Schein und Sein des „Brückenbauers“
Europapolitik. Jahrzehntelang verabsäumten es Österreichs Bundesregierungen, Allianzen zu bilden. Kanzler Kurz versucht, das zu ändern – mit gemischtem Erfolg.
Brüssel. Klein, smart, den anderen voraus: Die Coronapandemie hat Bundeskanzler Sebastian Kurz die Gelegenheit eröffnet, Beziehungen zu ausgewählten Regierungen anderer Staaten rund um den Erdball (bis nach Neuseeland und Singapur) zu knüpfen, die einerseits bisher ähnlich glimpflich durch diese Seuche gekommen sind wie Österreich, die andererseits aber auch dem Selbstbild entsprechen, nach dem er seine Amtsführung in der öffentlichen Wahrnehmung modellieren möchte.
Auch innerhalb der Union hat Kurz eine kleine Gruppe gefunden, mit der er ein klar umrissenes Ziel teilt. Als „Frugal Four“(je nach Geschmack als „Sparsame Vier“oder „Geizige Vier“übersetzbar) stellt er sich mit der Dänin Mette Frederiksen, dem Niederländer Mark Rutte und dem Schweden Stefan Löfven gegen Transfers nach Südeuropa, plädiert für eine Beibehaltung der jeweiligen Rabatte von den Beitragszahlungen und gegen einen Haushalt, der mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung der Union ausmacht.
Einen Vorgeschmack darauf, welche Wellen dieses Kleeblatt mit dieser Haltung erzeugen kann, konnte man im Februar beim gescheiterten Versuch der 27 Staatsund Regierungschefs bekommen, sich auf den Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 zu einigen. Die vier hielten ihr Veto gegen Abschaffung der Rabatte und Erhöhung des Budgetrahmens durch. Freunde machten sie sich damit jedoch nicht.
Seit dem EU-Beitritt haben es Österreichs Bundesregierungen verabsäumt, dauerhafte Allianzen zu formen. Zu diesem Befund kam der Thinktank European Council on Foreign Relations (ECFR) in einer umfassenden Netzwerkanalyse. „Das Land konzentriert sich zu viel auf Deutschland, erhält wenige Antworten in seinen Versuchen, mit anderen großen Mitgliedstaaten in Beziehung zu treten, und vernachlässigt kleine, wohlhabende Länder“, resümierte der damaligen Leiter des ECFR, Josef Janning.
Erste Früchte der Beziehungspflege
Kurz dürfte dieses Defizit erkannt haben. Nicht nur während des Ratsvorsitzes 2018 betonte Kurz immer und immer wieder, „Brückenbauer“sein zu wollen. Erste Früchte trägt die neue Beziehungspflege in Brüssel bereits: Dank geschickten Lobbyings gelang es zu Jahresbeginn, den Österreicher Wolfgang Burtscher auf den Posten des Generaldirektors für Landwirtschaft in der Europäischen Kommission zu bringen.
Doch es klafft zwischen den akribisch eingeübten Parolen des Kanzlers und seinem Tun bisweilen ein schwindelerregender Abgrund. Stichwort: Indexierung der Familienbeihilfe. Sie wird mit großer Sicherheit vom Gerichtshof der EU kassiert werden. Dazu befördert sie das Image Österreichs als geizige Nation, die mager entlohnten Altenpflegerinnen aus Osteuropa nicht einmal die ihnen rechtmäßig zustehende Hilfe gönnt.
Außenpolitisch rangierte sich die Bundesregierung jüngst erst wieder in eine Sackgasse: Einzig Österreich und Viktor Orbans´ Ungarn widersetzten sich einer gemeinsamen Erklärung der 27, welche die drohende, völkerrechtswidrige Annektierung von Palästinensergebieten durch Israel in ohnehin watteweichen Worten gescholten hätte.
Das Verhältnis zu Orban´ zeigt, auf welch dünnem Grat Kurz europapolitisch balanciert: In Fragen der Migration ist man sich einig, im Chor der Kritik an Orbans´ autoritärem Regierungsstil sucht man den Kanzler vergeblich. Doch wenn es ums EU-Budget geht, liegen Welten zwischen den beiden.