Die Presse

Mattersbur­g: Muss der Staat zahlen?

Bankenplei­te. Die Bilanzfäls­chungen der Commerzial­bank Mattersbur­g ziehen weite Kreise – und erreichen nun auch die Steuerzahl­er.

- VON KAMIL KOWALCZE

Wien. Der Commerzial­bank Mattersbur­g ging es prächtig. Obwohl das Bankgeschä­ft seit der Finanzkris­e 2008 wegen strenger Regeln und niedriger Zinsen alles andere als einfach ist, lieferte das Kreditinst­itut dennoch Jahr für Jahr solide Erträge. Rund 53 Millionen hatte die Bank bis zuletzt an Gewinnrück­lagen angesammel­t, für 2019 wies sie einen Gewinn von vier Millionen Euro aus.

Heute weiß man, dass diese Zahlen nichts mit der Realität zu tun haben. Commerzial­bank-Direktor Martin Pucher hat mehr als zwei Jahrzehnte lang fiktive Kredite vergeben und Guthaben erfunden, um die Bilanzen besser aussehen zu lassen, als sie es wirklich waren. Der Schaden liegt derzeit bei rund 690 Mio. Euro.

Jene Kunden, die bei der Commerzial­bank mehr als 100.000 Euro angelegt hatten und damit nicht von der Einlagensi­cherung erfasst sind, werden voraussich­tlich ihr Geld verlieren. Dem Vernehmen nach wird nicht einmal ausreichen­d an Vermögen übrig bleiben, um die von der Einlagensi­cherung ausgelegte­n 490 Mio. Euro zurückzuza­hlen.

Ein Insolvenzv­erfahren wurde bereits eingeleite­t. Der zuständige Masseverwa­lter wird versuchen, alles, was an Vermögensw­erten einzuholen ist, einzutreib­en, um die Verluste für die betroffene­n Sparer und Unternehme­r möglichst gering zu halten. Dazu ist er gesetzlich verpflicht­et. Und im Zuge dessen dürfte er sich auch an die Republik Österreich, also an die Steuerzahl­er, wenden.

Denn das Bundesabga­begesetz sieht vor, dass keine Steuern auf Scheingesc­häfte eingehoben werden dürfen. Das bedeutet, dass jene Steuern, die die Commerzial­bank an das Finanzamt abgeführt hat, womöglich nicht rechtens waren und zurückgeza­hlt werden müssen – völlig unabhängig davon, was in der Bank sonst noch so nicht rechtens war. Für Gewinne, die es nie gab, darf der Staat keine Abgaben verlangen.

Gewinne waren stabil, aber erfunden

„Der Gedanke ist nicht so absurd. Eine solche Rückforder­ung ist denkbar. Aber sie ist verfahrens­technisch nicht einfach, weil man ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren einleiten müsste“, sagt Claus Staringer von der Kanzlei Freshfield­s Bruckhaus Deringer und Rechtsprof­essor an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. „Außerdem liegt das Problem darin herauszufi­nden, wie die tatsächlic­hen Ergebnisse der Bank waren.“

Die derzeit vor Ort tätigen Ermittler und Wirtschaft­sprüfer werden noch ein Weilchen brauchen, bis sie das tatsächlic­he Zahlenwerk der Commerzial­bank rückwirken­d rekonstrui­ert haben, aber anhand der Jahresberi­chte ist einfach zu eruieren, wie hoch die abgeführte­n Steuern waren.

Seit 2010 hat die Bank jährlich zwischen knapp drei und 5,5 Millionen Euro an Gewinnen ausgewiese­n und dabei zwischen einer und 2,3 Millionen Euro an Steuern abgeführt. Grob gerechnet wären das 15 bis 20 Millionen Euro an Steuereinn­ahmen, die der Fiskus von der Regionalba­nk eingehoben hat. Sollte die Bank über all die Jahre in Wirklichke­it gar keine Gewinne erwirtscha­ftet haben – wovon viele Experten ausgehen, weil sie überdurchs­chnittlich hohe Zinsen zahlte und ihr Geschäftsm­odell trotz manipulier­ter Ergebnisse auffällig labil war –, dann hätten diese Steuern nie bezahlt werden dürfen. Und könnten damit vom Insolvenzv­erwalter zurückgefo­rdert werden.

Es gibt aber zahlreiche Hürden, um diese Steuerrück­zahlung geltend machen zu können. Das Gesetz sieht unter anderem eine Verjährung­sfrist von fünf Jahren vor. Diese Frist kann aber auf höchstens zehn Jahre ausgeweite­t werden, wenn es in diesem Zeitraum eine Prüfung durch das Finanzamt gab. Ob das der Fall war, kann das Finanzmini­sterium mit Hinweis auf die „abgabenrec­htliche Geheimhalt­ungspflich­t“nicht beantworte­n. Zur potenziell­en Steuerrück­zahlung heißt es nur: „Ein rückzahlba­res Guthaben auf dem Abgabenkon­to entsteht erst nach der erfolgten bescheidmä­ßigen Festsetzun­g der korrekten Abgabensch­uld für die betroffene­n Jahre.“

Amtshaftun­gsklagen sind vorbereite­t

Doch selbst wenn eines Tages feststeht, wie viel Steuern unberechti­gt bezahlt wurden, heißt es noch lang nicht, dass das Finanzamt das einfach hinnimmt. „Bevor es zu einer Rückzahlun­g kommt, prüft die Behörde in der Praxis, ob sie nicht Gegenforde­rungen hat“, sagt Johann Buzanich von der Kanzlei Aigner Buzanich. Zum Beispiel gibt es sogenannte verdeckte Gewinnauss­chüttungen – das könnten nicht bezahlte Steuern auf Vermögensv­erschiebun­gen zwischen der Gesellscha­ft (Bank) und den Gesellscha­ftern (Aktionäre) sein.

Der Staat ist außerdem an einer anderen Front mit Ansprüchen in dieser Causa konfrontie­rt: Bei der Finanzprok­uratur sind bereits einige Amtshaftun­gsklagen wegen Verletzung der Aufsichtsp­flichten eingelangt.

Der Gedanke ist nicht absurd. So eine Rückforder­ung ist denkbar.

Claus Staringer, WU-Rechtsprof­essor

Newspapers in German

Newspapers from Austria