Lukaschenko lässt nur genehme Beobachter ins Land
Präsidentenwahl in Belarus. Minsk hat sich unabhängiger Beobachter entledigt. Nur Personen, von denen man sich ein mildes Urteil erwartet, werden hofiert – wie ein Fall aus Österreich zeigt.
Moskau/Minsk. Die belarussische Präsidentenwahl im Oktober 2015 wurde sehr genau beobachtet. Fast 450 Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) waren in allen Landesteilen stationiert. Dazu kamen zahlreiche Beobachter anderer mehr oder weniger professioneller Vereinigungen. Das Fazit der OSZE über die Wahl war durchaus kritisch. Doch die Mission war grundsätzlich willkommen im Land.
Fünf Jahre später: Die Präsidentenwahl am Sonntag wird fast ohne ausländische Kontrolle ablaufen. Die international angesehene Beobachtermission des Menschenrechtsbüros ODIHR der OSZE kommt nicht ins Land. Ebenso wenig die üblicherweise gemeinsam mit den OSZE-Beobachtern angefragten Missionen der Parlamentarischen Versammlung der OSZE sowie des Europarats. Der Grund: Die Regierung in Minsk hat die Organe nicht rechtzeitig eingeladen, obwohl sich das Land als OSZE-Vertragsstaat dazu verpflichtet hat.
Bisher sind laut der Website der Zentralen Wahlkommission in Minsk nur Diplomaten und 179 Beobachter der postsowjetischen Organisation Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als internationale Beobachter akkreditiert.
Unverblümte Repressionswelle
Vor fünf Jahren wollte sich das autoritäre Regime von Präsident Alexander Lukaschenko einen demokratischen Anstrich geben. Mit der Zulassung der (freilich chancenlosen) weiblichen Gegenkandidatin Tatjana Karatkewitsch signalisierte Minsk eine gewisse symbolische Offenheit.
Doch 2020 ist die Lage anders: Der Unmut im Land ist groß. Die aktuelle Herausfordererin, die 37-jährige Swetlana Tichanwoskaja, ist dem angeschlagenen Präsidenten gefährlich geworden. Die Behörden reagieren mit unverblümter Repression: Zwei nicht zugelassene Kandidaten sitzen in Haft. Wahlkundgebungen von Tichanowskaja werden seit ein paar Tagen nicht mehr gestattet. Tichanowskajas Wahlkampfleiterin wurde am Donnerstag kurzzeitig in Minsk verhaftet. Lukaschenko wehrt sich mit allen Mitteln gegen einen drohenden Machtverlust. Denn das Rennen könnte knapp werden: Bei einem fairen Wahlgang wäre laut Beobachtern in Minsk eine Stichwahl zwischen ihm und Tichanowskaja sehr wahrscheinlich. Doch dazu wird es kaum kommen.
Auch undemokratische Regime haben das Instrument der Wahlbeobachtung für sich entdeckt. Beobachter sollen den Anschein demokratischer Kontrolle geben und dienen dazu, die Fairness der Urnengänge zu bezeugen. „Autoritäre Regime wissen, dass sie die Nichteinladung von internationalen Beobachtern in puncto ihrer Legitimität im In- und Ausland teurer zu stehen kommt als kritische Berichte über die Durchführung der Wahl“, sagt Anton
Schechowzow, Lehrbeauftragter am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, gegenüber der „Presse“. Allerdings, so Schechowzow, sei seit geraumer Zeit ein neues Phänomen bemerkbar: „Die Kosten können gesenkt werden, wenn man Fake-Beobachter einlädt.“
Beobachten „auf Kreml-Linie“
In diesem Zusammenhang sieht der Experte Russland als internationalen Vorreiter: Moskau habe entsprechende Organisationen und vorgeblich unabhängige Vereine geschaffen, die „auf Kreml-Linie liegen“und anerkannten internationalen Missionen Konkurrenz machen sollen. Die vorhin zitierten GUS-Beobachter sind so ein Beispiel. Die Delegierten aus Russland oder Aserbaidschan sind eng mit einer politischen Führung verbunden, gegen die selbst Wahlfälschungsvorwürfe erhoben wurden. Anders als bei den OSZE-Beobachtern, die – egal, welcher Nationalität – bei ihrer Tätigkeit strenge Regeln befolgen müssen, zählt hier die politische Nähe.
Minsk tritt auch an internationale Experten heran, von denen man sich ein wohlwollendes Urteil erwartet. So lud man mehrere ausländische Sozialwissenschaftler zur Beobachtung von Exit-Polls ein, darunter einen Experten aus Österreich: den Wiener Politologen Christian Haerpfer. Haerpfer unterrichtet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und ist Direktor des Instituts für Vergleichende Umfrageforschung. Er war bereits 2015 in Minsk. Damals wurde er in belarussischen Medien mit den Worten zitiert, dass die Exit-Polls den „weltweiten Standards“entsprächen. Auch dieses Mal sollen, wie es in der der „Presse“vorliegenden Einladung durch den TV-Sender Mir aus Minsk heißt, „ausgewiesene Spezialisten“die Objektivität der Exit-Polls sicherstellen. Der Sender stellt die Übernahme aller Ausgaben sowie ein Honorar in Aussicht. Haerpfer gibt auf Anfrage der „Presse“an, er habe die aktuelle Einladung abgelehnt, da „einige Gegenkandidaten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden sein sollen. Ich wollte mit meiner Reputation nicht eine Legitimierung eines solchen autokratischen Vorgehens unterstützen.“
Umstrittene frühzeitige Stimmabgabe
Pflegeleichte Beobachter finden sich aber nicht nur im Ausland. In der Praxis wird Aktivisten von regierungsnahen Vereinen häufig der Vorrang vor unabhängigen Beobachtern gegeben. Offiziell wegen des Coronavirus sind nur fünf Beobachter pro Wahllokal zugelassen. Parallel dazu wird nach Medienberichten unabhängigen oder Oppositionskandidaten zugerechneten Beobachtern der Zugang zu Wahllokalen versperrt. Mehrere wurden festgenommen. Der Urnengang in Belarus läuft übrigens schon seit dem 4. August. Auch die frühzeitige Stimmabgabe ist nicht unumstritten: Unter den intransparenten Bedingungen werden gerade in diesen Tagen Wahlfälschungen befürchtet.