Dolmetscher der Künstler
Sprache. Flüstern mit Anna Netrebko, umarmen mit Peter Sellars – Dolmetscher Alexander Zigoˇ arbeitet für die Salzburger Festspiele, übersetzt aber auch für Wissenschaftler und bei Kongressen. Europas Sprachenvielfalt ist für ihn ein Wert.
Al Alexaxandnderer Ziˇ Zigoo i istst Dolmetscher bei den Salzburger Festspielen.
Die Presse: Ist es mehr oder weniger Stress, für Künstler zu dolmetschen als für gewöhnliche Leute?
Alexander Zˇigo: Das Stressniveau ist überall das gleiche. Aber wenn man mit hochkarätigen Künstlern zusammenarbeitet, ist man nervöser als sonst. Ich kann mich erinnern, ich durfte für Anna Netrebko bei einer Pressekonferenz flüsterdolmetschen.
Was ist das?
Man sitzt neben der Kundin und flüstert ihr zu, was gesagt wird. In diesem Fall habe ich ins Englische übersetzt. Üblicherweise nickt der Kunde von Zeit zu Zeit. Aber Anna Netrebko hat keine Reaktion gezeigt. Sie wirkte etwas unnahbar. Ich war nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was ich ihr zugeflüstert hatte, aber ich habe dann bemerkt, sie hat meine Dolmetschung aufgenommen.
Meist sitzt man ja in einer Kabine.
Ja. Wie bei Peter Sellars’ Eröffnungsrede für die Festspiele 2019. Er hat sich im Prinzip an das Manuskript gehalten, was mich überrascht hat und andere wohl auch. Ich habe gedacht, er würde extemporieren. Ich habe einige Male für ihn persönlich gearbeitet. Dann habe ich ihn in Salzburg wieder gesehen. Er war voller Freude, tat so, als ob er mich wiedererkennen würde, und hat mich sogar umarmt.
Das wäre jetzt streng verboten.
Allerdings. Sellars ist so jovial. Das war für mich ungewöhnlich. Ich dachte, ich sei eher ein unwichtiger Mensch in seinem Leben, ein Dienstleister eben.
Künstler sind oft spontan oder unberechenbar. Eine Herausforderung für den Dolmetscher.
Ja. Für die Festspiele dolmetsche ich konsekutiv. Das heißt, es wird eine Aussage getroffen, ich notiere und übersetze. Manchmal muss ich die Leute einbremsen. Aber es ist sehr selten vorgekommen, dass einer oder eine gesagt hätte: „Jetzt lassen Sie mich doch weitererzählen!“Künstler sind manchmal etwas ausschweifend. Gut, im politischen Bereich kommt das auch vor.
Ich frage mich immer, wie in Salzburg die Kommunikation mit all diesen vielen Sprachen überhaupt funktioniert.
Die meisten sprechen Englisch. Trotzdem ist das Ganze komplex aufgrund der Akzente. Man dolmetscht sehr oft für Menschen, deren Muttersprache nicht Englisch ist. Und es gibt Akzente, mit denen sich europäische Dolmetscher schwertun. Ich denke da etwa an japanische Ingenieure, das sind ja keine Wald-und-Wiesen-Themen. Wenn man da vom Englischen ins Deutsche übersetzt, das ist schwierig. Im Idealfall gibt es zwar Manuskripte. Trotzdem: Die Gedankenstruktur ist eine andere, als wenn man für Österreicher, die Englisch sprechen, ins Deutsche übersetzt. Das ist vertrautes Terrain.
Sprache und Mentalität sind verbunden? Für einen deutschsprachigen Menschen oder einen Skandinavier ist es sicher leichter, Englisch zu lernen und auf einem guten Niveau zu sprechen, als für jemanden aus Ostasien, wo vielfach Menschen Englisch unterrichten, die die Sprache nicht wirklich können. Die Unterschiede in den Sprachen zwischen Asien und Europa sind sehr groß.
Warum hat eigentlich das Englische als Weltsprache gegen das Französische gewonnen? Weil man leichter „Kuchlenglisch“als „Kuchlfranzösisch“lernt? Absolut. Auf Kongressen wird nicht mehr notwendigerweise gedolmetscht. Wenn es um Medizin oder Technologie geht, verstehen die Leute einander, auch wenn sie nicht besonders gut Englisch können, durch ihren Fachbereich. Und sie sind ziemlich tolerant, was „badly spoken English“betrifft.
Was macht man als Dolmetscher, wenn ein Redner einen Hänger hat?
Man muss den Satz beenden, zur Not mit einer sehr allgemeinen Floskel. Da muss man dann Krisenmanagement betreiben. Sonst heißt’s, der Dolmetscher ist schlecht.
Passiert es, dass ein Dolmetscher sich weigert, eine politische Rede zu übersetzen? Es kam einmal vor, dass eine Kollegin wutentbrannt aus der Kabine gestürmt ist, weil ihr der Inhalt der Rede, die sie dolmetschte, nicht gepasst hat. Aber das ist höchst unprofessionell und passiert auch praktisch nie.
Sie sprechen Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch. Wie haben Sie es geschafft, so viele Sprachen zu lernen?
Ich war als Kind und Jugendlicher in den Sommerferien öfter im englischsprachigen Teil von Kanada. Ich bin aber nicht zweisprachig aufgewachsen. Das ist auch keine Voraussetzung dafür, als Dolmetscher tätig zu sein. Im Gegenteil, es kann ein Hindernis sein, selbst wenn man beide Sprachen sehr gut beherrscht, sogar muttersprachlich. Nicht jeder schafft es aber, zwischen den Sprachen hin- und herzuwechseln.
Gibt es eine babylonische Sprachverwirrung? Sind wir im Nachteil als Europäer mit unseren vielen Sprachen in Konkurrenz zur englischen Monokultur?
Ich denke, dass die Sprachenvielfalt in Europa ein absoluter Wert und eine Ressource ist. Natürlich brauchen die Menschen, braucht die Wirtschaft eine gemeinsame Sprache. Das ist das Englische. Allerdings gibt es auch Kulturkreise, in denen ich mit meinen Sprachen nicht weit gekommen bin. Ich habe öfter in Zentralasien bei Konferenzen zu tun gehabt. Da wäre ich mit Russisch besser dran gewesen als mit Englisch.
Was halten Sie von Babbel und anderen Schnellkursen für Sprachen im Internet? Warum nicht? Doch diese Schnellsiedekurse ersetzen nicht das Eintauchen in eine andere Sprache und Kultur. Sprachenlernen ist eine Frage der Begabung und des Alters. Spanisch kam bei mir als Letztes dazu, da musste ich richtig pauken. Als Dolmetscher muss man aber sowieso immer am Ball bleiben. Das ist das Schöne an dem Beruf.