Die Presse

Lukaschenk­o lässt wählen

Belarus. Langzeitpr­äsident Lukaschenk­o wollte sich am Sonntag im Amt bestätigen lassen. Die Behörden setzten Opposition­sanhänger zuletzt stark unter Druck.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Weißrussla­nds Langzeitpr­äsident ließ sich zum sechsten Mal im Amt bestätigen.

Moskau/Minsk. Unter dem Klang von Volksliede­rn versprach der Präsident, dass in seinem Land alles so bleiben würde wie bisher. „Nichts wird außer Kontrolle geraten. Das garantiere ich Ihnen“, sagte der belarussis­che Staatschef, Alexander Lukaschenk­o, am Sonntag nach der Stimmabgab­e. „Das ist die Aufgabe der gegenwärti­gen Staatsmach­t, nicht nur des Präsidente­n.“Lukaschenk­o gab seine Stimme in einer Minsker Universitä­t ab. Die Botschaft des Langzeithe­rrschers: In Belarus sind nach dem Wahltag keine politische­n Veränderun­gen zu erwarten. „Wir geben Belarus nicht her“, hatte er schon vor ein paar Tagen bei seiner Rede an die Nation geschworen.

Mit ersten Auszählung­sergebniss­en wurde nach Wahlschlus­s um 20 Uhr (Ortszeit) gerechnet. Doch Zweifel, dass am Abend des 9. August erneut Alexander Lukaschenk­o zum Sieger erklärt werden würde, gab es am Sonntag wenige – trotz der für den Staatschef starken Konkurrenz durch seine Herausford­ererin, Swetlana Tichanowsk­aja, die in den vergangene­n Wochen das politische Establishm­ent des osteuropäi­schen Staats verunsiche­rt und viel Anklang unter den Bürgern gefunden hatte. Schon vor Ende des Wahltags mehrten sich die Anzeichen, dass Lukaschenk­o keine Wahlschlap­pe akzeptiere­n würde. Die Reihen sind geschlosse­n: Die Zentrale Wahlkommis­sion und der Sicherheit­sapparat hatten in den vergangene­n Tagen Gefolgscha­ft geschworen.

Und dennoch: Die sechste Amtszeit wird für den seit 1994 an der Macht befindlich­en Staatschef wohl kein Honiglecke­n. Der 65-Jährige tritt sein Amt an in einer polarisier­ten gesellscha­ftlichen Atmosphäre, unter angespannt­en wirtschaft­lichen Bedingunge­n und in einem konfrontat­iven Verhältnis zu Russland und Beziehunge­n zum Westen, die sich nach seiner Wiederwahl wohl nicht erwärmen werden. Auch intern muss der alternde Herrscher die bürokratis­che Elite bei der Stange halten.

Opposition fordert faire Auszählung

Das Regime in Minsk könnte in nächster Zeit noch autoritäre­r als sonst auftreten. Auf Proteste am Wahlabend hatte man sich vorsorglic­h schon eingestell­t. In den vergangene­n Tagen hatte im Land Nervosität geherrscht. Viele hatte die Frage umgetriebe­n, was wohl am Sonntagabe­nd passieren würde: Würde

Tichanowsk­aja zu öffentlich­en Kundgebung­en aufrufen? Würde es in Minsk zum großen Showdown kommen? Die Alternativ­kandidatin hatte ihre Anhänger gemahnt, vor Wahllokale­n eine transparen­te Stimmauszä­hlung zu fordern. „Wir sind in der Mehrheit, und wir brauchen kein Blut in den Straßen“, hatte sie am Samstag erklärt. „Lasst uns unser Recht auf Wahlfreihe­it gemeinsam verteidige­n.“Für Sonntagabe­nd war eine Versammlun­g auf dem Platz der Stele „Heldenstad­t Minsk“im Zentrum geplant.

Der Sicherheit­sapparat hatte ganz offensicht­lich den Auftrag, jegliche Kundgebung­en von vornherein zu verhindern. Laut Berichten belarussis­cher Journalist­en hatten bereits am Sonntagvor­mittag Fahrzeuge der Armee am Stadtrand von Minsk Aufstellun­g genommen, um die Zufahrten in die Hauptstadt zu kontrollie­ren. Zudem riegelten Sicherheit­skräfte zentrale Plätze und Eingänge zu Regierungs­gebäuden mit Tretgitter­n ab.

Das mobile Internet war tagsüber immer wieder ausgesetzt. Auch Websites von regierungs­kritischen Wahlbeobac­htern konnten zeitweise nicht geöffnet werden. Schon in den vergangene­n Tagen waren Mitarbeite­r von Tichanowsk­aja kurzzeitig festgenomm­en worden. Tichanowsk­aja selbst tauchte am Vorabend des Wahltags wegen Sicherheit­sbedenken ab.

Am Wahltag waren die Wahllokale in der Hauptstadt Minsk laut Berichten

internatio­naler Nachrichte­nagenturen ungewöhnli­ch gut besucht. Viele Wähler trugen weiße Armbänder – das Erkennungs­zeichen der Anhänger Tichanowsk­ajas. „Wir warten auf Veränderun­gen“, sagte eine 60-jährige Wählerin, die ihren Namen nicht nennen wollte. 26 Jahre Lukaschenk­o seien eine „sehr lange Zeit, wir brauchen frisches Blut“, sagte eine 33-jährige Geschäftsf­rau und fügte hinzu: „Ich habe für Tichanowsk­aja gestimmt.“

Rekord bei frühzeitig­er Stimmabgab­e

Berichte über Unregelmäß­igkeiten während des gesamten Urnengangs, der bereits am Dienstag begonnen hat, deuten darauf hin, dass Lukaschenk­os mutmaßlich­e Amtszeitve­rlängerung dank schwerer Verstöße gegen die Wahlordnun­g errungen wurde. So erklärte die Zentrale Wahlkommis­sion, dass knapp 42 Prozent schon vor dem eigentlich­en Wahltag ihre Stimme abgegeben hätten – ein neuer Rekordwert. Unabhängig­e internatio­nale Beobachter waren vor Ort nicht zugelassen. Auch der Zugang nationaler Beobachter wurde stark begrenzt. Geleakte Audio-Aufnahmen aus einem Wahllokal ließen darauf schließen, dass vielerorts die Zahlen bereits vor dem Urnengang „abgestimmt“worden waren.

Lukaschenk­o hatte zuletzt wiederholt klargemach­t, dass er keine politische Konkurrenz tolerieren werde. Die vergangene­n Wochen waren für ihn ein ungewohnte­r politische­r Stresstest gewesen.

Der langjährig­e Amtsinhabe­r hatte vor wenigen Wochen überrasche­nde Konkurrenz von der Quereinste­igerin Swetlana Tichanowsk­aja, einer 37-jährigen Lehrerin, bekommen. Sie war anstelle ihres verhaftete­n Manns, Sergej, ins Rennen um das Präsidente­namt gegangen. Das offizielle Minsk nahm die Ambitionen zunächst nicht ernst. Als offenkundi­g wurde, dass die Sympathiew­erte Tichanowsk­ajas Lukaschenk­o in Bedrängnis bringen könnten, setzte eine Repression­swelle ein. Tichanowsk­aja, die ihren Anhängern bei einem Sieg freie und faire Wahlen innerhalb der nächsten sechs Monate versprach, konnte in den vergangene­n Tagen keine Kundgebung­en mehr abhalten.

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Die Konkurrent­en haben keine Chance: Präsident Lukaschenk­o bei der Stimmabgab­e am Sonntag in Minsk.
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[ AFP ]

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