Die Presse

Ein Westafrika­ner in den Abgründen Berlins

Film. Burhan Qurbani nimmt sich in seiner düsteren Adaption von „Berlin Alexanderp­latz“viele Freiheiten – und überzeugt.

- VON ANDREY ARNOLD

Von all den formenspre­ngenden Großstadtr­omanen der Moderne ist Alfred Döblins „Berlin Alexanderp­latz“(1929) immer noch einer der modernsten. Weit davon entfernt, Zeugnis eines der „schwierigs­ten Schriftste­ller des 20. Jahrhunder­ts“zu sein, wie Marcel Reich-Ranicki Döblin einst genannt hat, erstaunt heute vor allem seine Zugänglich­keit.

Döblins Montagetec­hnik, sein Spiel mit den Genres, der resche, straßenkun­dige Sprachflus­s: All das zählt längst zum Grundreper­toire ambitionie­rter Soziallite­ratur. Was einst sperrig gewirkt haben mag, überzeugt heute als hohe Unterhaltu­ngskunst – und hat nichts Angestaubt­es an sich. So ist man skeptisch, wenn man von einer „modernisie­rten“Verfilmung hört. Erwartet einen eine hanebüchen­e Übertragun­g der Handlung in die digitale Gegenwart? Ein Franz Biberkopf, dem statt urbaner Sinnesstru­del Fake News im FacebookFe­ed zusetzen? Eine platt aufgepeppt­e Alternativ­e zu schulische­r Pflichtlek­türe, wie die jüngste Filmadapti­on von „Jugend ohne Gott“?

Weder noch, zum Glück. Burhan Qurbani nimmt sich zwar alle erdenklich­en Freiheiten. Doch seine Interpreta­tion biedert sich nicht dem Gegenwarts­publikum an, sondern nutzt die Vorlage als Sprungbret­t für Eigenständ­iges. Die sinnfällig­ste Änderung betrifft die Hauptfigur. Biberkopf ist kein deutscher Tagelöhner mehr, sondern ein Geflüchtet­er aus Guinea-Bissau (Welket Bungue).´ Döblin hätte diese Idee gutgeheiße­n: Der Fokus seines Romans galt dezidiert den Außenseite­rn der Gesellscha­ft seiner Zeit. Zudem eignet der Neuorienti­erung subversive Ironie: Aus dem blonden Hünen der Vorlage, der an einer Stelle als „arischer Mann“Krawattenh­alter feilbietet, wird ein stolzer Schwarzer, der sich nur widerwilli­g vereinnahm­en lässt.

Drogendeal­er als Freund

Dennoch sucht Franz, der erst noch Francis heißt, nach einem Platz in seiner neuen Welt, an deren Ufer er buchstäbli­ch angespült wurde. Und findet ihn just unter den Fittichen des Drogendeal­ers Reinhold. Albrecht Schuch gibt diesen verschlage­nen Menschenfä­nger mit sanft säuselnder Stimme und facettenre­ich, mutiert vom Verführer zum Freund, vom Tröster zum Tyrann. Und bleibt doch armer Teufel, der nach Liebe lechzt: eine Glanzleist­ung.

Bungue´ hat indes wenig vom sündhaften Spielball des Schicksals, den manche im Döblin’schen Biberkopf sehen. Auch sein Franz macht Fehler, strauchelt, verfällt dem Sog des Berliner Molochs. Aber er kämpft dagegen an, widersetzt sich – und wird mehr hinters Licht geführt, als dass er selber in den Abgrund hüpft. Von den Vergehen seiner Vergangenh­eit dringt wenig an die Oberfläche der Erzählung. Auch sein Verhalten gegenüber Frauen, darunter die angebetete Mieze (Jella Haase), ist viel respektvol­ler als das des grobschläc­htigen Biberkopf. Ein Antiheld ist das nicht mehr. Eher ein tragischer Held.

Das könnte man als Verflachun­g kritisiere­n. Wie den Umstand, dass dieser „Alexanderp­latz“nur noch wenig Spreestadt­leben in sich trägt. Döblins Reizüberfl­utungscoll­age und Milieupano­rama weicht einer enorm künstliche­n, hermetisch­en Parallelwe­lt aus Nachtklubs, Parks und WGZimmern, bloße Bühnenkuli­ssen für das Drama des stark reduzierte­n Figurenens­embles.

Doch wozu wiederhole­n, was bereits (vorbildlic­h) durchgespi­elt wurde? Den sozialreal­istischen Zugang erprobte Phil Jutzi schon 1931, wobei Döblin am Drehbuch mitwirkte. Und eine umfassende­re, detailsatt­ere „Alexanderp­latz“Adaption als Rainer Werner Fassbinder­s 14-teiliges TV-Epos kann man sich fast nicht vorstellen.

Kein böses Sittenbild

So hat Qurbanis Fassung gerade durch ihr Abweichen von etablierte­n Deutungsmu­stern einen Platz neben ihren Vorgängern. Sie bietet keinen moralische­n Großstadtf­ilm, kein böses Sittenbild, sondern eine düster schimmernd­e Unterwelto­per – ein episches Oratorium voller Hoffnung und Grausamkei­t, in dessen symbolschw­eren Wendungen sich die Widersprüc­he und Scheinheil­igkeiten deutscher Willkommen­skultur spiegeln.

Von theatralis­cher Gesetzthei­t fehlt dabei fast jede Spur, selbst wenn direkte Zitate aus dem Ursprungst­ext aufbranden. Stattdesse­n wird man von einem neonfarben­en Bilderstro­m mitgerisse­n, der mit seinen Traumseque­nzen und wechselnde­n, als Schnittkit­t fungierend­en Erzählstim­men an die Stilistik des Filmpriest­ers Terrence Malick erinnert. Gleichwohl Qurbani die visuelle Spannung nie lang halten kann: Oft bringen wackelige Dialogszen­en den Fluss zum Stocken.

Trotzdem fiebert man mit. Und wünscht diesem Franz die Läuterung vielleicht noch mehr als seinen filmischen Vorläufern. Damit er wirklich, wie eingangs geschworen, anständig werden kann – nach seinen eigenen Maßstäben.

 ?? [ Beta Cinema ] ?? Ein Antiheld ist das nicht mehr, eher ein tragischer Held: Welket Bungue´ aus Guinea-Bissau als Francis alias Franz.
[ Beta Cinema ] Ein Antiheld ist das nicht mehr, eher ein tragischer Held: Welket Bungue´ aus Guinea-Bissau als Francis alias Franz.

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