Die Steinbrecher von Perg
Handwerk. Mühlsteine waren das Herzstück jeder Mühle. Ihre Herstellung gehört zu den ältesten und anstrengendsten Kulturtechniken. Ein Besuch im Mühlsteinmuseum von Perg.
Ein Sommer in Coronazeiten kann auch eine Einladung sein, lang Übersehenes in der Umgebung zu erforschen. Eine solche kulturgeschichtliche Entdeckung ist das Mühlsteinmuseum im oberösterreichischen Perg: Hier, im sogenannten Steinbrecherhaus, wird eine alte Handwerkskunst dokumentiert, die im kollektiven Gedächtnis viel weniger präsent ist als das Hämmern der Schmiede oder das Hobeln der Tischler. Dennoch war sie für das Überleben der vormodernen Bevölkerung Europas wichtig. Mühlsteine waren das Herzstück jeder Mühle. Sie standen unter besonderem Schutz: „Man soll nicht Mühle noch Mühlstein pfänden; denn wer das tut, pfändet das Leben“, heißt es im Buch Mose.
Über Jahrhunderte blieb der körperlich anstrengende und technisch komplexe Prozess der Mühlsteinproduktion, eine der ältesten Kulturtechniken des Menschen, immer gleich. Doch wenige interessierten sich für die Arbeiter, die schwere Hämmer schwangen, um die Mühlsteine aus dem Gestein zu brechen. Die Tradition, dass hier, in Perg, ebenso wie im niederösterreichischen Wallsee, aus dem lokalen Gestein Mühlsteine abgebaut wurden, geht weit zurück. Nicht nur das Gestein war sehr hart, es war auch ein hartes Gewerbe, das hier besonders gut dokumentiert ist. Hat man die Gelegenheit, Harald Marschner, dem Museumsobmann und profunden Kenner der österreichischen Mühlsteinindustrie, zuzuhören, erfährt man alles über den für die Gegend einst so wichtigen Wirtschaftszweig. Erklärt wird die Geschichte der Gewinnung und Bearbeitung der Perger Mühlsteine, aber auch die Steinmüllerei, die Vielfalt des Mahlens von Getreide. (Man sollte sich im Museum, das nicht immer geöffnet hat, anmelden).
Mahlsteine gab es schon in der Steinzeit
Mühlsteine gehören seit Jahrtausenden zu den wichtigsten Werkzeugen der Menschheit, Mühlen zu den ältesten Maschinen. Die Entwicklung begann schon in der Steinzeit. Damals lernten die Menschen, Steine als Mörser zu nutzen, um damit Wurzeln zu zerstoßen und Samen zu zerkleinern. Nicht nur die Stärkekörner, auch die charakteristischen Gebrauchs- und Abnutzungsspuren auf den Mahlsteinen haben die Jahrtausende überdauert. Elektronenmikroskope können die Spuren der Nahrungszubereitung auf den Mahlsteinen sichtbar machen.
Sie liefern also wertvolle Hinweise auf die Ernährung der Menschen. Gingen Anthropologen früher von einem überwiegend fleischhaltigen Speiseplan der Steinzeitmenschen aus, der vor allem auf dem erfolgreichen Jagen basierte, zeigen die Spuren der Pflanzenverarbeitung: Es gab auch Tage mit vegetarischer Kost. Waren die Menschen imstande, mit diesem Steinmaterial aus den Getreidekörnern Mehl zu machen, das dann gekocht oder geröstet wurde, gelang ihnen zum ersten Mal die Produktion von Brot. Bequemer wurde die Arbeit durch einfache Handdrehmühlen, wie sie die römischen Legionäre mit sich trugen und wie sie auf Bauernhöfen lang zu finden waren.
Aus den kleinen Scheiben wurden mächtige Rundsteine. Die uns bekannten Wassermühlen mit zwei übereinanderliegenden Mühlsteinen, mit denen das Getreide gemahlen wurde, sind eine Erfindung der römischen Antike. Windmühlen gab es in Europa erst ab dem 11. Jahrhundert, es war eine Technik aus Persien, die die Kreuzfahrer mitbrachten. Die Mühlen standen im Mittelalter oft an einsamen Orten außerhalb der Dörfer, hier klapperte, quietschte und knarrte es tagein tagaus, das war manchem unheimlich. Standorte waren immer bei Wasserläufen, an den Mühlenbächen, die auch bei geringer Wasserführung noch imstande waren, das Mühlenrad anzutreiben.
Die Müller waren den unberechenbaren Gewalten des Wassers ausgesetzt. Viele Lieder besingen das Geschick der Müller, in ihren entlegenen Mühlen nur mit Selbsthilfe durchzukommen. Eine Mühle war zudem im Mittelalter eine kostspielige Investition. Alles kam auf die Qualität der Mühlsteine an. Sie wurden aus hartem, oft porösem Gestein geschlagen, aus Porphyr, Basaltlava, speziellem Quarz-Sandstein, wie er auch in Perg vorkommt. Der sehr harte, körnige Sandstein hier, so Harald Marschner, ist ein Sedimentgestein, das vor 30 bis 40 Millionen Jahren im Tertiär entstand.
Mit bis zu 7 kg schweren Hämmern wurden die Steine direkt aus dem Sandstein des Steinbruchs herausgehauen. Eine schweißtreibende Arbeit. Das Maß wurde mit einem Zirkel vorgezeichnet, darauf wurde ein Zylinder in der ungefähren Höhe des Mühlsteins herausgeschlagen, er wurde mittels
Eisenkeilen vom Untergrund abgesprengt. Das war der heikelste Teil der Arbeit: Bildete sich ein Riss im Stein, war alles umsonst. Riskant der Einsatz von Schwarzpulver.
Leben am Steinbruch
Die Steinbrecher wohnten in kleinen Häusern am Rande des Steinbruchs. Eines davon, aus dem Jahr 1802, ist in Perg noch im Originalzustand erhalten. Pro Woche schaffte ein guter Arbeiter zwei Mühlsteinrohlinge, sie sahen aus wie steinerne Kuchen und wurden dann in der Werkstatt auf das genaue Maß zurechtgehauen. In der Mühle lag dann der untere Mühlstein unbeweglich, der obere, der Läufer, war mit der Antriebswelle der Mühle verbunden und rotierte über dem Bodenstein. Das Korn gelangte über eine Öffnung im Läuferstein, das „Auge“, zwischen die Steine und wurde in dem sehr fein eingestellten Zwischenraum von den eingemeißelten Rillen im Läuferstein zerschnitten.
Peter Fraundorfer erforschte die Zunft der Steinbrecher in Perg: Sie sind bereits 1391 nachweisbar. Im 16. Jahrhundert besaßen sie eine so große überregionale Stellung, dass ihnen von Kaiser Rudolf II. ihre Handwerksordnung bestätigt wurde. Zur besten Zeit war ihr Gewerbe so gut ausgebaut, dass es mit Abstand der wichtigste Wirtschaftszweig des kleinen Orts war, mit bis zu 40 Meistern und 10 Lagerstätten an der Donau. 1901 wurden 39 Mühlsteinbrüche in der Monarchie aufgelistet, Perg gehörte da mit einer Kapazität von 2000 Steinen pro Jahr bereits zur Oberliga der größten Betriebe in Österreich. Der nächstgrößere Steinbruch befand sich in Böhmen. In Konkurrenz stand Perg vor allem zu Frankreich, die „Champagnersteine“aus französischem La Ferte´ Quarz waren qualitativ unschlagbar.
In den 1930er-Jahren wurde der letzte Mühlstein im „Scherer-Steinbruch“von Perg herausgeschlagen. Der langsame Niedergang der Mühlsteinindustrie hatte sich jedoch bereits im 19. Jahrhundert abgezeichnet. Mit der Erfindung der Walzenstühle breitete sich eine revolutionäre neue Technologie im Müllerei-Wesen aus. Die schwere Arbeit der Mühlsteinbrecher war damit Vergangenheit geworden. Die Steinmüllerei kam zum Erliegen. Einzelne Mühlen und Bäckereien greifen heute wieder auf die alte Technik zurück: Ihr Mehl gilt als besonders bekömmlich. Doch das Wissen um die Gewinnung von Mühlsteinen ist weitgehend verloren gegangen.