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Gastkommentar. An der Universität Wien braucht es ein Kompetenzzentrum für die Kunstgeschichte der Wiener Moderne.
Almuth Spiegler hat mit ihrem Artikel „Klimt nicht nur ausstellen, auch erforschen!“(„Die Presse“, 8. 6.) eine dringend notwendige Debatte über den Stellenwert der Kunstgeschichte Österreichs an der Universität Wien angestoßen. Die kritische Reaktion der Studierendeninitiative Contemporary Matters („Die Presse“vom 24. 6.; siehe auch Spieglers Replik vom 25. 6.) gibt mir Anlass zu folgenden Bemerkungen: Niemand fordert eine nationalistische Kunstgeschichte – das wäre gerade in einer globalisierten Kultur- und Kunstlandschaft unverantwortlich. Was es braucht, ist weltweit anerkannte, höchste Kompetenz einer so wichtigen Einrichtung, wie sie das Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien ist, zur Kunstgeschichte Österreichs und vor allem der Wiener Moderne. Denn Letztere – die besser als zentraleuropäische Moderne zu beschreiben wäre – ist angesichts ihrer bahnbrechenden Qualitäten, ihrer weltumspannenden Verflechtungen und ihres weitreichenden Einflusses bis heute so bedeutend, dass ihre strukturierte Erforschung und Vermittlung eine zentrale Aufgabe des führenden Kunstgeschichte-Instituts des Landes sein muss.
Es geht nicht nur um Klimt: Ich wage die These, dass sich das internationale Forschungsinteresse eher auf Klimt und andere „Künstlerstars“der Wiener Moderne richtet als auf die vielen wenig bis gar nicht bekannten Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit. Ein stärkerer Fokus vor Ort würde hingegen das Betreten wirklichen Forschungsneulands in der Wiener Moderne fördern.
Es geht nicht nur um bildende Kunst: Wer die Wiener Moderne begreifen will, muss sich auch mit anderen Sparten und mit der Einheit der Künste befassen. Diese Grundidee der Secession verlangte zwar keine Verschmelzung von bildender und angewandter Kunst, aber deren laufenden Dialog auf Augenhöhe. Für das Verständnis der Wiener Moderne kommt den angewandten Sparten vergleichbare Bedeutung zu wie der bildenden Kunst. Dies in Forschung und Lehre zu würdigen wäre eine weitere wichtige Aufgabe des Instituts.
Was es daher braucht, ist ein universitäres Kompetenzzentrum zur Kunstgeschichte der Wiener Moderne. Diese ist wegen ihrer Weltgeltung der geeignete Mittelpunkt einer Spezialkompetenz für österreichische Kunstgeschichte und kann darüber hinaus zu einem besseren Verständnis der österreichischen Kunst davor und danach beitragen. Die Einrichtung einer Professur für österreichische Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Wiener Moderne wäre ein nachhaltiger Ansatz. Freilich dürfen die Bemühungen um eine solche Professur nicht von einem anderen dringenden Erfordernis ablenken, nämlich der festen Verankerung der Gegenwartskunst am Institut für Kunstgeschichte in Form einer Professur für zeitgenössische Kunst.
Es geht nicht nur um Klimt
Für den Aufbau eines Kompetenzzentrums zur Wiener Moderne am Institut für Kunstgeschichte bedarf es eines klugen Konzepts, das auch die vielfältigen Synergien zu interessierten Museen im In- und Ausland nutzt. Als Direktor des MAK weiß ich, dass es in der Wiener Moderne noch unendlich viel zu untersuchen und entdecken gibt. Eine inhaltlich wie finanziell fundierte Spezialexpertise des Instituts für Kunstgeschichte würde sicherstellen, dass die Wiener Moderne mit hoher Motivation und Neugier, ausreichender Ausstattung, exzellenter Vernetzung, wertvollem Lokalwissen und künftige Generationen inspirierender Verve universitär beforscht und gelehrt wird.
Christoph Thun-Hohenstein (* 1960) ist seit 2011 Generaldirektor des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien. Davor war er Leiter des Österreichischen Kulturforums in New York (1999–2007).
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