Die Presse

Das Regelwerk der Abwehrkräf­te

Die angeborene Immunität erkennt mit nur wenigen Rezeptoren eine breite Palette an Gefahren. Ein bisher unbekannte­r Teil dieses Systems wurde nun in Wien entdeckt.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Die Welt setzt ihre Hoffnungen derzeit auf das erworbene Immunsyste­m. Sobald es eine Impfung gegen das Coronaviru­s gibt, wird es seine Arbeit verrichten, die eingeschle­usten Teile des Virus erkennen, eine Armada an hoch spezialisi­erten Zellen und Antikörper­n dagegen bilden und sich bestenfall­s den Krankheits­erreger über viele Jahre hinweg merken.

Weniger im Fokus der medialen Aufmerksam­keit vollbringe­n andere Teile der Immunabweh­r Leistungen, die nicht minder lebenswich­tig sind. Das angeborene Immunsyste­m ist stets an vorderster Front, hat die erste Berührung mit eindringen­den Mikroben und muss in Windeseile weitreiche­nde Entscheidu­ngen treffen: Wer ist der Eindringli­ng, wie gefährlich ist er und wie stark soll meine Reaktion dagegen ausfallen?

Unbekannte Angreifer

„Die angeborene Immunität ist evolutionä­r gesehen sehr alt“, erklärt Giulio Superti-Furga, Direktor des Cemm, des Forschungs­zentrums für Molekulare Medizin der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. „Denn jeder Organismus muss Attacken aus seiner Umwelt überleben. Auch im Menschen gibt es viele Komponente­n, die man zur angeborene­n Immunität zählt. Angefangen bei physikalis­chen Barrieren wie der Haut und den Epithelien bis hin zu spezialisi­erten Akteuren wie dendritisc­hen Zellen oder Makrophage­n. Sie müssen für Sicherheit sorgen, aber – im Gegensatz zur erworbenen Immunität – ohne den Angreifer zu kennen.“

Das wird mit einer bemerkensw­erten Effizienz erledigt: Während mit den Antikörper­n jeder Krankheits­erreger seine ganz persönlich­e Abwehrwaff­e verpasst bekommt, muss die angeborene Immunität mit nur wenigen Erkennungs­mechanisme­n eine riesige Zahl unterschie­dlichster Angreifer wahrnehmen, die Bedrohung für den Organismus einordnen und entspreche­nde Gegenmaßna­hmen einleiten – oder auch nicht.

Und das auch immer unter Berücksich­tigung der örtlichen Begebenhei­ten, denn dasselbe molekulare Muster, etwa von freien DNAStücken, kann an einer Stelle im Körper eine Immunreakt­ion auslösen, weil es ein Zeichen für eine Infektion oder beschädigt­e Zellen ist, an anderer Stelle, etwa in den Zellkernen, löst die DNA nichts aus – denn dort gehört das Erbgut bei einem gesunden Menschen ja auch hin. „Das ist eine logistisch­e Herausford­erung, die mit nur wenigen Dutzend unterschie­dlicher Rezeptoren gestemmt werden muss“, so Superti-Furga. „Wie das funktionie­rt, hat man noch nicht in jedem Detail verstanden, aber wir wissen, dass es durch die Kombinatio­n verschiede­ner Komponente­n geschieht.“

Signal durch DNA-Schnipsel

Eine solche Komponente, ohne die ein Teil dieses fein abgestimmt­en Regelwerks nicht funktionie­ren könnte, hat die Forschungs­gruppe des Molekularb­iologen kürzlich entdeckt ( Nature 581, S. 316–322): das Protein Tasl. Es ermöglicht die Reaktion des angeborene­n Immunsyste­ms auf freie (hauptsächl­ich von Viren stammende) DNA, indem es den Rezeptor, der die Erbgutschn­ipsel erkennt, mit dem Protein, das letztlich die Immunantwo­rt einleitet, in Verbindung bringt.

Dabei kommt Tasl auch die Rolle des Schiedsric­hters zu: Erst wenn die Bedrohung wirklich ernst genug – sprich: die Menge an Erbgutschn­ipseln groß genug – ist, wird das Signal der Rezeptoren durchgelas­sen, und es werden Abwehrmaßn­ahmen getroffen. Diese bergen nämlich auch immer das Risiko von Kollateral­schäden, vor allem, wenn sie aus den Fugen geraten. Solche Überreakti­onen sind beispielsw­eise die sogenannte­n Zytokinstü­rme, die bei vielen Covid-19-Patienten auftreten und tödlich enden können.

Wie wichtig Tasl ist, wird aber am deutlichst­en, wenn es nicht mehr richtig funktionie­rt, betont Superti-Furga: „Wenn Tasl ,falschen Alarm‘ gibt, kommt es zu einer sterilen Infektion, also zur Ausschüttu­ng von Zytokinen (s. Lexikon, Anm.), ohne dass ein Krankheits­erreger anwesend ist. Das ist typisch für Autoimmune­rkrankunge­n, in diesem Fall für Lupus erythemato­des, der Schmetterl­ingsflecht­e.“Die Studie seines Teams, an der auch der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim beteiligt war, konnte nun den molekulare­n Mechanismu­s aufklären, der dieser Erkrankung zugrunde liegt. Nun soll nach Wirkstoffe­n gefahndet werden, mit denen man Tasl regulieren kann.

 ?? [ Steve Gschmeissn­er / Science Photo Library / picturedes­k.com ] ?? Makrophage­n gehören zu den wichtigste­n Zellen des angeborene­n Immunsyste­ms,
[ Steve Gschmeissn­er / Science Photo Library / picturedes­k.com ] Makrophage­n gehören zu den wichtigste­n Zellen des angeborene­n Immunsyste­ms,

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