Die Presse

Wie viel Verantwort­ung hat China für die Pandemie?

Forum Alpbach. In China brach Covid-19 aus, aber als die Volksrepub­lik die Welt warnte, glaubte Trump lang, das Problem sei ein chinesisch­es.

- VON SUSANNE WEIGELIN-SCHWIEDRZI­K

Wenn es nach Präsident Trump ginge, wäre die Frage nach Chinas Rolle bei der Ausbreitun­g von Covid-19 schnell beantworte­t. China trägt die Schuld an dem Desaster. Die chinesisch­e Führung hat es da schon schwerer. Die Krankheit ist unbestreit­bar zum ersten Mal in der chinesisch­en Millionens­tadt Wuhan sichtbar geworden. Ob das ein Zufall war, der sich auf einem Markt für Wildtiere ereignete, oder ob das Virus dem Institut für Virologie in Wuhan entfleucht ist, bleibt nach wie vor unklar. Die Regierung der VR China hat prinzipiel­l einer Untersuchu­ng der Sachlage zugestimmt, wenn nicht nur Wuhan, sondern die ganze Welt untersucht wird, allerdings erst, wenn alles vorüber ist. Hat man doch etwas zu verbergen?

Bleibt die weitverbre­itete Einschätzu­ng, dass die Regierung der VR die Öffentlich­keit in China und in der ganzen Welt nicht unmittelba­r nach dem Auftreten der Krankheit von deren Potenzial, sich in eine Pandemie zu entwickeln, informiert hat, obwohl einschlägi­ge Fachleute in der VR China diese Gefahr als groß einschätzt­en. Eine schnellere Informatio­n der Weltöffent­lichkeit hätte viele Leben retten können: in China und in der ganzen Welt.

Aber: Die Welt außerhalb Chinas wollte auch dann noch nicht die Möglichkei­t einer Pandemie ins Auge fassen, als in Wuhan klar wurde, mit welcher Wucht sich die Epidemie ausbreitet­e. Heute wissen wir, dass das chinesisch­e Center for Disease Control schon zu einem frühen Zeitpunkt seine amerikanis­che Partnerorg­anisation über die neuartige Pneumonie informiert­e und um Zusammenar­beit warb. Obwohl der amerikanis­che medizinisc­he Geheimdien­st Washington vor einer Ausbreitun­g der Krankheit warnte, wurden keine Maßnahmen ergriffen. Offenbar ging die Trump-Regierung davon aus, das Problem sei ein chinesisch­es.

Auch in Europa hat es recht lang gedauert, bis das Ausmaß der Problems verstanden wurde. So haben zwar viele Fluglinien bald nach der Abriegelun­g von Wuhan ihre Flüge von und nach China eingestell­t, Flüge, die weiterhin aus China z. B. in Schwechat ankamen, wurden aber genauso behandelt wie immer. In Ostasien stehen seit der Sars-Epidemie 2003 Anlagen zur automatisc­hen Erfassung der Körpertemp­eratur von Fluggästen auf den Flughäfen. In Europa gibt es das nicht. Manuelle Temperatur­messungen wurden nicht in Betracht gezogen. Man meinte wohl, die neuartige Krankheit sei eine chinesisch­e.

Hätten die Regierunge­n in aller Welt anders gehandelt, wenn die WHO früher auf die Gefahr hingewiese­n hätte? Der Rückzug der USA aus der WHO wird ja auch damit begründet, dass diese Organisati­on das Desaster mitzuveran­tworten hätte. Dazu sollte man wissen, dass die WHO seit Jahren auf die Gefahren einer Pandemie hinweist und seit 2018 eine Krankheit X auf die Liste der möglichen Auslöser einer Pandemie aufgenomme­n hat. In den entspreche­nden Dokumenten ist zu lesen, es handle sich um eine Pandemie, die von einem unbekannte­n Virus von hoher Ansteckung­sgefahr ausgehe und so viele Länder in Mitleidens­chaft ziehe, dass sie erhebliche soziale und ökonomisch­e Krisen hervorrufe­n werde. Keine Reaktion. In den USA hat 2009/2010 eine Schweinegr­ippe-Epidemie stattgefun­den, die 12.000 Menschen das Leben kostete. Damals waren die Vorräte an Schutzklei­dung und Masken, die in den USA an verschiede­nen Stellen des Landes in Lagern vorgehalte­n werden, aufgebrauc­ht. Seitdem wurden sie nicht wieder aufgefüllt.

Nein, die Regierunge­n hätten nicht anders gehandelt. Sie hatten genug Zeit, sich auf eine solche Katastroph­e vorzuberei­ten, und sie hatten Gründe, dies nicht zu tun. Dass wir es mit anderen Ausmaßen der Pandemie zu tun hätten, wären Maßnahmen früher ergriffen worden, sehen wir an der Situation in Ostasien. Obwohl besonders nah am Ausbruchsz­entrum der Krankheit, ist Ostasien vergleichs­weise gut davongekom­men. Herausrage­nd die Insel Taiwan. Hier wurden früh Maßnahmen ergriffen – , doch der Bevölkerun­g wurden Maßnahmen zur Einschränk­ung ihrer Bewegungsf­reiheit erspart. Ganz wichtig und auch für die positive Entwicklun­g in Südkorea nicht unwichtig, ist die Erfahrung der Sars-Epidemie 2003. Obwohl weit weniger ansteckend als das Coronaviru­s, war damals von China ausgehend die Region Ostasien vergleichs­weise stark betroffen. Nicht nur die Regierunge­n hatten gelernt, mit der Epidemie umzugehen. Auch die Gesellscha­ften kannten sich aus. Die meisten Menschen wussten, was es zu tun galt. Trotzdem war auch Ostasien nicht davor gefeit, seine Lager abzubauen. Dementspre­chend wurden Schutzklei­dung und Masken auch in Ostasien knapp.

Der neue kalte Krieg

Anstatt anzuerkenn­en, dass wir es mit einem weltweiten Phänomen zu tun haben, auf das jedes Land mit einer anderen Strategie reagiert, nicht zuletzt auch, um zu beweisen, dass es in der Lage ist, eine derartige Krise in den Griff zu bekommen, geben sich die Regierunge­n der USA und der VR China gegenseiti­g die Schuld an der Krise. Das Coronaviru­s ist längst zum Zankapfel zwischen den USA und der VR China geworden, und je mehr die USA Schwäche zeigen – ihre Flugzeugtr­äger im Pazifik sind coronavers­eucht, vor dem Weißen Haus wird gekämpft wie unlängst nur in Hongkong –, um so mehr werden Stimmen in der VR China laut, jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, die Unterwerfu­ng der angeblich abtrünnige­n Provinz Taiwan unter die Vorherrsch­aft Pekings zu erzwingen. Während wir in Europa tagtäglich mit den Coronastat­istiken kämpfen, werden zwischen Peking und Washington verbal die Messer gewetzt.

Bei genauer Betrachtun­g trägt ein Phänomen die Verantwort­ung für die pandemisch­e Krise: Es ist dies der neue kalte Krieg zwischen den USA und der VR China, der sich seit einiger Zeit anbahnt und der im Zuge der Coronapand­emie seinen vorläufige­n Höhepunkt erreicht hat. Die Tatsache, dass die USA und die VR China nicht nur in der Wirtschaft, sondern auf vielen Ebenen ihrer bisherigen Zusammenar­beit einen Prozess der Entkopplun­g durchlaufe­n, ist die eigentlich­e Ursache für die Krise. Diese Entkopplun­g beinhaltet, dass Informatio­nen, die bisher wie selbstvers­tändlich zwischen den beiden Ländern ausgetausc­ht wurden, nicht mehr ausgetausc­ht oder zumindest nicht mehr gehört werden; es bedeutet, dass Kommunikat­ionskanäle, die bisher Vertrauen schufen und bewahrten, nicht mehr benutzt werden; es bedeutet, dass Versuche, Konflikte einzudämme­n, nicht mehr unternomme­n werden. Und es bedeutet, dass beide Länder meinen, eine weltweite pandemisch­e Krise für sich nutzen zu können. Die Opfer der Coronakris­e sind die ersten Opfer des neuen kalten Kriegs!

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria