ausnahmezu­stands in der Coronakris­e an. Und er verrät ein Verspreche­n der deutschen Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, an die Regierungs­chefs der

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Budapest. Ungarn will bis 20. Juni seinen internatio­nal umstritten­en Ausnahmezu­stand beenden. Das sagt der ungarische Kanzleramt­sminister, Gergely Gulyas,´ im Gespräch mit der „Presse“. Ungarns Maßnahmen in der Covid-19-Epidemie unterschie­den sich von anderen Ländern darin, dass der Ausnahmezu­stand („Gefahrensi­tuation“) nicht zeitlich befristet war. Das brachte der Regierung von Premier Viktor Orban´ Vorwürfe ein, er wolle eine „Diktatur“errichten.

Gulyas´ argumentie­rt, es habe sehr wohl eine zeitliche Begrenzung gegeben: Die „Gefahrensi­tuation“gelte nur so lang, bis die Epidemie unter Kontrolle sei – und das Parlament könne sie jederzeit beenden. Dort verfügt Orban´ freilich über eine klare Mehrheit. „Wir haben am Dienstag einen Antrag im Parlament eingebrach­t: Es möge die Regierung auffordern, die Gefahrensi­tuation für beendet zu erklären“, so Gulyas.´

Zur Diskussion um EU-Hilfen in der Coronakris­e verriet Gulyas´ ein bemerkensw­ertes Detail: Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, und Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, hatten einen Plan unterbreit­et, der unter anderem vorsah, dass weniger von der Krise betroffene Länder denen helfen sollen, die es schlimmer getroffen hat. Das würde bedeuten, dass ärmere Länder wie Ungarn, die die Krise gut überstande­n haben, reicheren, aber schwer betroffene­n Ländern wie Italien helfen müssten.

„Das klingt erst einmal nicht gut“, sagt Gulyas.´ „Aber vor einer Woche gab es eine Videokonfe­renz zwischen Merkel und den Regierungs­chefs der Visegrad-´Staaten. Die Kanzlerin hat klar gesagt, dass das nicht passieren werde – dass die ärmeren Mitteleuro­päer in der Krisenbewä­ltigung nicht zu Nettozahle­rn werden. Das Wort der Kanzlerin genügt uns.“

Gulyas´ stellte auch überrasche­nd eine „raschere Einigung“bezüglich der Kohäsionsg­elder im nächsten EU-Haushaltsr­ahmen in Aussicht. Der gegenwärti­ge Entwurf der Kommission sieht deutlich weniger Geld für Ungarn vor – gut 20 Prozent weniger.

„Zehn Prozent weniger sind angesichts des Brexit nachvollzi­ehbar. Aber 20 Prozent können wir nicht akzeptiere­n, und es wäre sehr schwer geworden, eine Einigung zu finden“, sagt Gulyas.´ „Dadurch, dass es jetzt nebeneinan­der um den Wiederaufb­auplan und um die Kohäsionsg­elder geht, wird eine Einigung leichter.“Offenbar kommt man in Brüssel Ungarn und der Visegrad-´Gruppe auch bei den Kohäsionsg­eldern entgegen, um eine rasche Zustimmung zum Coronahilf­splan zu erwirken.

Mit dem geplanten Ende des Ausnahmezu­stands in Ungarn werde nun auch das umstritten­e Verbot des Verbreiten­s von Falschnach­richten und „Panikmache“seine Gültigkeit verlieren, verspricht Gulyas.´ Das war in der „Gefahrensi­tuation“mit hohen Haftstrafe­n belegt worden. In mehr als 100 Fällen wurden Ermittlung­en eingeleite­t, meist gegen Personen, die bizarre Mitteilung­en auf Facebook verbreitet­en. In zwei Fällen jedoch ging die Polizei auch gegen politisch engagierte Bürger vor, die in Facebook-Posts Ministerpr­äsident Orban´ kritisiert hatten. Die Ermittlung­en wurden aber als gegenstand­slos abgebroche­n. Das Fake-News-Gesetz bleibe zwar weiterhin bestehen, da aber im Gesetzeste­xt stehe, dass es nur in Zeiten einer „Gefahrensi­tuation“gelte, werde es nicht mehr anwendbar sein, erklärt Gulyas.´

„Debatte über Flüchtling­shotspots“

Vor Kurzem hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) geurteilt, die Unterbring­ung in Ungarns Transitzon­en für Asylwerber an der Grenze zu Serbien gleiche einer „Haft“und sei deswegen nicht mit EU-Recht vereinbar. Daraufhin schloss Ungarn diese Zonen. Man habe das Urteil akzeptiere­n müssen, sagt Gulyas.´ „Das EuGH-Urteil gilt für alle Mitgliedst­aaten, nicht nur für Ungarn, und macht eine Entscheidu­ng an der Grenze fast unmöglich. Damit dürfte jetzt die Debatte über Hotspots wieder aufleben, also Flüchtling­szentren außerhalb der EU.“

Das EuGH-Urteil zu Asylwerber­n macht eine Entscheidu­ng an der Grenze fast unmöglich.

Ungarns Kanzleramt­sminister, Gergely Gulyas´

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