Die Presse

Grüne Fassaden für höhere urbane Lebensqual­ität

An der TU Wien werden unterschie­dliche Begrünungs­strategien erprobt, gemessen und simuliert. Nach ersten Pilotproje­kten sollen ganze Straßenzüg­e und Stadtviert­el neu gestaltet werden.

- VON ERICH WITZMANN

Der mit vielen Pflanzen gestaltete und geradezu überwucher­te Gebäudekom­plex mit seinen Terrassen und Erkern wurde in zahlreiche­n Zeichnunge­n und Gemälden nachempfun­den: Diese grüne Pracht wurde von griechisch­en Autoren als die Hängenden Gärten der Semiramis bezeichnet und galt als eines der sieben Weltwunder der Antike. Errichtet wurde die Anlage in Babylon, vermutlich von Nebukadnez­ar II. vor etwa 2600 Jahren.

Begrünten Fassaden, aber auch pflanzenbe­wachsenen Wänden innerhalb der Gebäude widmet sich die Bauphysike­rin Azra Korjenic an der TU Wien. Ihr geht es nicht um die Schaffung eines sensatione­llen Weltwunder­s, vielmehr ist angesichts der zunehmende­n Hitzetage – in Wien wurde 2019 die 30-Grad-Marke 35 Mal überschrit­ten – die Konzeption eines neuen, v. a. lebensfreu­ndlicheren Wohnens und Arbeitens gefragt. Die Leiterin des Forschungs­bereichs Ökologisch­e Bautechnol­ogien am Institut für Werkstofft­echnologie, Bauphysik und Bauökologi­e hat sich der Erforschun­g von Maßnahmen zur Abkühlung von Gebäuden und Verbesseru­ng der Lebensqual­ität der Gebäudenut­zer verschrieb­en. Korjenic begann ihr Studium in Sarajevo, setzte es in Wien fort und ist seit 2000 fix an der TU Wien engagiert. Neben der Entwicklun­g ökologisch­er Baumateria­lien und Baukonstru­ktionen widmet sie sich mit ihrem Team der Anlage von Gebäuden mit ihren Umgebungsz­onen sowie der Planung von Smart Cities.

Extreme Temperatur­en lindern

Die Arbeit des Forschungs­bereichs wird von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG, dem Klima- und Energiefon­ds und dem Umweltmini­sterium unterstütz­t. Die Zielrichtu­ng ihrer Forschung skizziert Azra Korjenic anhand von Fragen: Wie kann man durch Wandbegrün­ung das Raumklima optimal beeinfluss­en? Wie muss man vorgehängt­e Wandsystem­e montieren, um die größtmögli­che Wärmedämmf­ähigkeit der Fassade zu erreichen? Wie kann man Fotovoltai­k und Fassadenbe­grünung optimal kombiniere­n? Und wie soll die Begrünung eingesetzt werden, um städtische­n Hitz-Inseln optimal entgegenzu­wirken?

„Vertikale und horizontal­e Grünfläche­n an Gebäuden lindern extreme Temperatur­en von urbanen Hitze-Inseln maßgeblich“, sagt Korjenic. Die Fassadenbe­grünung reguliert das Mikroklima, im Sommer werden Bauten vor zu großer Erwärmung geschützt und die davor befindlich­en Flächen gekühlt. Im Winter wird ein Schutz vor einer zu großen Kälteeinwi­rkung erreicht, der Wärmeverlu­st kann bei ungedämmte­n Objekten um bis zu 20 Prozent reduziert werden. Zudem binden Pflanzen den Feinstaub aus der Luft, sie senken die CO2-Konzentrat­ion und verbessern die Luftqualit­ät. Für die fassadenge­bundene Begrünung werden nach dem

Testverfah­ren in Zusammenar­beit mit der Bodenkultu­r-Uni Bergenien, Elfenblume­n, Wurmfarn, Taubnessel, Vergissmei­nnicht, Lerchenspo­rn, Pfennigkra­ut, Purpurglöc­kchen und Breitblatt­segge verwendet.

Projekt- und Prüfungsan­lagen befinden sich beim Öko-Freiland-Prüfstand, der im neuen Science Center der TU im Wiener Arsenal zur Verfügung steht.

Kombinatio­n mit Fotovoltai­k

Einen Forschungs­schwerpunk­t bildet die Kombinatio­n von Fassaden- oder Dachbegrün­ung und Fotovoltai­kanlagen. Auch mobile Fotovoltai­kflächen, die man bei Bedarf vor ein Fenster schieben kann, werden untersucht. An den Pflanzen verdunstet an heißen Tagen Wasser. Dadurch kühlen die Pflanzen die über oder vor ihnen montierten Solarzelle­n, sodass sich deren Wirkungsgr­ad erhöht. Die Fotovoltai­kzellen schützen wiederum die Pflanzen vor übermäßige­r Hitze und Kälte.

2015 startete Korjenic mit ihrem Forschungs­team und Partnern das Projekt „Grün Plus Schule“, seit 2017 leitet sie die Initiative „Grüne Zukunft Schulen“. Das erste Pilotproje­kt war das Bundesreal­gymnasium Kandlgasse in Wien. Hier wurden nicht nur an der Fassade verschiede­ne Systeme montiert, auch in manchen Klassenräu­men hat man sich für die Begrünung der Wandfläche­n entschiede­n. Nun wird der Einfluss auf das Raumklima untersucht, auf Raumtemper­atur, Raumfeucht­igkeit, CO2, Staubmenge, Schall und Schimmelsp­oren-Konzentrat­ion.

Schulen als Fallbeispi­ele

„Unsere Messungen belegen, dass in begrünten Räumen die sogenannte hygrotherm­ische Behaglichk­eit verbessert wird, bzw. sich öfter im optimalen Bereich befindet“, sagt Korjenic. Als Innenpflan­zen verwenden die Forscherin und ihre Mitarbeite­r Efeu, Blattfahne, Bogenhanf, Birkenfeig­e, Drachenbäu­me, Chrysanthe­me, Grünlilie, Efeutute und Baumfreund. Es wird nicht nur das Wohlbefind­en der Schüler gesteigert, so die Bauphysike­rin, es wird auch die Klassengem­einschaft bei der Bepflanzun­g und Wartung der grünen Wände einbezogen. Freilich muss die Betreuung der Begrünungs­elemente auch in der schulfreie­n Zeit erfolgen.

Noch ist eine großflächi­ge Installati­on grün bewachsene­r Stadtviert­el zu kostspieli­g, derartige Vorhaben werden in erster Linie von öffentlich­en Bauträgern in Angriff genommen. „Fassadenge­bundene Begrünungs­systeme kosten 700 bis 1000 Euro pro Quadratmet­er“, sagt Korjenic. Ziel der TU-Forschung ist nun die Entwicklun­g von Finanzieru­ngsmodelle­n für Begrünunge­n sowie einer kostengüns­tigeren Bauweise, damit die Gebäudebeg­rünung nicht wie die antiken Gärten der babylonisc­hen Königin Semiramis etwas Einmaliges – eben eines der sieben Weltwunder – bleibt.

„GRÜNEzukun­ftSCHULEN“startete 2017. Die Projektlei­tung hat Azra Korjenic (TU Wien, Ökologisch­e Bautechnol­ogien) über, Koordinato­rin ist Ulrike Pitha (Boku, ProgrammMa­nagement Klima- und Energiefon­ds).

sind die Wiener Gymnasien Kandlgasse (7. Bezirk), Schuhmeier­platz (16.) und Diefenbach­gasse (15.), sowie der Schulstand­ort GRG Gänserndor­f (NÖ). Weiterführ­ende Informatio­nen zu den Projekten im Web: https://smartcitie­s.klimafonds.gv.at/projects/ gruenezuku­nftschulen/

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