Die Wracks von Vis
Tauchen. Die kroatische Insel Vis mit seinen römischen Ruinen und Renaissancepalästen wird zu Recht als kleines Dubrovnik bezeichnet. Wirklich berühmt ist sie aber vor allem für ihre versunkenen Schätze.
Bereits die Anfahrt ist eine Reise wert. Wer in Split das Schiff des kroatischen Fährunternehmens Jadrolinja Richtung Insel Vis besteigt, kann sich zunächst am Heck einen wunderschönen Überblick über die bei Touristen so beliebte zweitgrößte Stadt des Landes machen. Wenig später passiert die Fähre auf ihrer knapp zweieinhalbstündigen Fahrt eine kleine Meerenge zwischen zwei der schönsten kroatischen Inseln. Rechts erscheinen die schroffen Klippen der lang gezogenen Insel Solta,ˇ die bei Kroatienurlaubern als Geheimtipp gilt, von der Spliter Bevölkerung wiederum für Tagesausflüge genutzt wird. Links erkennt man die Insel Brac.ˇ Wenig später erscheint am Horizont die vom Festland am weitesten entfernte kroatische Adriainsel. Vis ist nicht nur für authentisches Kroatienflair berühmt, sondern wird auch von Wracktauchern aus aller Welt angesteuert.
Strategische Lage
Das hat einen guten Grund, denn Dutzende Schiffe und Flugzeuge sind während der wechselvollen Geschichte dieser Insel vor ihren Küsten untergegangen. Die strategische Lage der knapp 17 Kilometer langen und etwa halb so breiten 3500 Einwohner-Insel, die 55 Kilometer vom kroatischen Festland und 120 Kilometer von der italienischen Küste entfernt liegt, machte Vis häufig zum Spielball der Geschichte. Es war im 4. Jahrhundert v. Chr., als Dionysios I. von Syrakus eine griechische Kolonie auf der Insel gründete, 47 v. Chr. wurde die Insel dann ins Römische Reich eingegliedert, im Mittelalter herrschten die Venezianer und 1797 wurde Vis Teil des napoleonischen Königreichs Italien. Im Jahr 1814 kam Lissa, so der alte italienische Name von Vis, unter österreichisch-ungarische Herrschaft.
Während des dritten italienischen Unabhängigkeitskriegs stand der österreichische Admiral Wilhelm von Tegetthoff am 20. Juli 1866 einer zahlenmäßig weit überlegenen italienischen Flotte gegenüber, konnte mit einem präzisen Rammstoß das Flaggschiff Re d’Italia versenken und das Gefecht für sich entscheiden. Ende des Ersten Weltkriegs ging Lissa zunächst an Italien, später dann an das Königreich Jugoslawien. Im Zweiten Weltkrieg formierten die Partisanen unter Tito auf der Insel ihren Widerstand gegen die nationalsozialistische Besatzungsmacht. Über die Jahrhunderte fanden unzählige Schiffe in historisch bedeutsamen Seeschlachten hier ihr Ende, andere wurden Opfer der rauen und oft unberechenbaren See.
Strände & Altstadtgassen
Mittlerweile erreicht die Fähre VisStadt. Zu Recht oft als kleines Dubrovnik bezeichnet, begeistert der Ort mit römischen Ruinen, Renaissancepalästen, Kirchen und einem aus dem 16. Jahrhundert stammenden Franziskanerkloster. In der Stadt findet man einige Tauchbasen, weitere befinden sich im südwestlich gelegenen Komiza.ˇ Dort erwarten Besucher das Kastell der Serenissima, verträumte Altstadtgassen und schöne Strände mit Bars und Restaurants. Es ist dem milden Klima geschuldet, dass Tauchen auf Vis beinahe ganzjährig möglich ist. Von Anfang März bis Ende November fahren die meisten Tauchbasen eine Vielzahl von Canyons, Steilwänden, Riffen und Wracks an. Die Vielfalt an untergegangenen Schiffen und Flugzeugen ist enorm und macht Vis damit zu einer einzigartigen Anlaufstelle für Wracktaucher aus aller Welt.
Die Teti, ein 72 Meter langes Frachtschiff, das einst aufgrund eines Navigationsfehlers auf einen Felsen vor Mali Barjak aufgelaufen ist, zieht Taucher aller Ausbildungsstufen an. Bis auf eine maximale Tiefe von 34 Metern kann das vielfältige Schiffswrack erkundet werden. Hier findet man vom Trümmerfeld, über ein gut erhaltenes stählernes Steuerrad, bis zum dunklen Frachtraum voller Granitwürfel so ziemlich alles, was Wracktauchen ausmacht. Zwischendurch begegnet man riesigen Congeraalen und Muränen. Etwas fortgeschrittener sind die Tauchgänge an zwei backbordliegenden Dampfschiffen, die im klaren Wasser bereits beim Abtauchen in ihrer gesamten Größe sichtbar werden und den Puls der Taucher in die Höhe treiben. Das Wrack des über 100 Meter langen griechischen Dampfers Vassilios T. liegt in maximal 55 Metern Tiefe.
Ein Tauchgang führt zunächst vom eindrucksvollen Bug über die von roten Drachenköpfen bewohnten Aufbauten, weiter vorbei an riesigen Laderäumen, bis man schließlich die markante Schiffsschraube erreicht, die aufgrund ihrer Größe erst die wahren Dimensionen dieses Frachtschiffs erkennen lässt. Das Wrack des ehemaligen k. u. k. Passagier- und Frachtschiffs Brioni liegt zwischen 45 und 61 Metern Tiefe und überschreitet damit bereits die Grenze für die meisten Sporttaucher. Um das Wrack optimal erkunden zu können, greifen die entsprechend ausgebildeten Taucher auf ein Helium-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch zurück, das in allen Basen auf der Insel gefüllt wird.
Gut erhaltene Flugzeugwracks
Vis ist in Wracktauchkreisen vor allem auch aufgrund der Vielzahl an Flugzeugwracks bekannt. Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die Luftangriffe der Alliierten auf Österreich und Süddeutschland von Italien aus geflogen. Flugunfähige Maschinen versuchten am Rückweg auf einem kleinen Flughafen auf der Insel Vis notzulanden – nicht immer erfolgreich. Das Highlight ist das Wrack einer 23 Meter langen und 32 Meter breiten Boeing B-17 G, aufgrund ihrer Größe auch als Flying Fortress, fliegende Festung, bezeichnet. In 72 Metern Tiefe liegt eines der letzten Exemplare dieses Flugzeugtyps und das beinahe perfekt erhalten. Im Inneren können noch die Armaturen abgelesen werden, Schal
ter und Hebel ruhen in derselben Position wie vor 75 Jahren. Das Wrack eines B-24 Bombers liegt bereits in 37 Metern und ist somit mühelos von Sporttauchern erreichbar.
Neue Entdeckung
Erst vor Kurzem entdeckt wurde das Wrack der über 100 Meter langen griechischen SS Michalis Maris, die in den 1930erJahren verschwunden ist und aufrecht in 75 Metern Tiefe ruht. Der komplette Schiffskörper ist von riesigen, blau leuchtenden Gorgonien bewachsen und eine Vielzahl an großen Fischen bewohnt das Schiffsinnere. Außerdem ist das Schiff, im Gegenteil zu vielen seit Jahrzehnten bekannten Wracks, noch vollkommen ausgestattet. So erwarten Taucher Porzellanfunde und fast intakte nautische Geräte. Einen weiteren Höhepunkt stellen die „Kanonen vor Greben“dar. Vor der vorgelagerten Felsinsel Greben liegen in über 50 Metern Tiefe 16 Kanonen und mehrere Anker, die Überreste eines bewaffneten Segelschiffs, möglicherweise einer Brigg aus dem 18. Jahrhundert, sind. In über 120 Metern Tiefe ruht das Wrack der Re d’Italia, das einst vom österreichischen Admiral Tegetthoff versenkt wurde.
Am Ende einer Wracktauchwoche auf Vis nimmt man am besten die Fähre am frühen Morgen und genießt während der Fahrt einen herrlichen Sonnenaufgang am Deck der Fähre. Allein das ist bereits eine Reise wert.