James Bond und die Geistseele
Eigentlich, so könnte man nach der Lektüre des Romans „Picknick im Dunkeln“annehmen, wollte der Autor ursprünglich eine gut lesbare Biografie des Thomas von Aquin schreiben, um seinem Enthusiasmus, den er für den mittelalterlichen Theologen und Philosophen empfindet, Ausdruck zu verleihen. So als wollte er gewissermaßen den Köhlmeier geben und das Vertrackte des Thomas-Universums im freundlichen Nacherzählen auch einem philosophischen Laien begreifbar machen. Jedenfalls erfahren wir in diesem Buch, in kleinen Etappen, sehr viel vom Leben und von der Philosophie des berühmtesten und wohl auch dicksten Dominikanerpaters aller Zeiten.
Eigentlich, so könnte man andererseits vermuten, habe Markus Orths als – wie wir ebenfalls in diesem Buch erfahren – großer Liebhaber der Filme von Stan Laurel und Oliver Hardy zuerst die Idee gehabt, eine Apotheose auf das Komische zu schreiben, dabei einige besonders markante Filmszenen nachzuerzählen, dergestalt eine Philosophie des Lachens zu entwerfen. Dafür hat er sich den scheinbar immer so begriffsstutzigen Stan Laurel, über dessen Hilflosigund Tolpatschigkeit wir so gerne lachen, als Protagonisten erwählt.
Eigentlich aber, und das ist nun keine Spekulation, wollte der deutsche Autor Markus Orths (Jahrgang 1969) beides, und das auf einmal. Folglich hat er sich überlegt, welchen Rahmen er für diese Doppelbiografie entwickeln könnte. Er entschied sich, naheliegend, für eine dialogische Struktur. So ergeben sich die Lebensgeschichten der beiden Helden im Hin und Wider der knappen Kapitel; das eine Mal erzählt der eine, dann kommt der andere zu Wort. Orths weiß sich in der Traditionslinie des dialogischen Prinzips, gewissermaßen von Plato bis Beckett, deren Namen er nicht zufällig nennt. Daneben hat er sich womöglich auch angesehen, wie dies Kehlmann in der „Vermessung der Welt“oder Köhlmeier in „Zwei Herren am Strand“gemacht hat.
Vor uns steht ein Komödiantenpaar, das sich, jeder nach seinen Möglichkeiten, für Philosophie begeistert. Oder anders gesagt: Wir hören zwei Schwadroneuren zu, die sich über ihre innersten Lebensprinzipien verständigen wollen. Schon schwierig: Der eine besitzt die Philosophie nur im Hosensackformat, versteht aber etwas von Komik und von Gags. Der andere, der Gebildete, der Aristoteles und Homer zitieren kann, lehnt jedoch das Lachen ab. Originell? Oder schwierig? Sowohl als auch. Denn, eigentlich, sind die beiden, wie wir auf Seite 53 überraschenderweise erfahren, schon längst gestorben, der eine 1273, der andere 1965. Wie das? Haben wir es mit Gesprächen zweier Toter, recte Untoter, zu tun, deren Sterbedatum 700 Jahre auseinanderliegt? Nicht genug der erzählerischen Erschwernisse, die beiden Männer können sich auch nicht sehen, denn sie treffen, zu allem Überfluss, in einem lichtlosen Tunnel aufeinander, in einer „alles verschlingenden, vollkommenen Dunkelheit“, aus der sie sich trotz aller Bemühungen nicht befreien können.
Diese halsbrecherische Konstruktion erfordert vom Autor einiges erzähltechnisches Raffinement. Wie macht man es dem Leser begreiflich, dass hier die Zeit außer Kraft gesetzt ist, wie erklären sich die beiden sehr zeitlich definierten Herren gegenseitig, wer sie sind, aus welchen fremden Welten sie kommen, was ihre Profession ist, worauf ihre Existenz beruht, und was sie unter Ewigkeit verstehen? Was soll sich Thomas von Aquin vorstellen, wenn (der zum Philosophen mutierte) Stan Laurel die kopernikanische Wende erklären will, von JamesBond-Filmen berichtet und von Sean Connery schwärmt? Wenn Thomas von Aquin doch nicht wissen kann, was Film und Kino ist? Und wie soll Stan Laurel begreifen, was sein Gesprächspartner über die Erschaffung der Welt, die Geistseele, über Gottesbeweise, das Übernatürliche, die Wahrheit und so weiter denkt?
Ohne Zweifel, die Biografie des Thomas von Aquin hat’s dem Autor angetan, da weitet sich das Buch zu großen Exkursen, auch zu kulturhistorischen Passagen über Kindheit und Klosterleben, die Welt der Schreiber und die Theologenzunft. Wenn dann Kant, Wittgenstein oder sogar Stanley Kubrick („Odyssee im Weltraum“, 1968!) ins Spiel gebracht wird, ächzt der erzählerische Rahmen aber ziemlich schwer, da hilft dem Leser auch die reiche Bildung des Verfassers nicht. Vielleicht spielt die schwarze Höhle ja auf Platons Höhlengleichnis an, mag schon sein.
Die Schwäche des Romans ist nicht, dass man sich in Übereinstimmung mit den beiden Helden „den Weg in die Ewigkeit gänzlich anders vorgestellt“hat, sondern dass das serielle Hin und Her des biografischen Rückblickspendels doch etwas ermüdend wird. Wie mag dieser Dialog jetzt noch weitergehen, fragt man sich leicht erschöpft in der Mitte dieses handlungsarmen Buches. „Ich verstehe nicht, was hier geschieht“, sagt Stan Laurel, und Thomas von Aquin antwortet: „Ich auch nicht.“Na denn!
Warum Stan Laurel am Ende des Romans von seinem Gesprächspartner plötzlich grob zu Boden gestoßen wird, erfährt der Leser nicht. Markus Orths skizziert eine surreale Sterbeszene, und natürlich fragt man sich, wie ein bereits Gestorbener ein zweites Mal sterben kann. Hier geht das so: Flammen breiten sich in dem schwarzen Tunnel aus, und Stan Laurel verbrennt auf mysteriöse Weise in einem, wohlgemerkt, kalten Feuer.
Die vielen, nennen wir sie freundlicherweise verblüffenden, Setzungen und Wendungen dieses Romans sind damit keineswegs auf ihrem Höhepunkt angelangt, denn Thomas von Aquin darf im allerletzten Kapitel in sein reales Leben zurückkehren, und so darf auch er, wie es überliefert ist, in der Folge eines Zusammenbruchs auf der Kanzel ebenfalls ein zweites Mal sterben. Zuvor erfasst ihn jedoch ein irrer Lachanfall: „Sein massiger Körper bebte wie von unsichtbaren Händen geschüttelt“, sein Lachen war ein „Bellen, ein Brüllen, eine Fontäne, ein Vulkan“. Von Stan Laurel hat er, wir haben es verstanden, nun doch das Lachen gelernt, und so endet Thomas von Aquin, in einer Schneeballschlacht mit seinem Assistenten Reginald von Piperno, heiter und in alle Ewigkeit lachend.
Markus Orths
Picknick im Dunkeln
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