Warum die Verkehrswende komplett gescheitert ist
Mit einer im 19. Jahrhundert stecken gebliebenen Eisenbahnpolitik lässt sich keine Verkehrswende machen. Die Coronaflaute macht das deutlich sichtbar.
Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Verkehrs ist die Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene. Richtig? Wir lesen das jedenfalls seit gefühlten 50 Jahren in jedem Regierungsprogramm. Praktisch alle Verkehrsminister seit Beginn dieses Jahrtausends (sechs FPÖ, fünf SPÖ, eine unabhängig, eine Grüne) haben eine Anhebung des Marktanteils der Bahn an diesen Transporten um ein Drittel auf 40 Prozent in ihre Programme geschrieben. Auf einen Wert, den die angeblich neoliberale TruckerNation USA schon seit Langem hat.
Und wie sieht die Wirklichkeit aus? In Österreich fällt der Anteil der Bahn kontinuierlich und liegt neuerdings unter 30 Prozent. EU-weit ist er auf jämmerliche 17 Prozent zurückgefallen. Und das, obwohl in Österreich seit Jahren doppelt so viel in die Bahninfrastruktur investiert wird wie in die Straße. Mit anderen Worten: Die großspurig angekündigte Verkehrswende ist zumindest im Güterbereich bisher vollständig gescheitert.
Corona hat die Verlagerung von Transporten auf die Straße noch beschleunigt. Denn Lkw fahren, nach einer kurzen Unterbrechung, wieder barrierefrei durch Europa. Die Kontrollen der technischen und sozialen Standards sind lax wie eh und je, und der Dieselpreis ist krisenbedingt konkurrenzlos niedrig. Bahnunternehmen dagegen kämpfen an Grenzen jetzt mit besonders strikten Auflagen für Material und Personal und zahlen, im Gegensatz zu Lkw, flächendeckend Schienenmaut.
Das trifft besonders die privaten Bahnbetreiber, die in Österreich immerhin schon 33 und in Deutschland mehr als 50 Prozent der Bahngütertransporte abwickeln. Die werden hierzulande auch noch bei den Coronahilfen benachteiligt. Ein dicker Brocken war zuletzt beispielsweise die Einzelwagenförderung, die ganz klar auf die Cargo-Tochter der ÖBB zugeschnitten ist.
Das alles ist nichts Neues, passiert jetzt aber unter einer grünen Verkehrsministerin, die sich Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben hat – und in der Praxis, zumindest in diesem Sektor, nichts oder sogar das Gegenteil davon macht. Jedenfalls sind bisher keine ernsthaften
Versuche bekannt, zumindest Waffengleichheit mit der Straße herzustellen. Es geht, wie gehabt, weniger um Klimaschutz und Verlagerung als um den Schutz der Staatsbahn vor ausländischer und inländischer Konkurrenz. Koste es, was es wolle. Übrigens nicht nur in Österreich. Das ist ein europäisches Phänomen. Und so sieht der Anteil der europäischen Eisenbahntransporte am Güteraufkommen auch aus. Hierzulande kommt allerdings noch dazu, dass neuerdings ein Alt-Staatsbahnenfan im Verkehrsministerium als mächtiger Generalsekretär das Szepter schwingt.
Wenn die – bisher wie gesagt vollständig gescheiterte – Verkehrswende kein Lippenbekenntnis bleiben soll, dann wird die Verkehrsministerin auf europäischer Ebene, aber auch im Land selbst Initiativen setzen müssen, die über schöne programmatische Sprüche hinausgehen. Und die Eisenbahnunternehmen selbst haben natürlich auch noch beträchtlichen Hausaufgabenbedarf.
Ein schönes Beispiel ist die automatische Waggonkupplung, die enorme Rationalisierungs- und Kosteneffekte bringt. Damit experimentieren unter anderem die ÖBB und die Deutsche Bahn derzeit in Pilotprojekten, aber die einzig sinnvolle europaweite Einführung zeichnet sich nicht ab. Könnte ja Arbeitsplätze bei den Staatsbahnen kosten und damit die mächtigen Eisenbahnergewerkschaften beunruhigen.
Solch technische Wunderwerke sind übrigens in den USA seit 120 und in Japan seit 90 Jahren im Einsatz. Nur in Europa wird noch arbeitsintensiv mit der Hand gekuppelt. Unverändert seit 1861.
Die europäische Eisenbahnpolitik ist da wohl im 19. Jahrhundert stecken geblieben. Mit dieser Mentalität lässt sich keine Verkehrswende machen, da kann man in Partei- und Regierungsprogrammen noch so schön formulieren. Zumindest von einer grünen Verkehrsministerin hätte man sich da den Versuch einer Durchlüftung erwartet. Aber vielleicht wird’s ja noch . . .