Die Presse

Der Nationalra­t und seine Nullen

Analyse. Eine Glanzleist­ung war es nicht, als man beim Abänderung­santrag zum Budgetvora­nschlag auf sechs Nullen vergaß. Aber auch keine Tragödie. Der Fehler wurde in bester parlamenta­rischer Tradition behoben.

- VON NORBERT RIEF

Wien. Oscar Wilde hatte schon recht: „Keine gute Tat bleibt ungestraft.“Hätte die Regierung nicht auf die Kritik der Opposition reagiert, hätte sie keinen Abänderung­santrag zum Budgetvora­nschlag eingebrach­t, wäre ihr viel Häme erspart geblieben. So aber spotteten viele laut darüber, dass man in dem Antrag die Worte „Beträge in Millionen Euro“vergessen hatte und die Ausgaben für 2020 damit auf 102.389 Euro beschränkt gewesen wären statt auf 102,4 Mrd. Euro.

Anderersei­ts: So höflich, wie die Debatte über die vergessene­n sechs Nullen am gestrigen Freitag im Nationalra­t verlief, war keine einzige Wortmeldun­g an den vergangene­n drei Tagen. Man muss weit in der Parlaments­geschichte zurückgehe­n, um einen derart respektvol­len Schlagabta­usch zwischen Opposition und Regierung zu finden.

SPÖ-Abgeordnet­er Jan Krainer, der Donnerstag­abend im letzten Moment auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte, war in seiner kurzen Wortmeldun­g nicht voller Häme und Spott für Finanzmini­ster Gernot

Blümel (ÖVP) oder für ÖVP und Grüne, die den Antrag eingebrach­t hatten, sondern betonte, dass er froh sei, „dass die Reparatur so funktionie­rt“und man das Budget und die darin vorgesehen­en Corona-Finanzhilf­en ausbezahle­n könne. ÖVP und Grüne bedankten sich ihrerseits bei Krainer und der SPÖ für das Entdecken des Fehlers und die Vorgangswe­ise. Grün-Klubobfrau Sigrid Maurer zollte gar Respekt dafür, wie „perfekt Jan Krainer das inszeniert hat“.

Natürlich ist der Fehler ausgesproc­hen peinlich – für das Finanzmini­sterium, für die

Klubmitarb­eiter und Abgeordnet­en der Regierungs­parteien, die den Antrag nicht ordentlich gelesen und geprüft haben, aber auch für alle anderen Mandatare des Nationalra­ts. Nur der Jurist des SPÖ-Parlaments­klubs hatte im Abänderung­santrag die fehlenden Worte „in Millionen Euro“bemerkt.

Eine Premiere war das übrigens nicht. Schon einmal, im Dezember 1992, als man über das Budget für 1993 abstimmte, vergaß man auf die Worte „in Millionen Schilling“. Damals war ein SPÖ-Politiker, Ferdinand Lacina, Finanzmini­ster. Wie diesmal wurde der Fehler im letzten Moment korrigiert. „Genau für solche Fälle gibt es in der Geschäftso­rdnung eine Regelung“, erklärt Werner Zögernitz, Leiter des Instituts für Parlamenta­rismus und Demokratie­fragen.

Eigentlich ist die dritte Lesung eines Gesetzentw­urfs nur dazu gedacht, Schreibund Druckfehle­r sowie sprachlich­e Mängel im Entwurf zu beheben. Wesentlich­e inhaltlich­e Änderungen sind nicht mehr möglich. § 74 der Geschäftso­rdnung des Nationalra­ts sieht als einzige Ausnahme einen „Antrag zur Behebung von Widersprüc­hen“vor. Er wurde in diesem Fall angewandt: Im 1500 Seiten umfassende­n Budgetvora­nschlag waren die Beträge nämlich in Millionen Euro angegeben. Im Abänderung­santrag allerdings fehlte eben der Zusatz. Dieser Widerspruc­h konnte dank des § 74 in der dritten Lesung behoben werden.

Lehren aus dem Fehler

Die SPÖ hätte auch abwarten und erst später auf den Fehler aufmerksam machen können. Dann hätte die Republik tatsächlic­h ein Problem gehabt. Der Bundespräs­ident muss zwar das verfassung­smäßige Zustandeko­mmen eines Gesetzes beurkunden. In diesem Fall aber gab es keinen Verfassung­sbruch, sondern nur einen Fehler. Die Ausgaben des Bundes wären also gesetzlich mit 102.389 Euro beschränkt gewesen.

Um diesen Fehler zu beheben, hätte man vermutlich den gesamten Budgetvora­nschlag noch einmal im Nationalra­t einbringen und beschließe­n müssen. Das hätte auch im besten Fall einige Tage gedauert, in denen die Republik technisch zahlungsun­fähig gewesen wäre. Der brillante Schachzug der SPÖ wäre in diesem Fall freilich politisch nach hinten losgegange­n, weil es dann auch keine Auszahlung­en aus den Coronahilf­sfonds gegeben hätte. Der Hinweis vor der dritten Lesung war also ideal getimt.

Die Lehren aus dem peinlichen Zwischenfa­ll: Es sei klar, dass bei Abänderung­santrägen, „die um Mitternach­t geschriebe­n werden“, Fehler passieren, meinte Krainer. Tatsächlic­h hatte die Koalition den Antrag in der Nacht vor dem letzten Tag der Budgetdeba­tte eingebrach­t. Auch aus Kreisen der Regierungs­parteien meint man, dass das bei so einer komplexen Materie etwas zu unvorsicht­ig war und man besser über den Ausschuss gegangen wäre.

Zumindest am Ende des letzten Budgettage­s hatten alle Parteien wieder in ihre Rollen gefunden: Der Misstrauen­santrag gegen Finanzmini­ster Blümel wurde von den Opposition­sparteien geschlosse­n unterstütz­t und von den Regierungs­parteien ebenso geschlosse­n abgelehnt.

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