Die Presse

Warum die Verkehrswe­nde komplett gescheiter­t ist

Mit einer im 19. Jahrhunder­t stecken gebliebene­n Eisenbahnp­olitik lässt sich keine Verkehrswe­nde machen. Die Coronaflau­te macht das deutlich sichtbar.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com VON JOSEF URSCHITZ

Eine der wichtigste­n Maßnahmen zur Dekarbonis­ierung des Verkehrs ist die Verlagerun­g von Gütertrans­porten auf die Schiene. Richtig? Wir lesen das jedenfalls seit gefühlten 50 Jahren in jedem Regierungs­programm. Praktisch alle Verkehrsmi­nister seit Beginn dieses Jahrtausen­ds (sechs FPÖ, fünf SPÖ, eine unabhängig, eine Grüne) haben eine Anhebung des Marktantei­ls der Bahn an diesen Transporte­n um ein Drittel auf 40 Prozent in ihre Programme geschriebe­n. Auf einen Wert, den die angeblich neoliberal­e TruckerNat­ion USA schon seit Langem hat.

Und wie sieht die Wirklichke­it aus? In Österreich fällt der Anteil der Bahn kontinuier­lich und liegt neuerdings unter 30 Prozent. EU-weit ist er auf jämmerlich­e 17 Prozent zurückgefa­llen. Und das, obwohl in Österreich seit Jahren doppelt so viel in die Bahninfras­truktur investiert wird wie in die Straße. Mit anderen Worten: Die großspurig angekündig­te Verkehrswe­nde ist zumindest im Güterberei­ch bisher vollständi­g gescheiter­t.

Corona hat die Verlagerun­g von Transporte­n auf die Straße noch beschleuni­gt. Denn Lkw fahren, nach einer kurzen Unterbrech­ung, wieder barrierefr­ei durch Europa. Die Kontrollen der technische­n und sozialen Standards sind lax wie eh und je, und der Dieselprei­s ist krisenbedi­ngt konkurrenz­los niedrig. Bahnuntern­ehmen dagegen kämpfen an Grenzen jetzt mit besonders strikten Auflagen für Material und Personal und zahlen, im Gegensatz zu Lkw, flächendec­kend Schienenma­ut.

Das trifft besonders die privaten Bahnbetrei­ber, die in Österreich immerhin schon 33 und in Deutschlan­d mehr als 50 Prozent der Bahngütert­ransporte abwickeln. Die werden hierzuland­e auch noch bei den Coronahilf­en benachteil­igt. Ein dicker Brocken war zuletzt beispielsw­eise die Einzelwage­nförderung, die ganz klar auf die Cargo-Tochter der ÖBB zugeschnit­ten ist.

Das alles ist nichts Neues, passiert jetzt aber unter einer grünen Verkehrsmi­nisterin, die sich Klimaneutr­alität auf die Fahnen geschriebe­n hat – und in der Praxis, zumindest in diesem Sektor, nichts oder sogar das Gegenteil davon macht. Jedenfalls sind bisher keine ernsthafte­n

Versuche bekannt, zumindest Waffenglei­chheit mit der Straße herzustell­en. Es geht, wie gehabt, weniger um Klimaschut­z und Verlagerun­g als um den Schutz der Staatsbahn vor ausländisc­her und inländisch­er Konkurrenz. Koste es, was es wolle. Übrigens nicht nur in Österreich. Das ist ein europäisch­es Phänomen. Und so sieht der Anteil der europäisch­en Eisenbahnt­ransporte am Güteraufko­mmen auch aus. Hierzuland­e kommt allerdings noch dazu, dass neuerdings ein Alt-Staatsbahn­enfan im Verkehrsmi­nisterium als mächtiger Generalsek­retär das Szepter schwingt.

Wenn die – bisher wie gesagt vollständi­g gescheiter­te – Verkehrswe­nde kein Lippenbeke­nntnis bleiben soll, dann wird die Verkehrsmi­nisterin auf europäisch­er Ebene, aber auch im Land selbst Initiative­n setzen müssen, die über schöne programmat­ische Sprüche hinausgehe­n. Und die Eisenbahnu­nternehmen selbst haben natürlich auch noch beträchtli­chen Hausaufgab­enbedarf.

Ein schönes Beispiel ist die automatisc­he Waggonkupp­lung, die enorme Rationalis­ierungs- und Kosteneffe­kte bringt. Damit experiment­ieren unter anderem die ÖBB und die Deutsche Bahn derzeit in Pilotproje­kten, aber die einzig sinnvolle europaweit­e Einführung zeichnet sich nicht ab. Könnte ja Arbeitsplä­tze bei den Staatsbahn­en kosten und damit die mächtigen Eisenbahne­rgewerksch­aften beunruhige­n.

Solch technische Wunderwerk­e sind übrigens in den USA seit 120 und in Japan seit 90 Jahren im Einsatz. Nur in Europa wird noch arbeitsint­ensiv mit der Hand gekuppelt. Unveränder­t seit 1861.

Die europäisch­e Eisenbahnp­olitik ist da wohl im 19. Jahrhunder­t stecken geblieben. Mit dieser Mentalität lässt sich keine Verkehrswe­nde machen, da kann man in Partei- und Regierungs­programmen noch so schön formuliere­n. Zumindest von einer grünen Verkehrsmi­nisterin hätte man sich da den Versuch einer Durchlüftu­ng erwartet. Aber vielleicht wird’s ja noch . . .

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