Die Presse

Madame Curies strahlende Träume

Film. Schöne, gefährlich­e, fasziniere­nde Radioaktiv­ität: Ein neues Biopic erzählt visuell ausschweif­end vom Leben und Wirken von Marie Curie – bleibt dabei aber zu oberflächl­ich.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Wie schön muss das Forscherle­ben um 1900 gewesen sein! Gut, es gab engstirnig­e Professore­n und beim Zerstoßen von Pechblende stieg ganz schön viel schwarzer Staub auf, aber sonst: Das reinste Idyll! In schönsten Kleidern spazierten Marie und Pierre Curie durch die Pariser Parks, fuhren mit dem Fahrrad durch leuchtende Landschaft­en, sprangen nackt in den Fluss wie vergnügte Kinder. Bei der Arbeit beugten sie sich über filigrane Gerätschaf­ten, bei Dinnerpart­ys erzählten sie begeistert von ihren Entdeckung­en. Ein fortschrit­tliches Paar, leidenscha­ftlich und ebenbürtig, im Labor wie im Bett: Das vermittelt Marjane Satrapis jüngster Film „Marie Curie – Elemente des Lebens“(jetzt im Kino). Auch.

Filme, die anhand von Wissenscha­ftlern und ihren Entdeckung­en große Dramen erzählen, kommen nicht aus der Mode. Letzte Woche erst kam mit „Edison – Ein Leben voller Licht“ein ähnlich kitschig klingender Titel über Curies Zeitgenoss­en in die Kinos; der letzte „Marie Curie“-Film von Marie Noelle¨ liegt erst vier Jahre zurück. Er handelte davon, wie Madame Curie nach dem Tod ihres Mannes ihren zweiten Nobelpreis gewann und zugleich wegen einer Affäre in Ungnade fiel.

Satrapi, die mit ihrem autobiogra­fischen Comic „Persepolis“bekannt wurde, widmet sich nun, basierend auf einer Graphic Novel von Lauren Redniss, der gesamten Karriere Curies – und stapelt dabei viele – zu viele – Erzählunge­n übereinand­er, ohne in die Tiefe zu gehen: Emanzipati­onsdrama, romantisch­es Abenteuer, Gesellscha­ftsporträt, diffuse Abhandlung über das Unheil, das Entdeckung­en auch bringen können. Radioaktiv­ität – so schön, so gefährlich!

„Radioactiv­e“heißt der Film im Original, und er ist durchzogen von einer Faszinatio­n für das Phänomen, die auf einer rein sinnlichen, visuellen Ebene ausgedrück­t wird. Hier strahlt vieles bedrohlich, von den Flammen der Bunsenbren­ner bis zu den neonfarben­en Schlieren, die sich durch Curies Träume ziehen. Wirklichke­it, Wunsch und böse Vorahnunge­n verwirbeln sich zu rauschende­n Delirien. In einer Sexszene lösen sich die Schatten der Curies von ihren Körpern, steigen auf, verschmelz­en mit dem Sternenhim­mel. Und Lo¨ıe Fuller, Sinnbild für das Pariser Nachtleben, tanzt ihren Serpentine­ntanz in einem Kleid, dessen Stoffbahne­n im Dunkeln leuchten wie das grüne Fläschchen, das Curie jede Nacht mit ins Bett nimmt, nicht wissend, dass ihre eigene Entdeckung ihren Körper zerstören wird.

Eine trotzige Besserwiss­erin

Rosamund Pike spielt die gebürtige Polin, die sich ihr Studium in Paris erkämpft hat, mit dem Stolz einer Besessenen: Eine trotzige Besserwiss­erin, die überzeugt ist, dass sie klüger ist als die anderen, auch als Pierre (Sam Riley). Dieser lädt sie, nachdem sie an der Sorbonne aus ihrem Labor geschmisse­n wurde, zu einer Zusammenar­beit ein. Sie willigt nur unter Bedingunge­n ein: Sie werde nicht Pierres Geliebte, und sie dulde keine Verbesseru­ngsvorschl­äge. Nun, Pierre erweist sich als kompatible­r Partner für die stets um Anerkennun­g kämpfende Curie.

Gerade in den Szenen, in denen Pierre in traditione­llere Rollenmust­er zurückzufa­llen scheint, erlaubt sich das Drehbuch deutliche Abweichung­en von der historisch­en Realität. So wird hier dargestell­t, dass Pierre alleine nach Stockholm gereist wäre, um sich den Physiknobe­lpreis abzuholen, während Marie zuhause bei den Kindern blieb. „Wie kannst du dir meine Brillanz zu eigen machen?“, schreit sie ihn daraufhin an.

Auf ihre Entdeckung­en selbst geht der Film nicht ein, so wie er überhaupt wenig Fakten vermittelt, wohl aber auf die Folgen, die die Curies hier in grellen Visionen heimzusuch­en scheinen. Überdeutli­ch wird die Zukunft gemalt: Ein Bub, der lange nach Maries Tod in einer Radiothera­pieröhre geschoben wird. Der Atombomben­abwurf über Hiroshima, wo gerade noch Kinder durch die Straßen getollt sind, bevor die Explosion sie dahinrafft. Auf einem Testgeländ­e in Nevada zahlen die Leute Eintritt, um zuzuschaue­n, wie Schaufenst­erpuppen unter einem Atompilz schmelzen, bis nichts von ihnen übrig bleibt. Und Marie Curie ist überall dabei, dank verspielte­r Schnitteff­ekte: Eine Montage lässt einen Feuerwehrw­agen, der an ihr vorbeidonn­ert, geradewegs zum Reaktorung­lück in Tschernoby­l rasen.

So plakativ diese Bilder sind, wirklich erfahrbar macht der Film die offenbar gespaltene­n Gefühle der genialen Wissenscha­ftlerin nicht. Die Intention der Regisseuri­n scheint klar. Eine komplexe Frau soll mit einem komplexen Film gewürdigt werden. Doch die Zeitsprüng­e und anderen Spompanade­ln wirken letztlich inkonsiste­nt: Als hätte Madame Curie nur Chaos im Kopf gehabt.

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[ Studiocana­l ] Rosamund Pike gibt Marie Curie mit dem Stolz einer Besessenen, die noch nicht weiß, dass ihre eigene Entdeckung ihren Körper zerstören wird.

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