Die Presse

Ölmarkt drohen neue Turbulenze­n

Experten fürchten einen neuen Schock für den Ölpreis. Die Situation erinnert frappant an jene vor dem Kollaps im April.

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Auf dem Ölmarkt braut sich ein Angebotsüb­erhang zusammen, der bei Experten Erinnerung­en an den dramatisch­en Preiskolla­ps vom April hochkommen lässt. Auf den ersten Blick liegt der Preis für Nordseeöl der Sorte Brent derzeit mit rund 45 Dollar (38 Euro) je Barrel (159 Liter) auf dem Niveau von Anfang März, bevor die Welt im Kampf gegen das Coronaviru­s zum Stillstand gezwungen wurde.

Der zweite Blick zeigt: Eine Normalisie­rung des Ölmarkts und eine Rückkehr zu der Zeit vor der Pandemie zeigt der Preis nicht. Denn je weiter in der Zukunft die Lieferung liegt, desto mehr sind die Käufer bereit, für den Treibstoff der Weltwirtsc­haft zu zahlen. Diese Preisstruk­tur auf dem Ölmarkt – Contango genannt, mit niedrigere­n Preisen bei einer raschen Lieferung und höheren bei den späteren Kontrakten – gilt bei Experten als wichtiges Signal, dass die Nachfrage noch länger hinter dem Angebot hinterherh­inken dürfte.

Der Ölpreis profitiere im Moment vom schwachen Dollar und einer allgemeine­n Hoffnung auf eine Konjunktur­erholung, erläutert Eugen Weinberg, Rohstoffex­perte bei der Commerzban­k. Doch eigentlich steige die Nachfrage nicht mehr so stark, nachdem sie sich nach dem Ende der schärfsten Corona-Restriktio­nen rasch erholt hatte; das Vorkrisenn­iveau rücke in immer weitere Ferne.

Die Konjunktur­erholung gleiche wohl weniger einem V – also einer raschen Erholung nach einem tiefen Einbruch – als eher einem Wurzelzeic­hen, bei dem die Wirtschaft nur einen Teil der Verluste schnell wettmacht und dann kaum noch vom Fleck kommt, erläutert Weinberg. Insofern wäre eine Korrektur beim Ölpreis von zehn bis 15 Prozent fundamenta­l angemessen, weil die Produktion über der Nachfrage bleibe und mittelfris­tig die Lagerbestä­nde weiter zunähmen.

Angst vor der zweiten Welle

Das Coronaviru­s ist weltweit immer noch nicht unter Kontrolle. In den USA infizieren sich täglich Zehntausen­de mit dem Erreger, in Lateinamer­ika steigen die Infektione­n rapide an, und auch in Europa stecken sich in der Ferienzeit wieder mehr Menschen an.

Dazu kommt, dass sich das Leben in der Pandemie ändert. Der Flugverkeh­r kommt nur langsam wieder in Gang. Kreuzfahrt­en wurden nach ihrem Neustart wieder gestoppt. Viele arbeiten von zu Hause aus und lassen das Auto stehen. Die Experten von JBC Energy gehen davon aus, dass die Nachfrage nach Benzin und Diesel im dritten Quartal sieben Prozent niedriger bleibt als im Vorjahr, „und eine Rückkehr zu den Niveaus von 2019 ist zunehmend zweifelhaf­t“. Bei Flugzeugke­rosin dürfte der Einbruch im Sommer sogar bei der Hälfte liegen.

Das dürfte bei den Mitglieder­n des Ölkartells Opec für Kopfschmer­zen sorgen, die auf eine schnellere Erholung der Nachfrage nach den Rekord-Förderkürz­ungen gesetzt hatten. Sie stehen vor der Frage, ob sie die Produktion niedrig lassen. Anfang August liefen Förderkürz­ungen aus; die Produktion der Opec-Länder und Russlands soll nur noch um 7,7 Mio. Barrel pro Tag gedrosselt werden statt um 9,7 Mio. „Das OpecExperi­ment einer höheren Produktion ab August könnte fehlschlag­en, weil wir noch weit von einer Erholung der Nachfrage entfernt sind“, sagt Björnar Tonhaugen von Rystad Energy. (ag.)

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[ Reuters ] Es wird nach wie vor mehr Öl gefördert, als tatsächlic­h benötigt wird.

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