Viel versteckte Hilfe für den Süden
Das Clearingsystem der EZB sendet heftige Krisensignale.
Wie erkennt man eine Krise? Zum Beispiel daran: Im März sind die Verbindlichkeiten des Krisenstaats Italien gegenüber dem Euro-Clearingsystem Target 2 um satte 107 Mrd. auf 491 Mrd. Euro hochgeschossen. Das ist der bei weitem stärkste jemals registrierte Anstieg. Gleichzeitig sind die Target-Forderungen Deutschlands um 114 Mrd. auf 942,3 Mrd. Euro geklettert. Auch das ist ein Rekord-Monatssprung.
Die Target-Salden bilden die grenzüberschreitenden Kapitalflüsse (etwa für Warenlieferungen, Geldüberweisungen und EZB-Staatsanleihenkäufe durch die nationalen Notenbanken) innerhalb des Eurosystems ab. Und sie deuten auf ein starkes Anspringen der Kapitalflucht aus dem Süden in den Norden (und der italienischen Staatsanleihenkäufe auf Rechnung der Deutschen Bundesbank) hin. Italiener wissen offenbar, wie es um ihr Land steht.
Das starke Ansteigen der Ungleichgewichte gibt einen Hinweis darauf, dass das EZB-Clearingsystem wieder einmal massiv für versteckte Hilfen missbraucht wird. Denn normalerweise werden die Salden in solchen Systemen regelmäßig auf Null gestellt. Im Target-System bleiben sie stehen. Plastisch bedeutet das, dass beispielsweise das Geld, das Herr Tosetti in Mailand für seinen Mercedes ausgibt, den Weg zur Banca d‘Italia findet, während die deutsche Bundesbank die Summe gleichzeitig der Geschäftsbank von Mercedes gutschreibt. Nur die Überweisung von der italienischen zur deutschen Notenbank via Target unterbleibt und bliebt als Target-Verbindlichkeit bzw. Forderung gegenüber der EZB stehen.
Notenbanker wenden an dieser Stelle ein, das sei völlig irrelevant, weil es sich bei solchen Transaktionen um Zentralbankgeld handle. Solche Salden könnten konsequenzenlos ewig stehen bleiben und seien reine Nummern auf Excel-Sheets. Das stimmt. Aber nur so lange, als der Euro nicht zerbricht. Dann werden die Forderungen plötzlich echt – und wohl uneintreibbar.
So gesehen steht der Target-Missbrauch also zumindest sinngemäß wohl im Kontrast zum Geist der EURegeln. Aber um Regeln schert sich ohnehin niemand mehr: Im März lag der Anteil italienischer Staatsanleihen bei den EZBAnkäufen bei 35 Prozent. Nach den ursprünglichen EZB-Plänen hätten es höchstens 13,8 Prozent – der Anteil Italiens an der EZB – sein dürfen. So geht Vertrauensbildung!
josef.urschitz@diepresse.com