Die Presse

Interview mit Alexander Schallenbe­rg: „Österreich­s rote Linie ist das Völkerrech­t“

Interview. Außenminis­ter Schallenbe­rg verteidigt den neuen kantigen Stil der österreich­ischen Diplomatie, weist Kritik an den „Sparsamen Vier“zurück, warnt vor einer Westbank-Annexion und rechnet ab mit der Politik der erhobenen Zeigefinge­r.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Die österreich­ische Außenpolit­ik ist in den vergangene­n Jahren kantiger geworden. Besteht nicht die Gefahr, dass Österreich am Ende allein dasteht, wenn es sich zu oft exponiert?

Alexander Schallenbe­rg: In der österreich­ischen Außenpolit­ik ist ein Reifeproze­ss eingetrete­n. Wir waren nach dem EU-Beitritt 1995 als neutraler Staat sehr bemüht, im Mainstream anzudocken. Jetzt gibt es eine größere Bereitscha­ft, sich selber eine Meinung zu bilden und sie auch zu artikulier­en. Dabei macht aber der Ton die Musik. Wesentlich in der EU ist, immer verhandlun­gsbereit und paktfähig zu sein.

Wie viele Joker hat ein Land der Größe Österreich­s frei, um gegen den außenpolit­ischen Strom zu schwimmen?

Österreich muss sich gut überlegen, welche diplomatis­che Schlachten es führt. Es ist ein interessan­tes Phänomen: Einerseits wird uns vorgeworfe­n, zu wenig Profil zu haben. Und kaum vertritt Österreich eigene Positionen, erschrecke­n einige schon vor dem eigenen Schatten und haben Angst vor der eigenen Courage. Wir dürfen uns nicht scheuen, eigene Interessen wahrzunehm­en. Aber eines der Hauptinter­essen Österreich­s ist selbstvers­tändlich eine funktionie­rende EU. Wenn es sie nicht gäbe, müssten wir sie erfinden. Wer Österreich eine anti-europäisch­e Politik unterstell­t, irrt.

Österreich war nie pro-israelisch­er als jetzt. Das ist ein Paradigmen­wechsel. Neulich wollten die EU-Außenminis­ter Israel in einer Erklärung davor warnen, das Westjordan­land zu annektiere­n. Nur Sie und Ungarn stemmten sich dagegen.

Ja, es gab eine Änderung in der österreich­ischen Linie, sie trägt ganz eindeutig die Handschrif­t des Bundeskanz­lers. Das spiegelt sich im Regierungs­programm wider, das eine klare Sprache zur historisch­en Verantwort­ung Österreich­s für Israel enthält. Ich finde das sehr gut. Denn Österreich hat sich, anders als Deutschlan­d, viele Jahre vor der Verantwort­ung für die Geschichte gedrückt. Freund Israels zu sein heißt nicht, dass man nicht Freund der Palästinen­ser und der arabischen Welt sein kann.

Zuletzt ist Österreich weiter in Richtung der israelisch­en Regierung gegangen als Deutschlan­d. Überkompen­siert Österreich nun frühere Versäumnis­se?

Ich war der Meinung, dass es nicht der richtige Moment ist, die israelisch­e Regierung am Tag der Angelobung mit einer expliziten Warnung vor der Annexion der Westbank zu begrüßen. Doch es gibt an der österreich­ischen Haltung zur Annexion keinen Zweifel, ich habe sie auch Israels Außenminis­ter mitgeteilt. Die einseitige Ausdehnung von Territoriu­m widerspric­ht dem internatio­nalen Recht und zahlreiche­n Sicherheit­sratsresol­utionen seit 1967. Ein Land der Größe Österreich­s braucht das Völkerrech­t. Das ist eine Frage unserer Sicherheit. Die rote Linie Österreich­s ist das Völkerrech­t.

Auch bei der Ablehnung des UN-Migrations­pakts zog Österreich an einem Strang mit Ungarn. Fühlen Sie sich wohl in dieser Gesellscha­ft?

Manche wollen uns reflexarti­g in diese Ecke drücken. Nur weil Ungarn eine Position vertritt, ist sie damit tabu?

In der Coronakris­e wollten die EU-Staaten ihre Sorge vor Eingriffen in Grundrecht­e ausdrücken. Man nannte kein Land, meinte damit aber Ungarn. Warum hat Österreich da nicht mitgemacht?

Die stille Diplomatie hat Vorteile. Wir besprechen diese Angelegenh­eiten mit unseren Nachbarn. Zweitens: Wir wollten in der Erklärung festhalten, dass die EU-Kommission in allen Mitgliedst­aaten untersuche­n soll, wie im Zuge der Pandemie vorübergeh­end aus gesundheit­lichen Gründen in Grundrecht­e wie die Versammlun­gsfreiheit eingegriff­en wurde. Denn es geschah auch überall. Diese Passage haben einzelne Mitglieder dann aus dem Text streichen lassen. Wir sollten in der Union keine Scherbenge­richte veranstalt­en. Wer mit zweierlei Maß misst, gefährdet die EU am meisten. Grundwerte der EU sind nicht verhandelb­ar, aber es darf für niemanden Rabatte und keine Zweiklasse­ngesellsch­aft in der EU geben, in der sich der Westen für sakrosankt hält und den Osten grundsätzl­ich verdächtig­t.

Österreich äußert sich wertemäßig kaum. Richtet Österreich seine Außenpolit­ik bewusst realpoliti­scher aus als andere? Österreich­s Außenpolit­ik war immer pragmatisc­h, aber genauso werte- und regelbasie­rt ausgericht­et. Ein exportorie­ntiertes Land wie Österreich geht unter, wenn das Gesetz des Dschungels herrscht. Manche spotten naserümpfe­nd über das Konzept des Brückenbau­ers, doch Österreich liegt tatsächlic­h an einer Kreuzung im Herzen des Kontinents. Und wir Österreich­er haben auch ein Gespür für Ungerechti­gkeiten. In der Außenpolit­ik muss man sehr darauf achten, nicht selbstgere­cht zu werden. Als Außenminis­ter hat man mit 193 Staaten zu tun, davon haben zwei Drittel nicht gerade die gleichen Politik- und Gesellscha­ftssysteme wie wir. Wir müssen trotzdem einen Modus vivendi finden, weil wir diese Welt mit ihnen teilen. Man darf nicht mit erhobenem Zeigefinge­r durch die Welt laufen. Europa wird noch zu stark so wahrgenomm­en.

Aber ist es richtig, leisezutre­ten? Das tun wir nicht.

Ich finde schon. Sie kommen von einer Balkan-Reise, dort hat Österreich wirklich etwas zu sagen. Aber wo bleibt der österreich­ische Zwischenru­f in Serbien, das immer autokratis­cher wird?

Ich habe in Serbien und dem Kosovo sehr deutliche Worte gefunden.

Öffentlich nicht.

Ich halte nichts von Megafonpol­itik. In der Diplomatie geht um zwischenst­aatliche Beziehunge­n. Das mag für Journalist­en unbefriedi­gend sein. Aber wir wissen um unsere Verantwort­ung, wir haben Hebel.

Bewirkt Österreich etwas mit diesem Hebel? Serbiens Regierung schüchtert Opposition und Medien ziemlich ungeniert ein. Es hat a` la longue Wirkung. Denn etwas brauchen diese Staaten alle: ausländisc­he Investitio­nen. Aber ich drehe es einmal um: Bewirken Regierunge­n, die mit dem Megafon durch die Welt laufen, etwas?

Eher als jene, die schweigen.

Es geht nicht um Schweigen. Jeder Staat muss wahrnehmen, wo er gehört wird und wo bei anderen innerlich die Schranken herunterge­hen, weil sie gar nicht mehr zuhören wollen. Solang wir ein geschätzte­r Gesprächsp­artner sind, haben wir einen gewissen Einfluss. Staaten reagieren manchmal wie Menschen. Wenn man sie an den Pranger stellt und bedrängt, werden sie trotzig und lenken erst recht nicht ein.

In China wird Österreich allein nichts ausrichten, aber vielleicht mit der EU. Die Volksrepub­lik schleift die Freiheitsr­echte in Hongkong. Soll Europa darauf reagieren oder einfach nur zuschauen?

Europa soll darauf reagieren. Wichtig ist die Wahrung der Autonomie Hongkongs, wie sie auch in der „Ein Land, zwei Systeme“Politik vorgegeben ist. Aber auch da ist es sinnvoller, sich mit China an einen Tisch zu setzen, als nach Applaus von Leitartikl­ern zu heischen. Unser Problem gegenüber China ist es, eine gemeinsame Position zu finden, auch zum Seidenstra­ßen-Projekt.

China hat leichtes Spiel in Europa, weil es sich einzelne Staaten herauspick­en kann. Was in Europa fehlt, ist eine ehrliche Diskussion. Das reicht von Libyen über Syrien bis China. Jedes EU-Mitglied sollte seine Position offen auf den Tisch legen. Erst dann können wir es schaffen, zu einer gemeinsame­n Position zu kommen. Ich sage das als ein im Herzen überzeugte­r Pro-Europäer. Die Österreich­er wären in vielerlei Fällen die Ersten, die bei einer europäisch­en Außenpolit­ik mitgehen würden.

In der Coronakris­e sah man, dass Nationalst­aaten sich selbst am nächsten sind. Die Außenpolit­ik wird nach der Pandemie nicht mehr dieselbe sein. Der Bilaterali­smus war in der Krise dominanter als der Multilater­alismus. OSZE, UNO und Europarat sind in den Hintergrun­d getreten.

In der EU machte jeder, was er wollte.

Wir waren ohne Drehbuch. Die EU hat nur eine ergänzende Kompetenz im Gesundheit­sbereich. Beim Wiederaufb­au kommt nun Europa wieder stärker ins Spiel. Meine wichtigste­n Gesprächsp­artner waren zuletzt die Außenminis­ter der Nachbarsta­aten – von Prag bis Rom. Gerade in der Krise hat sich gezeigt, dass Österreich ein eigenständ­iges Vertretung­snetz braucht. Wer hat die Österreich­er zurückgeho­lt, wer hat die Exportgene­hmigung in China an Land gezogen? Unsere Botschafte­n!

Sehen Sie das Vertretung­snetz in Gefahr? Angesichts der Ausgabenfl­ut wird der Spardruck auf den Staat bald enorm sein. Botschafte­n sind kein Luxus. Wenn es hart auf hart kommt, sind sie eine Lebensvers­icherung für die Österreich­er im Ausland.

Sie erwähnten Rom. Italien fühlt sich von Österreich im Stich gelassen, auch in der Debatte um den Wiederaufb­aufonds.

Es läuft ein normaler europäisch­er Verhandlun­gsprozess. Frankreich und Deutschlan­d haben einen Vorschlag unterbreit­et, Italien will mehr, die Sparsamen Vier mit Österreich wollen nicht die Tür Richtung Transfer- und Schuldenun­ion öffnen. Bei diesen Summen ist es doch legitim, dass wir verhandeln. Wir alle möchten helfen. Keiner will, dass ein Staat ins Trudeln kommt und die Eurozone gefährdet ist. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie.

Ex-Kanzler Christian Kern hat kritisiert, dass die Bundesregi­erung in dieser Schicksals­frage für die EU zu kleinkarie­rt denkt. Hat er einen Punkt?

Dieses Narrativ, dass die Sparsamen Vier – Niederland­e, Schweden, Dänemark, Österreich – die schlechten Europäer sind, lehne ich ab. Sollen nur jene, die mit beiden Händen in die Kasse greifen, die guten Europäer sein? Das ist völlig absurd.

Österreich umgarnt die Großmächte. Will es Äquidistan­z zu Russland, China und den USA halten?

Nein. Wir haben mit den USA eine Lebensmode­llgemeinsc­haft, auch wenn wir den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkom­men, der WHO und Abrüstungs­verträgen nicht begrüßen. Die westliche Welt tut gut daran, diese Gemeinsamk­eiten nicht kleinzured­en, sondern wahrzunehm­en.

Russland hat offenbar das Außenamt in Wien gehackt. Warum kuscht Österreich? Es gibt starke Indizien, die in eine Richtung weisen, aber keine Beweise.

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[ Andy Wenzel ] Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg beim Interview-Foto nach seiner Rückkehr vom Westbalkan, seiner ersten Reise seit Ausbruch der Pandemie.

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