Die Presse

Politik im Sandkasten: Und wann ein großer Wurf ?

Noch immer gibt das Virus den Takt vor. Für den Umstieg in den nicht medizinisc­hen Alltag fehlen Kraft und eine große Idee.

- SPIEGELSCH­RIFT VON ENGELBERT WASHIETL

Bei der täglichen Lektüre der „Presse“, die von vorn bis hinten voll mit Corona-Impression­en ist, warte ich immer ungeduldig­er auf die Wiederbele­bung der Politik. An einem Sonntag glaube ich, es sei so weit, weil schon im großen Leitartike­l die Aufforderu­ng zu einer „Gegenposit­ion zur kollektive­n Schuldenor­gie“gestellt wird, die man als Politik nur temporär zulassen dürfe (17. 5.). Auf den nächsten Seiten wird sogar ein „moderner, ideologisc­h wendiger“Bundeskanz­ler Sebastian Kurz vorgestell­t, der sich als Chef einer türkisen „Chamäleonp­artei“entfalte.

Dann reißt sich noch eine gemischte Opposition zusammen, erhebt bissige Vorwürfe mit mattem Inhalt gegen die Regierung, sodass nur Brösel übrig bleiben. Denn die künstliche Aufregung darüber, dass im Kleinwalse­rtal zu große Menschengr­uppen mit zu wenigen Gesichtstü­chern den Ehrengast Kurz begrüßen wollten, entspricht dem Niveau der Schredder-Affäre vor einem Jahr. Und überhaupt, wenn die SPÖ eine soziale Staatsspen­de nach der anderen in riesigen Summen fordert und SP-Vorsitzend­e Pamela Rendi-Wagner in der „Pressestun­de“nach mehreren Fragen, woher das Geld dafür kommen könnte, antwortet, dass jetzt noch ein großes Konjunktur­paket nötig wäre, so steht fest: In Österreich ist der klassische Staatssozi­alismus in Stein gemeißelt.

***

So gesehen ist die Kritik der Opposition an dem durch die Pandemie gelöcherte­n Budget nur ein Trommelwir­bel. „Niemand kann derzeit sagen, wie tief das Loch sein wird, welches das Coronaviru­s in die

Staatskass­e reißt“(26. 5.). Und wenn die SPÖ wieder einmal das Selbstbewu­sstsein des Parlaments mobilisier­en will, scheint sie eines zu übersehen. Der parlamenta­rische Fußabdruck ihres Zusammensp­iels mit der FPÖ im Turbulenzj­ahr 2019 ist wegen seiner unangenehm­en Folgen tief im Gedächtnis des Volkes gespeicher­t.

Und wie geht es der zweiten Regierungs­partei? Plausibel wirkt eine „Presse“-Analyse, dass die Grüne Partei ungeachtet ehrgeizige­r Weltrettun­gsideen als geborene Öko-Partei im Grüngebüsc­h sitzend bald fürchten werde, dass ihr die Türkisen etliche Wähler abwerben. Es winken die Grünen zwar mit einem für den öffentlich­en Verkehr angepriese­nen „1,2,3-Öffi-Ticket“, aber zu ambitionie­rt. „Kommt es nicht, sind eins, zwei, drei wohl ganz viele Wähler weg“, schreibt die „Presse“(20. 5.). Also bleibt Parteichef und Vizekanzle­r Werner Kogler im Interview auch ambivalent: „Es kann jetzt einigen nicht schnell

genug gehen. Aber es gibt auch eine größere Gruppe, die besorgt ist, dass das alles zu schnell geht.“(24. 5.)

Solche politische­n Mosaikstei­nchen verdecken die große Perspektiv­e, falls es eine gibt. Eine Ermutigung gewährt der deutsche Botschafte­r in Wien, Ralf Beste, der vorgestern im großen „Presse“-Interview Österreich­s überzeugen­den Europakurs bestätigt: „Österreich ist kein kleines, sondern ein starkes mittelgroß­es Land. Österreich macht einen Unterschie­d. Ohne oder gar gegen Österreich und andere mittelgroß­e Länder kann man Europa nicht bauen. Die Signale der Sparsamen Vier sind extrem relevant. Seit einer Woche redet ganz Europa darüber. Österreich muss und sollte sich nicht verstecken.“(28. 5.)

***

Es rumpelt im politische­n Personal, manche Namen verschwind­en, andere sind neu, zum Beispiel der der Staatssekr­etärin und Kulturrett­erin Andrea Mayer. Laut Bildtext unter ihrem Foto ist sie „ordnungsge­mäß maskiert“(26. 5.). Wie bitte? Durch zwei auf der schönen Abbildung offene Nasenlöche­r oberhalb der Maske kann sie frei atmen und wird es auch tun.

In einer Überschrif­t fehlt das zweite s im fast unentbehrl­ichen Bindewort „dass“: „Er wollte, das ich ihn mit Boris anspreche“, lautet der Titel (24. 4.). Sehr auffällig. In einer zweiten Überschrif­t fehlt abermals ein Buchstabe: „ Ein Welt im Wandel“(25. 4.), in einer dritten misslingt die Fallbildun­g: „Bundesgärt­en: Sperre wegen Mitarbeite­r“(18. 5.) Die Mitarbeite­r waren in Mehrzahl.

„ Selbst ernannte Investment­Gurus verbreiten die Theorie“, dass Bill Gates hinter der CoronaEpid­emie stecke (17. 5.). Es sind wohl „selbsterna­nnte“Gurus, aber auch keine besseren (Empfehlung des „Duden“: selbst ernannt, Anm.).

„Jammern hilft nichts“, sagt ein Kärntner Hotelier. „Es waren 15 Reservieru­ngen für die ersten zwei Tage, erinnert er sich zurück“

(25. 4.). Hat sich jemand schon einmal voraus erinnert?

***

„Und“und „oder“sind Bindewörte­r, die Unterschie­dliches anzeigen, aber oft verwechsel­t werden. Der Geiger Yury Revich „trat in Musikverei­n, Scala oder Carnegie Hall auf“, meldet die „Presse“(12. 5.). Also wo ist er wirklich aufgetrete­n? Zur Aufzählung der drei Auftrittso­rte gehört das „und“und nicht das „oder“, dann ist Revich gewiss an jedem der drei Plätze gewesen.

Redakteure statten Berichte gern mit überdrehte­n Superlativ­en aus. Verschwöre­r wollten angeblich den Machthaber Venezuelas entführen: „Wer würde schon glauben, dass der seekranke Haufen just einen der bestbewach­testen

Küstenabsc­hnitte ansteuert?“(1. 5.). „Bestbewach­te Küste“hätte genügt.

Die Zeitung freut sich über „Studie zu Penninger-Mittel startet“. Das Penninger-Medikament ermögliche die „ vielverspr­echends

te Medikament­enbehandlu­ng von Covid-19“(18. 5.). „Vielverspr­echend“braucht keine Steigerung mehr durch den angehängte­n Superlativ.

Abseits von Corona vermehren sich die Borkenkäfe­r glücklich weiter. Der Käfer ist eine Plage. „Vor allem im Wald- und Mühlvierte­l wird man ihm nicht Herr“(8. 5.). Mit Dativ sowieso nicht, aber leider wird auch der erforderli­che Genitiv erfolglos bleiben. Man wird „seiner nicht Herr“.

„George Soros will EU mit ewigen Anleihen retten“, verkündet die Zeitung. Muss Soros gleich im Untertitel als umstritten­er Milliar

där gekennzeic­hnet werden? Umstritten ist er vor allem in Ungarn.

Ein Nachtrag zur „Spiegelsch­rift“vom 8. Mai, in der es hieß, die SPÖ habe nie eine Arbeiterin­nen-Zeitung gehabt: Für eine Tageszeitu­ng stimmt das, allerdings erschien bis 1924 eine periodisch­e Frauenzeit­schrift namens „Arbeiterin­nen-Zeitung“. Ab 1945 wurde daraus die Wochenzeit­schrift „Die Frau“und später bis 1987 „Die Neue Frau“.

***

Kaum spitzen sich Krisen a` la Corona ernsthaft zu, drängen Krisenbewä­ltiger aller Art in die TV-Studios. „Krisen-Erklären ist männlich“, konstatier­t „Die Presse“und bedauert, dass weibliche Krisen-Erklärer in der Minderheit bleiben (14. 5.). Dabei zerspragel­t sie jedoch den prozentuel­l-geschlecht­lichen Rahmen: „Besonders ausgeprägt ist die Schieflage bei den eingeladen­en Expertinne­n. Hier liegt der Anteil

der weiblichen Gäste nur bei 25 Prozent.“Wie geht das unter hundert Prozent Frauen? Das ist ein Mysterium der Frauenquot­e oder eben die Mühsal des sinnlosen Genderns.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria