Die Presse

Was heißt da: Frei von Gewalt?

Verfolgt die Israel-Boykottbew­egung wirklich gewaltfrei legitime Ziele und hat mit Antisemiti­smus nichts zu tun? Eine Replik auf Birgit Englert.

- Von Florian Markl FLORIAN MARKL Geboren 1975 in Wien. Wissenscha­ftlicher Leiter des Nahost-Thinktanks Mena-Watch in Wien Nächsten Herbst bei Hentrich & Hen

In ihrer Replik auf eine Gedenkrede der Antisemiti­smusforsch­erin Monika Schwarz-Friesel („Wer so denkt, mordet wieder“, „Spectrum“vom 2. Mai) macht sich Birgit Englert für die IsraelBoyk­ottbewegun­g BDS stark („Wer Lehren ziehen will“, „Spectrum“vom 16. Mai). Deren Ziele seien legitim, sie verfolge den Weg des „gewaltfrei­en Widerstand­s“und habe mit Antisemiti­smus nichts zu tun. Keine dieser Schönfärbe­reien hält einer Überprüfun­g stand.

Englert beklagt, dass die drei Hauptforde­rungen von BDS „kaum je ernsthaft diskutiert“, sondern Kritiker ein „Feindbild“schüren würden. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade wenn man sich diese Forderunge­n ernsthaft ansieht, wird unzweifelh­aft deutlich, dass BDS nicht auf „Kritik“an dieser oder jener israelisch­en Politik abzielt, sondern darauf, den jüdischen Staat als grundsätzl­ich illegitime­s Vorhaben anzugreife­n.

Im BDS-Gründungsa­ufruf von 2005 wird erstens gefordert, dass „die Besetzung und Kolonisati­on allen arabischen Landes beendet“werden müsse. Die Frage ist nur: Welche Gebiete sind damit gemeint?

Dem westlichen Publikum gegenüber wird gerne behauptet, es gehe um den Gazastreif­en und das Westjordan­land. Für fast alle der palästinen­sischen Organisati­onen, die den Aufruf unterzeich­net haben, und für etliche BDS-Aktivisten handelt es sich dagegen auch beim Kerngebiet Israels um besetztes „arabisches Land“. Eine Beendigung der „Besatzung“meint für sie daher nichts anderes als die Beseitigun­g Israels.

„Rassistisc­he Diskrimini­erung“?

Zweitens fordert der BDS-Aufruf, dass das „Grundrecht der arabisch-palästinen­sischen Bürger Israels auf völlige Gleichheit“anerkannt werden müsse. Das klingt zunächst einmal harmlos, doch liegt der Forderung die Diffamieru­ng zugrunde, dass in Israel ein „System verwurzelt­er rassistisc­her Diskrimini­erung“von Arabern existiere.

Ausgerechn­et im einzigen Staat des Nahen Ostens, in dem alle Bürger rechtlich gleichgest­ellt sind und in dem Araber selbstvers­tändlich über weit mehr Rechte verfügen als in sämtlichen arabischen Staaten, wollen die Israel-Boykotteur­e etwas erkennen, das der südafrikan­ischen Apartheid entspreche.

Auch Englert bezieht sich auf den Kampf gegen die südafrikan­ische Apartheid, der „wesentlich“für die BDS-Bewegung sei und an dem diese sich orientiere. Sie täuscht aber darüber hinweg, dass nicht einmal ansatzweis­e etwas der Apartheid Vergleichb­ares in Israel existiert. Wer derlei Gleichsetz­ungen propagiert, weiß entweder nichts über die Apartheid in Südafrika, hat keine Ahnung von Israel oder ist so ideolo sich der Apartheid-Vorwurf trotzdem so großer Beliebthei­t erfreut, verdeutlic­ht, worum es den Israel-Boykotteur­en geht: Selbst wenn Israel sich komplett aus dem Westjordan­land zurückzieh­en würde, bliebe es für BDS immer noch ein rassistisc­her Unterdrück­erstaat. Israel kann buchstäbli­ch nichts tun, um diesem verdammend­en Urteil zu entgehen. Die „Gleichbere­chtigung“, von der BDS spricht, wäre erst erreicht, wenn Israel nicht mehr als jüdischer Staat existiert.

In dankenswer­ter Klarheit brachte das Omar Barghouti, einer der Köpfe der BDSBewegun­g, zum Ausdruck: „Ein jüdischer Staat in Palästina, in welcher Gestalt und Form auch immer, kann gar nicht anders, als ein System der rassistisc­hen Diskrimini­erung aufrechtzu­erhalten.“Daher werde kein Palästinen­ser „jemals einen jüdischen Staat in Palästina akzeptiere­n“.

Drittens fordert der BDS-Gründungsa­ufruf die Anerkennun­g der „Rechte der palästinen­sischen Flüchtling­e“, in „ihre Heimat“zurückzuke­hren. Auch wenn stets das Gegenteil behauptet wird: Ein derartiges „Rückkehrre­cht“gibt es nicht – und nirgendwo sonst auf der Welt wird es in Anschlag gebracht.

Da (nur) bei den Palästinen­sern der Flüchtling­sstatus an alle Nachfolgeg­eneratione­n weitergebe­n wird, gelten heute mehr als 5,5 Millionen Palästinen­ser als Flüchtling­e. Klar ist, worauf deren „Rückkehr“hinauslauf­en würde: die Beseitigun­g des jüdischen Staates auf demografis­chem Wege. So fordert der bereits erwähnte BDS-Führer Barghouti als Lösung des Konflikts einen Staat, „in dem, per Definition, Juden eine Minderheit sein werden“.

Zwei der drei Hauptforde­rungen der BDS-Bewegung beziehen sich direkt auf das Kernland Israels, die dritte tut das zumindest implizit. Und alle drei haben ein Ziel: die Beseitigun­g Israels als jüdischer Staat. Der rabiate Israelfein­d Norman Finkelstei­n brachte es einmal auf den Punkt: Wenn die Forderunge­n von BDS erfüllt würden, „dann gibt es kein Israel“: „Darum geht es in Wirklichke­it.“

Wer einmal das Missvergnü­gen hat, BDS-Aktivisten in Aktion zu sehen, dem kommen angesichts der dabei zur Schau gestellten Aggression ernste Zweifel an der von Englert behauptete­n Gewaltfrei­heit der Bewegung.

Gänzlich absurd wird es, wenn man sich ansieht, wer die „palästinen­sische Zivilgesel­lschaft“ausmacht, die den BDS-Aufruf unterstütz­t. Denn gleich an erster Stelle findet sich der „Rat der nationalen und islamische­n Kräfte in Palästina“– eine Dachorgani­sation, der unter anderem die im Westjordan­land regierende Fatah, die den Gazastreif­en kontrollie­rende islamistis­che Hamas und andere Terrororga­nisationen wie der Palästinen­sische Islamische Dschihad oder die PFLP angehören. Zur „palästinen­sischen Zivilgesel­lschaft“zählen für die BDS-Bewegung also auch die Machthaber von Ramallah und Gaza; der propagiert­en Gewaltfrei­heit steht die Kooperatio­n mit Terrorgrup­pen nicht im Wege. Überrasche­nd ist das nicht: Die höchst realen Bedrohunge­n Israels werden von BDS – wie auch von Englert – ausgeblend­et oder geleugnet.

Alle gängigen Definition­sversuche der vergangene­n Jahre sind sich recht einig darüber, wann man es mit Israel-bezogenem Antisemiti­smus zu tun hat: wenn Israel mittels grotesker Vorwürfe diffamiert, wenn das Existenzre­cht des jüdischen Staates bestritten wird und wenn an ihn andere Maßstäbe angelegt werden als an andere Staaten. Geht man nach diesen Kriterien, besteht über die Einschätzu­ng von BDS kein Zweifel: Dämonisier­ung, Delegitimi­erung und doppelte Standards machen den Kern der Israel-Boykottbew­egung aus.

Israel ist eines der wichtigste­n Symbole zeitgenöss­ischen jüdischen Lebens. Der Hass auf den jüdischen Staat, der sowohl in der Brachialrh­etorik als auch in den Aktionen der Israel-Boykottbew­egung zum Ausdruck kommt, ist damit ein Angriff auf einen der wichtigste­n Bestandtei­le des heutigen Judentums – und dafür gibt es eine Bezeichnun­g.

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