Der Nationalrat und seine Nullen
Analyse. Eine Glanzleistung war es nicht, als man beim Abänderungsantrag zum Budgetvoranschlag auf sechs Nullen vergaß. Aber auch keine Tragödie. Der Fehler wurde in bester parlamentarischer Tradition behoben.
Wien. Oscar Wilde hatte schon recht: „Keine gute Tat bleibt ungestraft.“Hätte die Regierung nicht auf die Kritik der Opposition reagiert, hätte sie keinen Abänderungsantrag zum Budgetvoranschlag eingebracht, wäre ihr viel Häme erspart geblieben. So aber spotteten viele laut darüber, dass man in dem Antrag die Worte „Beträge in Millionen Euro“vergessen hatte und die Ausgaben für 2020 damit auf 102.389 Euro beschränkt gewesen wären statt auf 102,4 Mrd. Euro.
Andererseits: So höflich, wie die Debatte über die vergessenen sechs Nullen am gestrigen Freitag im Nationalrat verlief, war keine einzige Wortmeldung an den vergangenen drei Tagen. Man muss weit in der Parlamentsgeschichte zurückgehen, um einen derart respektvollen Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung zu finden.
SPÖ-Abgeordneter Jan Krainer, der Donnerstagabend im letzten Moment auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte, war in seiner kurzen Wortmeldung nicht voller Häme und Spott für Finanzminister Gernot
Blümel (ÖVP) oder für ÖVP und Grüne, die den Antrag eingebracht hatten, sondern betonte, dass er froh sei, „dass die Reparatur so funktioniert“und man das Budget und die darin vorgesehenen Corona-Finanzhilfen ausbezahlen könne. ÖVP und Grüne bedankten sich ihrerseits bei Krainer und der SPÖ für das Entdecken des Fehlers und die Vorgangsweise. Grün-Klubobfrau Sigrid Maurer zollte gar Respekt dafür, wie „perfekt Jan Krainer das inszeniert hat“.
Natürlich ist der Fehler ausgesprochen peinlich – für das Finanzministerium, für die
Klubmitarbeiter und Abgeordneten der Regierungsparteien, die den Antrag nicht ordentlich gelesen und geprüft haben, aber auch für alle anderen Mandatare des Nationalrats. Nur der Jurist des SPÖ-Parlamentsklubs hatte im Abänderungsantrag die fehlenden Worte „in Millionen Euro“bemerkt.
Eine Premiere war das übrigens nicht. Schon einmal, im Dezember 1992, als man über das Budget für 1993 abstimmte, vergaß man auf die Worte „in Millionen Schilling“. Damals war ein SPÖ-Politiker, Ferdinand Lacina, Finanzminister. Wie diesmal wurde der Fehler im letzten Moment korrigiert. „Genau für solche Fälle gibt es in der Geschäftsordnung eine Regelung“, erklärt Werner Zögernitz, Leiter des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen.
Eigentlich ist die dritte Lesung eines Gesetzentwurfs nur dazu gedacht, Schreibund Druckfehler sowie sprachliche Mängel im Entwurf zu beheben. Wesentliche inhaltliche Änderungen sind nicht mehr möglich. § 74 der Geschäftsordnung des Nationalrats sieht als einzige Ausnahme einen „Antrag zur Behebung von Widersprüchen“vor. Er wurde in diesem Fall angewandt: Im 1500 Seiten umfassenden Budgetvoranschlag waren die Beträge nämlich in Millionen Euro angegeben. Im Abänderungsantrag allerdings fehlte eben der Zusatz. Dieser Widerspruch konnte dank des § 74 in der dritten Lesung behoben werden.
Lehren aus dem Fehler
Die SPÖ hätte auch abwarten und erst später auf den Fehler aufmerksam machen können. Dann hätte die Republik tatsächlich ein Problem gehabt. Der Bundespräsident muss zwar das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes beurkunden. In diesem Fall aber gab es keinen Verfassungsbruch, sondern nur einen Fehler. Die Ausgaben des Bundes wären also gesetzlich mit 102.389 Euro beschränkt gewesen.
Um diesen Fehler zu beheben, hätte man vermutlich den gesamten Budgetvoranschlag noch einmal im Nationalrat einbringen und beschließen müssen. Das hätte auch im besten Fall einige Tage gedauert, in denen die Republik technisch zahlungsunfähig gewesen wäre. Der brillante Schachzug der SPÖ wäre in diesem Fall freilich politisch nach hinten losgegangen, weil es dann auch keine Auszahlungen aus den Coronahilfsfonds gegeben hätte. Der Hinweis vor der dritten Lesung war also ideal getimt.
Die Lehren aus dem peinlichen Zwischenfall: Es sei klar, dass bei Abänderungsanträgen, „die um Mitternacht geschrieben werden“, Fehler passieren, meinte Krainer. Tatsächlich hatte die Koalition den Antrag in der Nacht vor dem letzten Tag der Budgetdebatte eingebracht. Auch aus Kreisen der Regierungsparteien meint man, dass das bei so einer komplexen Materie etwas zu unvorsichtig war und man besser über den Ausschuss gegangen wäre.
Zumindest am Ende des letzten Budgettages hatten alle Parteien wieder in ihre Rollen gefunden: Der Misstrauensantrag gegen Finanzminister Blümel wurde von den Oppositionsparteien geschlossen unterstützt und von den Regierungsparteien ebenso geschlossen abgelehnt.