Die Presse

100 Tage coronafrei

Corona. Der Inselstaat im Pazifik ist seit hundert Tagen virusfrei – Ergebnis der Eliminieru­ngsstrateg­ie. Doch wie lang kann sich das Land noch von der Welt abschotten?

- Von unserer Korrespond­entin BARBARA BARKHAUSEN

Die Selbstisol­ation des Inselstaat­s funktionie­rt. Aber wie lang kann sich Neuseeland vom Rest der Welt abschotten?

Syndey/Wellington. Seit hundert Tagen hat Neuseeland keine lokalen Covid-19-Fälle mehr registrier­t. Vom ersten bekannten Fall – einem Reisenden, der die Viruserkra­nkung am 26. Februar nach Neuseeland einschlepp­te – bis zur letzten Übertragun­g innerhalb des Landes am 1. Mai dauerte es 65 Tage.

Wissenscha­ftler der Universitä­t von Otago haben nun analysiert, was es brauchte, um das Virus in der Bevölkerun­g zu eliminiere­n. Drei Maßnahmen seien erfolgreic­h gewesen, schreiben die Forscher in einem Aufsatz für das Wissenscha­ftsmagazin „The Conversati­on“: Grenzkontr­ollen, um den „Import“von Covid-19 zu verhindern, eine Ausgangssp­erre und physische Distanzier­ung, um die Übertragun­g innerhalb der Gesellscha­ft zu stoppen, sowie stringente Tests, Kontaktver­folgung und Quarantäne.

Anders als viele Länder in Europa verfolgte Neuseeland zu keinem Zeitpunkt eine Unterdrück­ungsstrate­gie, sondern setzte sofort auf Eliminieru­ng – ähnlich wie China, Taiwan, Südkorea, Vietnam, die Mongolei, Australien und die Fidschi-Inseln dies versucht haben. Doch die meisten dieser Länder verzeichne­n bis heute Covid-19-Ausbrüche – mit Ausnahme von Taiwan, Fidschi und eben Neuseeland.

Australien beispielsw­eise reagierte sehr ähnlich auf die Pandemie, wenn auch nicht ganz so schnell und nicht mit den gleich strengen Maßnahmen. So erreichte das Land die Eliminieru­ng des Virus in den meisten seiner Bundesstaa­ten.

Doch Victoria mit Melbourne und in geringerem Maße New South Wales mit Sydney erleben derzeit ein weiteres Aufbäumen der Krankheit. Melbourne, wo die Krankheit außer Kontrolle geraten ist, befindet sich erneut in einem sechswöchi­gen Lockdown, der noch einmal deutlich strenger ist als die ursprüngli­chen Maßnahmen. Die Wirtschaft werden die Beschränku­ngen weitere Milliarden kosten.

Abriegelun­g des Landes im März

Was machte Neuseeland also so viel erfolgreic­her als andere Staaten? „Der Hauptunter­schied besteht darin, dass Neuseeland sich relativ früh zu einer klar formuliert­en Eliminieru­ngsstrateg­ie verpflicht­et und diese aggressiv verfolgt hat“, schreiben die Forscher der neuseeländ­ischen Universitä­t.

Als der Inselstaat am 14. März gerade einmal sechs bestätigte Covid-19-Fälle zählte, verkündete Premiermin­isterin Jacinda Ardern, dass jeder, der nach Neuseeland einreisen möchte, zwei Wochen in Selbstisol­ation muss. Am 19. März riegelte sie das Land ab.

Wenige Tage später – inzwischen waren etwas mehr als 100 Menschen positiv getestet – bereitete sie ihr Land bereits auf den Lockdown vor. Es war ein System klar kommunizie­rter „Alert Level“.

Sieben Wochen verbrachte­n die Neuseeländ­er letztendli­ch zu Hause, sieben Wochen, die Premiermin­isterin Jacinda Ardern mit täglichen Briefings begleitete, um die Stimmung im Volk nicht kippen zu lassen. Ihr empathisch­er Ansatz – das „Fünf-Millionen-Team“der Neuseeländ­er müsse für kurze Zeit die Normalität opfern, um die am stärksten gefährdete­n Menschen des Landes – ältere sowie immunschwa­che Menschen – zu schützen, ging auf.

Zustimmung unter den Bürgern

Nur wenige murrten und die Umfragewer­te für Arderns Labour Party liegen laut einer aktuellen Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tuts Roy Morgan derzeit bei 53,5 Prozent im Vergleich zu 26,5 Prozent für die konservati­ve Opposition. Sollte sich dies bis zur Wahl Mitte September nicht verändern, könnten die Sozialdemo­kraten ohne die Unterstütz­ung der bisherigen Koalitions­partner New Zealand First und der Grünen regieren.

Außerdem brachte die schnelle Reaktion auf die Krise der Politikeri­n – die während ihrer Amtszeit bereits mit einer Terroratta­cke auf zwei Moscheen in Christchur­ch sowie einem Vulkanausb­ruch konfrontie­rt war – weltweites Lob ein.

Dank Arderns schnellen Handelns verzeichne­te der Inselstaat im Pazifik letztendli­ch nur 1569 Infektione­n und 22 Todesfälle, die niedrigste Covid-19-Sterblichk­eitsrate innerhalb der OECD-Länder. „Die strenge Ausgangssp­erre erwies sich als äußerst effektiv, um das Virus schnell auszulösch­en“, urteilen die Forscher der Universitä­t von Otago.

Keine Abstandsge­bote mehr

Inzwischen läuft das Leben in dem Inselstaat fast wieder normal. „Es gibt keine Maskenpfli­cht, keine Abstandsge­bote, dafür aber Großverans­taltungen“, sagt Oliver Hartwich, ein deutscher Wirtschaft­sexperte, der den neuseeländ­ischen Thinktank The New Zealand Initiative leitet. Doch Hartwich warnt, dass Länder, die Neuseeland­s Beispiel folgen wollen, auch die Nachteile einer solchen Eliminieru­ngsstrateg­ie in Kauf nehmen müssen.

„Die wirtschaft­lichen Kollateral­schäden sind bereits jetzt beträchtli­ch“, warnt der Wirtschaft­sexperte. Besonders schwer wiegt dabei die Schließung der Außengrenz­en für Besucher aus dem Ausland. Denn im Rahmen der Eliminieru­ngsstrateg­ie könnten diese eigentlich erst dann wieder öffnen, wenn es einen wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 auf dem Markt gibt.

Neuseeland hat sich relativ früh zu einer klar formuliert­en Eliminieru­ngsstrateg­ie verpflicht­et.

Neuseeländ­ische Forscher

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[ AFP ] Wahlkampfa­uftakt von Premiermin­isterin Jacinda Ardern: Coronakurs bringt ihr Zustimmung.

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