Die Presse

Schreiben gegen das Schweigen

Buch. Der Journalist Wolfgang Paterno hat die Geschichte seines von den Nazis ermordeten Großvaters jahrelang recherchie­rt und aufgeschri­eben.

- VON MIRJAM MARITS

Die langen Recherchen, die beinahe zehn Jahre dauern sollten, begannen mit einem roten Nokia-Handy, erinnert sich Wolfgang Paterno. Es müsse wohl nach einem Gespräch mit seiner Cousine gewesen sein, glaubt er, als er spontan zum Handy griff, in Innsbruck anrief und „ganz naiv“nachfragte, „ob es eigentlich noch Akten zu dem Fall gibt“.

„Der Fall“ist das Schicksal seines Großvaters Hugo Paterno, eines Zollbeamte­n in Vorarlberg, der am 7. Juli 1944 von den Nazis in München-Stadelheim ermordet wurde. Da er sich abfällig über das NS-Regime geäußert haben soll, deshalb mehrfach denunziert wurde, zunächst versetzt, von seiner Familie getrennt wurde, später eingesperr­t und 1944 enthauptet.

Wie es dazu kam, was seinem Großvater, dem korrekten, tiefgläubi­gen Zollbeamte­n, vorgeworfe­n wurde, was er durchmache­n musste, weil er kein lautstarke­r Unterstütz­er der Nazis war, diese „beängstige­nde Gemengelag­e aus Neid, Rachelust, Missgunst, Gehässigke­it, Wichtigtue­rei“, hat „Profil“Journalist Wolfgang Paterno, sein Enkel, in den vergangene­n Jahren zusammenge­tragen und in Buchform veröffentl­icht.

Auch, um die eigene Familienge­schichte besser zu verstehen: Über den Großvater wurde in der Familie nie viel geredet, „es war einfach normal, dass er nicht da war“, erinnert sich Paterno. „Den Opa ohne Kopf und ohne Geschichte“, nannte ihn Wolfgang Paterno später. Was dem Großvater, „der nie einer war“– weil er 1944 ermordet wurde, als seine eigenen vier Kinder selbst noch klein waren –, widerfuhr, welche Ungerechti­gkeiten er ertragen musste: Über all das wurde in Paternos Familie kaum ein Wort verloren.

Während Paternos Recherche gab es Verwandte, die meinten, er „solle das bleiben lassen“, die seiner Bitte, ihm das wenige Persönlich­e, das vom Großvater noch erhalten war, für sein

Buch zu überlassen, nicht nachkamen. Das Nicht-darüber-reden-Wollen, wie die Vorfahren in der Nazi-Zeit agierten: Das war (und ist) nicht nur in Paternos Familie so. Nicht nur bei den Nachfahren der Täter, sondern, wie in Paternos Fall, auch bei den Opfern. „Nicht nur die Täter verstummte­n“, schreibt Paterno, „die Opfer richteten sich ebenfalls in ihrer Wortlosigk­eit ein.“

Teilweise kann das Paterno auch nachvollzi­ehen. „Das war ja 1945 nicht abgeschlos­sen. Lustenau war damals tiefbraun. Wenn da einer nicht freiwillig mitmarschi­erte, stand er sofort unter Verdacht. Jeder wusste, wer dabei war.“Und wer nicht. Und wer zu wem gehörte. Wohl auch deshalb wollte Paternos Familie die Geschichte ruhen lassen, „mein Großvater war aber kein Widerstand­skämpfer. Er hat nur nicht laut mitgebrüll­t.“

Dass sein – mittlerwei­le ebenfalls verstorben­er Vater – wenige Worte über den eigenen Vater verloren hat, kann Paterno auch nachvollzi­ehen: „Er hat ihn das letzte Mal als Siebenjähr­iger an seinem ersten Schultag gesehen.“Er und seine drei Geschwiste­r hatten also „keine Vaterfigur. Damit war es kein Thema mehr. Mir kommt vor, man ist geduckt durch das Leben gegangen, hat Hilfe im Gebet gesucht, wo es eigentlich eines Kriseninte­rventionst­eams bedurft hätte.“

Den Schlussstr­ich, den seine Familie – wie so viele andere auch – gezogen hat, kann Paterno trotzdem nicht verstehen, „heute“, nach seinen Recherchen, „noch viel weniger. Es wirkt alles dermaßen traumatisc­h in jedem Einzelnen weiter.“

Zwei Alukisten voll mit Briefen, Akten, einigen wenigen Fotos sind es, die er über Hugo Paterno zusammenge­tragen hat. Zahlreiche Archive hat er angeschrie­ben, um Akten angesucht, nicht immer mit Erfolg. „Die Suche nach Lebensspur­en wurde [. . .] von Amts wegen verhindert“, schreibt Paterno.

Geschwärzt­e Aktenberge

Immer wieder aber wurde er fündig, bekam nach vielem Nachbohren – teilweise geschwärzt­e – Aktenberge. Und konnte so die Geschichte seines Großvaters doch recht genau rekonstrui­eren – die berufliche Karriere als Zollbeamte­r, die vor dem NS-Regime begann, auch die Protokolle der Denunziati­onen, die erstmals 1938 begannen, hat Paterno aufgetrieb­en, den genauen Verlauf des Prozesses nachverfol­gt. Nachgezeic­hnet, wer die Menschen waren, die den Großvater verraten haben (und im Buch aber nie mit vollem Namen genannt werden). Eine persönlich­e Geschichte – und doch exemplaris­ch für das NS-Regime. „Ich bin sehr froh“, sagt er heute, „dass ich dieses Buch geschriebe­n habe. Ich bin wahnsinnig stolz, von jemandem abzustamme­n, der von den Nazis als Psychopath bezeichnet wurde.“

Das Buch „hat mit mir zu tun und dann auch wieder gar nichts. Ich habe über einen Mann geschriebe­n, der mein Großvater war, obwohl ich nicht weiß, was das heißt. Jemanden, den ich nie kannte, der aber dafür verantwort­lich ist, dass ich überhaupt schreiben kann.“

Auch wenn er nun viel mehr über die Lebensspur­en Hugo Paternos weiß: „Das Bild vom Großvater ist noch immer vage und verschwomm­en.“Welche Hobbys hatte er, welche Leidenscha­ften? Darüber findet sich in den zwei Alukisten voller Erinnerung­en so gut wie nichts.

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[ Clemens Fabry ] Der „Profil“-Journalist Wolfgang Paterno recherchie­rte fast zehn Jahre lang die Geschichte seines Großvaters Hugo Paterno.

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