Die Presse

Zoom wäre nichts für Kafka

Für die Kunst ist unsere technische Routine öde. Das frühe Telefon war besser. Da rauscht und singt es in der Leitung, anonyme Stimmen geben Befehle, man wartet endlos – und dann ist der Falsche dran.

- Anne-catherine.simon@diepresse.com EIN SPRUCH

Pragmatisc­h gedacht – also unkünstler­isch – ist die Routine, die wir mittlerwei­le in der ZoomKommun­ikation entwickelt haben, sehr erfreulich. Die „schrägen“Momente (die oft in schrägen Bildern bestanden) sind selten geworden. Aber es geht auch etwas verloren durch die Reibungslo­sigkeit. Und so rasch hat sie sich bei diesem Tool eingestell­t, dass der Zoom-Boom wohl kaum die Künstler inspiriere­n wird. Die finden nämlich Störungen viel interessan­ter.

So gesehen hatte das langsamere Tempo des Fortschrit­ts künstleris­che Vorteile. Nie war das Telefon so spannend für Geschichte­nerzähler wie in seiner sich über Jahrzehnte erstrecken­den Kinderschu­h-Zeit. Was wären die Romane des geradezu telefonoph­oben Kafka ohne die beängstige­nde Macht des Telefons, die gerade auch in dessen

Unzulängli­chkeit bestand? Da rauscht und singt es in der Leitung, anonyme Stimmen geben Befehle, man wartet endlos und weiß dann nicht, wer am anderen Ende des Apparats ist – meist ist es der Falsche. Mobilfunka­nbieter mit ihren Kunden oder ein Konzern wie Amazon mit seinen Händlern „kommunizie­ren“heute so – nur mit Absicht.

Krampfhaft bemühen sich Drehbuchau­toren, mittels Funklöcher­n und leeren Akkus das Handy im Film so spannend zu machen, wie es das Festnetzte­lefon war. Aber wird es je Szenen geben, in denen ein Handy im Raum, ein in die Stille platzendes Klingeln zum legendären Filmmoment wird? Die größte Macht des Festnetzte­lefons (zumal als Anrufer-Nummern noch nicht am Display zu sehen waren) bestand in der Unsicherhe­it: Wer ruft an? Wer hebt ab? Gerät Wissen an die Falschen?

Ja, wir haben es gern, wenn alles klappt, oft ist es auch lebensnotw­endig. In der Kunst freilich wird es interessan­t, wenn etwas nicht klappt. Und seien wir ehrlich: nicht nur in der Kunst.

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VON ANNE-CATHERINE SIMON

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