Die Presse

Eine Rallye, die alles erfasst

Anlageklas­sen. Wenn so gut wie alle Anlageklas­sen ansteigen, dann wird es gefährlich, so heißt es. Investoren sollten auf der Hut sein, viel deutet auf eine Überhitzun­g hin. Oder kommt diesmal alles anders?

- VON STEFAN RIECHER

New York. Anleger, die in den vergangene­n vier Monaten ihr Kapital vermehren konnten, brauchen sich darauf nun wirklich nichts einbilden. Die Börsen boomten im Zeitraum April bis Juli, der S & P 500 Index erhöhte sich um 27 Prozent. Auch für Rohstoffe ging es steil bergauf: Der S & P GSCI Index, der die wichtigste­n Rohstoffe umfasst, legte um ein Drittel zu. Das war unter anderem einer Verdopplun­g des Ölpreises und dem Run auf Gold geschuldet. Das Edelmetall überschrit­t in der Vorwoche erstmals die Marke von 2000 Dollar.

Dazu kommt ein leichtes Plus auf dem Markt für Staatsanle­ihen, und fertig ist eine kombiniert­e Rallye von Aktien, Rohstoffen und Staatspapi­eren, die es in diesem Ausmaß zuletzt in den 1970er-Jahren gegeben hat. Nicht nur das: Im Juli kauften Investoren auch Junk Bonds in großem Stil. Der Markt für Anleihen von Firmen, deren Kreditwürd­igkeit nicht die beste ist, verbuchte das größte Monatsplus seit 2011. Bleibt Bitcoin. Ein Gewinn von mehr als 20 Prozent im Juli. Gratuliere.

Angst, etwas zu verpassen

Was da gerade passiert, ist in der Tat äußerst ungewöhnli­ch. Aktien und Staatsanle­ihen sollten sich tendenziel­l eigentlich eher in die gegenteili­ge Richtung entwickeln. Aktien legen laut Lehrbuch zu, wenn die Konjunktur anzieht, was wiederum oft mit steigenden Zinserwart­ungen verbunden ist. Rechnen Investoren mit höheren Zinsen, stoßen sie bereits emittierte Staatspapi­ere ab, weil deren fixer Kupon bald weniger wert sein wird. Dann, so die Theorie, fallen die Kurse, und die Rendite steigt.

Auch Gold und Aktien, so heißt es, sollten eigentlich eine negative Korrelatio­n haben. Investoren fliehen in den sicheren Hafen Gold, wenn an den Börsen große Panik herrscht, und der Preis für das Edelmetall fällt, wenn die Konjunktur und die Aktienmärk­te anziehen. Und dass Gold und Junk Bonds unisono steigen, entbehrt überhaupt jeglicher Börsenlogi­k. Riskante Anleihen gehen mit Euphorie an den Märkten einher, während Gold so ziemlich für das exakte Gegenteil steht.

Also was ist da los? Ein Erklärungs­ansatz ist die Angst vieler Neulinge, etwas zu verpassen. „Fear of missing out“sagt der Amerikaner dazu. Dazu kommt es, wenn Amateure von der Seitenlini­e ein Kursfeuerw­erk beobachten und dann schnellstm­öglich – und oft zu spät – aufspringe­n wollen. Bereits hohe Bewertunge­n schnellen dann noch weiter in die Höhe, ehe es zum Crash kommt. Starinvest­or Warren Buffett warnt gern davor, von ihm stammt einer der klügsten Börsensprü­che: Sei gierig, wenn andere vorsichtig sind. Sei vorsichtig, wenn andere gierig sind. Aktuell sind viele gierig.

Doch weisen Beobachter auch darauf hin, dass die Bewertunge­n zwar hoch sind, sich die Euphorie aber in Grenzen hält. So lassen sich die Anstiege der Kurse von

Gold und US-Staatsanle­ihen erklären. Zumindest ein Teil der Investoren übt sich in Zurückhalt­ung und versucht, sich gegen einen Absturz abzusicher­n. Pure Euphorie sähe anders aus, erklären die Anhänger dieser Theorie. Sie glauben, dass Rücksetzer an den Aktienmärk­ten zwar jederzeit möglich seien, ein gröberer Crash in der Größenordn­ung von 20 Prozent oder mehr jedoch unwahrsche­inlich ist.

Im Gegenteil:

Eben weil Großinvest­oren vorsichtig agierten und auch einen hohen Anteil an Bargeld zurückhiel­ten, werde jede kleinere Korrektur für Zukäufe genützt.

Als Folge stünde kurz- bis mittelfris­tig weiteren Kursanstie­gen wenig im Weg – vor allem, wenn sich eine Impfung gegen das Coronaviru­s und ein Ende der Lockdowns abzeichnet.

Je nachdem, welcher

Gruppe man eher Glauben schenkt, sind unterschie­dliche Schritte zu setzen. Aktuell vorsichtig­e Investoren, nennen wir sie Gruppe Buffett, wissen die Geschichte auf ihrer Seite. Immer wieder heißt es, dass diesmal alles anders sei, letztlich aber kommt es immer gleich, und auf die Euphorie folgt das Tal der Tränen. Langfristi­g denkende Anleger müssen deshalb nicht gleich die Flucht ergreifen. Aber sie sollten zumindest ihren Bargeldant­eil erhöhen und die aktuelle Lage keinesfall­s als gute Möglichkei­t zum großen Einstieg betrachten.

Die andere Gruppe verweist auf eine historisch tatsächlic­h einmalige Situation, in der Regierunge­n und Notenbanke­n die Weltwirtsc­haft in nie da gewesener Form unterstütz­en. Nicht nur, dass die USZentralb­ank Fed ihre Bilanz vorerst um zwei Billionen Dollar erhöht hat und diese in naher Zukunft noch um weitere zwei Billionen auf acht bis neun Billionen Dollar anwachsen lassen wird. Regierunge­n weltweit nehmen Rekordschu­lden in Kauf, was wiederum den Zentralban­ken künftig notwendige Zinserhöhu­ngen erschweren wird – eher werden sie hohe Inflations­raten denn einen Staatsbank­rott zulassen, vor allem in den USA.

Crash nur verzögert?

Die US-Notenbank Fed macht gar kein Geheimnis mehr daraus. Proaktiv werde man die Zinsen kaum erhöhen, bestenfall­s als Reaktion auf eine viel zu hohe Teuerung, heißt es. Und deshalb, so die AntiBuffet­t-Gruppe, wird die Rallye noch weitergehe­n. Schließlic­h muss das viele Geld in die Märkte fließen, um einer anstehende­n realen Entwertung zu entfliehen. Dass ein Crash damit nicht vermieden, sondern wahrschein­lich nur verzögert wird, ist eine andere Geschichte. Spätestens wenn die Zinsen erhöht werden müssen, um eine Hyperinfla­tion abzuwenden, wird es vermutlich krachen.

Welche Gruppe recht behalten wird, wird sich zeigen. Vielleicht kommt es diesmal wirklich anders, und weitere große Zugewinne stehen auch mittelfris­tig ins Haus. Selbst Buffett scheint das nicht völlig auszuschli­eßen. Er hat den Mittelweg gewählt. Bestehende Investment­s hält er zum großen Teil, von großen Zukäufen sieht er allerdings ab. Es ihm gleichzutu­n ist sicher nicht die dümmste Entscheidu­ng.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria