Was heißt da: Frei von Gewalt?
Verfolgt die Israel-Boykottbewegung wirklich gewaltfrei legitime Ziele und hat mit Antisemitismus nichts zu tun? Eine Replik auf Birgit Englert.
In ihrer Replik auf eine Gedenkrede der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel („Wer so denkt, mordet wieder“, „Spectrum“vom 2. Mai) macht sich Birgit Englert für die IsraelBoykottbewegung BDS stark („Wer Lehren ziehen will“, „Spectrum“vom 16. Mai). Deren Ziele seien legitim, sie verfolge den Weg des „gewaltfreien Widerstands“und habe mit Antisemitismus nichts zu tun. Keine dieser Schönfärbereien hält einer Überprüfung stand.
Englert beklagt, dass die drei Hauptforderungen von BDS „kaum je ernsthaft diskutiert“, sondern Kritiker ein „Feindbild“schüren würden. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade wenn man sich diese Forderungen ernsthaft ansieht, wird unzweifelhaft deutlich, dass BDS nicht auf „Kritik“an dieser oder jener israelischen Politik abzielt, sondern darauf, den jüdischen Staat als grundsätzlich illegitimes Vorhaben anzugreifen.
Im BDS-Gründungsaufruf von 2005 wird erstens gefordert, dass „die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes beendet“werden müsse. Die Frage ist nur: Welche Gebiete sind damit gemeint?
Dem westlichen Publikum gegenüber wird gerne behauptet, es gehe um den Gazastreifen und das Westjordanland. Für fast alle der palästinensischen Organisationen, die den Aufruf unterzeichnet haben, und für etliche BDS-Aktivisten handelt es sich dagegen auch beim Kerngebiet Israels um besetztes „arabisches Land“. Eine Beendigung der „Besatzung“meint für sie daher nichts anderes als die Beseitigung Israels.
„Rassistische Diskriminierung“?
Zweitens fordert der BDS-Aufruf, dass das „Grundrecht der arabisch-palästinensischen Bürger Israels auf völlige Gleichheit“anerkannt werden müsse. Das klingt zunächst einmal harmlos, doch liegt der Forderung die Diffamierung zugrunde, dass in Israel ein „System verwurzelter rassistischer Diskriminierung“von Arabern existiere.
Ausgerechnet im einzigen Staat des Nahen Ostens, in dem alle Bürger rechtlich gleichgestellt sind und in dem Araber selbstverständlich über weit mehr Rechte verfügen als in sämtlichen arabischen Staaten, wollen die Israel-Boykotteure etwas erkennen, das der südafrikanischen Apartheid entspreche.
Auch Englert bezieht sich auf den Kampf gegen die südafrikanische Apartheid, der „wesentlich“für die BDS-Bewegung sei und an dem diese sich orientiere. Sie täuscht aber darüber hinweg, dass nicht einmal ansatzweise etwas der Apartheid Vergleichbares in Israel existiert. Wer derlei Gleichsetzungen propagiert, weiß entweder nichts über die Apartheid in Südafrika, hat keine Ahnung von Israel oder ist so ideolo sich der Apartheid-Vorwurf trotzdem so großer Beliebtheit erfreut, verdeutlicht, worum es den Israel-Boykotteuren geht: Selbst wenn Israel sich komplett aus dem Westjordanland zurückziehen würde, bliebe es für BDS immer noch ein rassistischer Unterdrückerstaat. Israel kann buchstäblich nichts tun, um diesem verdammenden Urteil zu entgehen. Die „Gleichberechtigung“, von der BDS spricht, wäre erst erreicht, wenn Israel nicht mehr als jüdischer Staat existiert.
In dankenswerter Klarheit brachte das Omar Barghouti, einer der Köpfe der BDSBewegung, zum Ausdruck: „Ein jüdischer Staat in Palästina, in welcher Gestalt und Form auch immer, kann gar nicht anders, als ein System der rassistischen Diskriminierung aufrechtzuerhalten.“Daher werde kein Palästinenser „jemals einen jüdischen Staat in Palästina akzeptieren“.
Drittens fordert der BDS-Gründungsaufruf die Anerkennung der „Rechte der palästinensischen Flüchtlinge“, in „ihre Heimat“zurückzukehren. Auch wenn stets das Gegenteil behauptet wird: Ein derartiges „Rückkehrrecht“gibt es nicht – und nirgendwo sonst auf der Welt wird es in Anschlag gebracht.
Da (nur) bei den Palästinensern der Flüchtlingsstatus an alle Nachfolgegenerationen weitergeben wird, gelten heute mehr als 5,5 Millionen Palästinenser als Flüchtlinge. Klar ist, worauf deren „Rückkehr“hinauslaufen würde: die Beseitigung des jüdischen Staates auf demografischem Wege. So fordert der bereits erwähnte BDS-Führer Barghouti als Lösung des Konflikts einen Staat, „in dem, per Definition, Juden eine Minderheit sein werden“.
Zwei der drei Hauptforderungen der BDS-Bewegung beziehen sich direkt auf das Kernland Israels, die dritte tut das zumindest implizit. Und alle drei haben ein Ziel: die Beseitigung Israels als jüdischer Staat. Der rabiate Israelfeind Norman Finkelstein brachte es einmal auf den Punkt: Wenn die Forderungen von BDS erfüllt würden, „dann gibt es kein Israel“: „Darum geht es in Wirklichkeit.“
Wer einmal das Missvergnügen hat, BDS-Aktivisten in Aktion zu sehen, dem kommen angesichts der dabei zur Schau gestellten Aggression ernste Zweifel an der von Englert behaupteten Gewaltfreiheit der Bewegung.
Gänzlich absurd wird es, wenn man sich ansieht, wer die „palästinensische Zivilgesellschaft“ausmacht, die den BDS-Aufruf unterstützt. Denn gleich an erster Stelle findet sich der „Rat der nationalen und islamischen Kräfte in Palästina“– eine Dachorganisation, der unter anderem die im Westjordanland regierende Fatah, die den Gazastreifen kontrollierende islamistische Hamas und andere Terrororganisationen wie der Palästinensische Islamische Dschihad oder die PFLP angehören. Zur „palästinensischen Zivilgesellschaft“zählen für die BDS-Bewegung also auch die Machthaber von Ramallah und Gaza; der propagierten Gewaltfreiheit steht die Kooperation mit Terrorgruppen nicht im Wege. Überraschend ist das nicht: Die höchst realen Bedrohungen Israels werden von BDS – wie auch von Englert – ausgeblendet oder geleugnet.
Alle gängigen Definitionsversuche der vergangenen Jahre sind sich recht einig darüber, wann man es mit Israel-bezogenem Antisemitismus zu tun hat: wenn Israel mittels grotesker Vorwürfe diffamiert, wenn das Existenzrecht des jüdischen Staates bestritten wird und wenn an ihn andere Maßstäbe angelegt werden als an andere Staaten. Geht man nach diesen Kriterien, besteht über die Einschätzung von BDS kein Zweifel: Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards machen den Kern der Israel-Boykottbewegung aus.
Israel ist eines der wichtigsten Symbole zeitgenössischen jüdischen Lebens. Der Hass auf den jüdischen Staat, der sowohl in der Brachialrhetorik als auch in den Aktionen der Israel-Boykottbewegung zum Ausdruck kommt, ist damit ein Angriff auf einen der wichtigsten Bestandteile des heutigen Judentums – und dafür gibt es eine Bezeichnung.