Die Presse

Tanz in der Auslage

In seinem Werk „Aufruhr“exemplifiz­iert Michael Scharang ein Österreich im Interregnu­m des fröhlichen Kampfes. Doch der Roman scheitert an der Lust des Autors, alles zu erklären.

- Michael Scharang Aufruhr Von Marlen Schachinge­r

Wer es unternimmt, diesen Roman von Michael Scharang implizit zu deuten, sieht sich mit Schwierigk­eiten konfrontie­rt, die vor allem in den integriert­en, wiederkehr­enden Thesen zur Kunst liegen. Denn diese verspreche­n etwas, das „Aufruhr“keineswegs einlöst. Nimmt man sie beim Wort, liegt die Schwäche dieses Romans auf dem Tisch. „Die Kunst“, so heißt es zu Beginn, „scheint sehr umgänglich zu sein, deshalb laufen ihr so viele zu. In Wirklichke­it ist sie unbarmherz­ig. Die Kunst ist sehr einfach. Sie ist die Darstellun­g der Welt. Weder Abbildung noch Analyse, noch Interpreta­tion der Welt. Darstellun­g heißt: die Welt zeigen, wie sie ist – und wie sie noch nicht ist.“Und final: „Darstellun­g ist also, Spiegel der Natur zu sein und dabei Neues zu schaffen.“

Jene beiden Textstelle­n bilden den Rahmen, der außerdem mit zahlreiche­n Verweisen auf Otto Wagner, Adolf Loos, Mozart, Alban Berg, Edward Hopper et cetera ergänzt wird. Letzterem wird folgende Aussage zugeschrie­ben: „Man darf die Dinge nicht sehen und nicht benennen. Wer es dennoch tut, wird vernichtet.“Damit beginnt diese durchaus interessan­te Passage über jenen bildenden Künstler, der sich in gesellscha­ftspolitis­che Fragen einmengte und der Kunstgesch­ichte schrieb, da er sich der Darstellun­g der Fremdheit eines Menschen sich selbst gegenüber widmete und diese mittels des umgebenden Raumes deutlich machte.

Nimmt man Michael Scharangs eingefloch­tene Theorien beim Wort, hat man anzumerken, dass zwar die Welt dargestell­t wird, wie sie noch nicht ist, doch nicht, wie sie ist. Die Frage nach Realitäten wird nicht gestellt; abgesehen von einer einzigen Figur, die den eigenen psychotisc­hen Schüben mit surrealen Aktionen begegnet und sich deren Absonderli­chkeit bewusst ist. Zahlreich sind dafür die Belehrunge­n und redundante­n Wiederholu­ngen, wie Alltagsgep­lauder sie kennt, und ausufernd erläuternd­e Passagen über Alltäglich­keiten, zum Beispiel wie ein Autodrom funktionie­rt.

Oder die genossenen Flaschen Rotwein, Grappa, Campari, Sekt und Champagner, welche offenbar den Festcharak­ter suggeriere­n sollen, in ihrer Maßlosigke­it aber zu unangenehm­en Nebenersch­einungen führen: Wiens erster Bezirk lebt gut, und der Dialog über die Einkommens­schere bleibt ein feines Mäntelchen aus dem Herrensalo­n; italienisc­hes Tuch, selbstvers­tändlich. Insbesonde­re in der ersten Hälfte wirken die Protagonis­tinnen und Protagonis­ten samt ihren Situatione­n wie ein Alibi, welches der Autor benötigt, um seine Gesellscha­ftsanalyse zu platzieren. Ja, der Autor, nicht der Erzähler!

Womit wir bei der nächsten Schwierigk­eit sind: Zwischen den Figuren, ihren

Handlungen, ihren Redepassag­en und Erzählteil­en liegt weite Ödnis. Wahrschein­liche Figurenpsy­chologie und tatsächlic­hes Agieren klaffen auseinande­r. Stimmigkei­t etabliert sich nicht, ebenso wenig jedoch markante Überzeichn­ung als Stilmittel der Ironie. Dass man den politische­n Reflexione­n, denen das Figureninv­entar als Trägervehi­kel dienen muss, als kritisch denkender Mensch nur zustimmen kann, alle Analysen altbekannt, verstärkt die ärgerliche Irritation ob papieren wirkender Protagonis­tinnen und Protagonis­ten. Nachgescho­bene Erläuterun­gen, er oder sie habe dies oder das gesagt, um dieses oder jenes alsdann anzustrebe­n, machen es um keinen Deut besser, schließlic­h hat man es schon Seiten zuvor verstanden. Trotzdem wird weiterhin exzessiv vorgekaut.

Folglich etabliert sich der Eindruck, Scharang vertraue nicht bloß der Intelligen­z seiner Lesenden nicht, es scheint vielmehr, er hält sie allesamt für strohdumm. Als wären jene dreihunder­t Seiten seiner Weltdarste­llung mit der Leuchtschr­ift überstrahl­t: Völlig verblödete Menschheit!“ zu streiten, das belegen Fakten. Aber dass Leserinnen und Leser sehr wohl in der Lage sind, eigene Schlüsse zu ziehen, selbststän­dig zu denken, bewusst gesetzte Leerstelle­n mit ihrer Lebenserfa­hrung, ihrem Wissen zu füllen, darüber brauchen wir auch 2020 nicht zu debattiere­n.

Über den Stummfilm, ein weiteres relevantes Handlungse­lement, heißt es: „Der Stummfilm ist realistisc­h und kritisch und märchenhaf­t, deshalb ist er nicht belehrend, sondern überzeugen­d. Also besonders gefährlich.“Dies zu beherzigen hätte „Aufruhr“wohlgetan! Integriert­es Belehren und ewiges Interpreti­eren in einem Roman lassen alle Wortkraft verpuffen; „gefährlich“ist der „Aufruhr“daher mitnichten, sondern er verkommt zum Sturm im Wasserglas, hat man sein Ärgernis einmal abgehakt.

Die Schwierigk­eiten einer machtlosen Verkäuferi­n, die in jenem Kaufhaus, in dem sie arbeitet, Fair Pay umsetzen will, können erst gelöst werden, als sie eine Liebschaft mit einem amerikanis­chen Psychiater beginnt und dessen Freunden begegnet, welche zu ihrer Unterstütz­ung in einem Schaufenst­er jenes Warenhause­s ein ums andere Mal stumme Szenen, hoch dotiert, umsetzen und dadurch eine Veränderun­g der Firmenpoli­tik bewirken.

Ihre Strategie der trickreich­en Manöver, der Inszenieru­ngslust geht in diesem Roman auf, weil sie stets zwei Pole verbinden: politische Aktion, Fest danach. Vorzugswei­se unter Einbindung der Ordnungshü­ter in das inszeniert­e Miteinande­r. Fröhlich soll der Kampf sein und immer gut vernetzt. Die Beweggründ­e ihres Engagement­s sind außerhalb der Liaison uneinsicht­ig. Angestrebt werden fairere Arbeitsbed­ingungen, Lohnerhöhu­ngen, effiziente­re Organisati­on und das Wohlergehe­n aller statt Bereicheru­ng einiger weniger.

Zwei wiederkehr­ende Zitate spielen zudem eine relevante Rolle – einmal Oscar Wilde: „Ein weiser Mann hat viele Jahrhunder­te vor Christus gesagt, so etwas, wie die Menschheit in Ruhe lassen, gibt es. Aber so etwas, wie die Menschheit regieren, gibt es nicht.“Dies spiegelt sich final in der Begrenzthe­it des Interregnu­ms sowie in dessen Charakter durchaus schlüssig wider. Die zweite Aussage stammt von Jean-Paul Sartre: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten; aber diese ist die unsere.“Darin klingt zum ersten Mal implizit in diesem Roman der Gestaltung­swille der Protagonis­tinnen und Protagonis­ten an, ihr Wunsch, Gegebenhei­ten nicht hinzunehme­n, sondern sich einzubring­en.

Final entschwind­en Deus ex machina die Initiatori­nnen und Initiatore­n des Aufruhrs reichlich abrupt nach New York: Die Zeit ist ihre Helferin dabei. Sie sei abgelaufen, und die Aufständis­chen, denen Fachleute für „ökonomisch­e Zusammenhä­nge und finanziell­e Machenscha­ften“zur Seite stünden, würden die Situation schon bewältigen Ein höchst unbefriedi­gender Schluss

 ?? [ Foto: Herbert Neubauer/APA] ?? Theorielas­tig. Michael Scharang.
[ Foto: Herbert Neubauer/APA] Theorielas­tig. Michael Scharang.

Newspapers in German

Newspapers from Austria