Madame Curies strahlende Träume
Film. Schöne, gefährliche, faszinierende Radioaktivität: Ein neues Biopic erzählt visuell ausschweifend vom Leben und Wirken von Marie Curie – bleibt dabei aber zu oberflächlich.
Wie schön muss das Forscherleben um 1900 gewesen sein! Gut, es gab engstirnige Professoren und beim Zerstoßen von Pechblende stieg ganz schön viel schwarzer Staub auf, aber sonst: Das reinste Idyll! In schönsten Kleidern spazierten Marie und Pierre Curie durch die Pariser Parks, fuhren mit dem Fahrrad durch leuchtende Landschaften, sprangen nackt in den Fluss wie vergnügte Kinder. Bei der Arbeit beugten sie sich über filigrane Gerätschaften, bei Dinnerpartys erzählten sie begeistert von ihren Entdeckungen. Ein fortschrittliches Paar, leidenschaftlich und ebenbürtig, im Labor wie im Bett: Das vermittelt Marjane Satrapis jüngster Film „Marie Curie – Elemente des Lebens“(jetzt im Kino). Auch.
Filme, die anhand von Wissenschaftlern und ihren Entdeckungen große Dramen erzählen, kommen nicht aus der Mode. Letzte Woche erst kam mit „Edison – Ein Leben voller Licht“ein ähnlich kitschig klingender Titel über Curies Zeitgenossen in die Kinos; der letzte „Marie Curie“-Film von Marie Noelle¨ liegt erst vier Jahre zurück. Er handelte davon, wie Madame Curie nach dem Tod ihres Mannes ihren zweiten Nobelpreis gewann und zugleich wegen einer Affäre in Ungnade fiel.
Satrapi, die mit ihrem autobiografischen Comic „Persepolis“bekannt wurde, widmet sich nun, basierend auf einer Graphic Novel von Lauren Redniss, der gesamten Karriere Curies – und stapelt dabei viele – zu viele – Erzählungen übereinander, ohne in die Tiefe zu gehen: Emanzipationsdrama, romantisches Abenteuer, Gesellschaftsporträt, diffuse Abhandlung über das Unheil, das Entdeckungen auch bringen können. Radioaktivität – so schön, so gefährlich!
„Radioactive“heißt der Film im Original, und er ist durchzogen von einer Faszination für das Phänomen, die auf einer rein sinnlichen, visuellen Ebene ausgedrückt wird. Hier strahlt vieles bedrohlich, von den Flammen der Bunsenbrenner bis zu den neonfarbenen Schlieren, die sich durch Curies Träume ziehen. Wirklichkeit, Wunsch und böse Vorahnungen verwirbeln sich zu rauschenden Delirien. In einer Sexszene lösen sich die Schatten der Curies von ihren Körpern, steigen auf, verschmelzen mit dem Sternenhimmel. Und Lo¨ıe Fuller, Sinnbild für das Pariser Nachtleben, tanzt ihren Serpentinentanz in einem Kleid, dessen Stoffbahnen im Dunkeln leuchten wie das grüne Fläschchen, das Curie jede Nacht mit ins Bett nimmt, nicht wissend, dass ihre eigene Entdeckung ihren Körper zerstören wird.
Eine trotzige Besserwisserin
Rosamund Pike spielt die gebürtige Polin, die sich ihr Studium in Paris erkämpft hat, mit dem Stolz einer Besessenen: Eine trotzige Besserwisserin, die überzeugt ist, dass sie klüger ist als die anderen, auch als Pierre (Sam Riley). Dieser lädt sie, nachdem sie an der Sorbonne aus ihrem Labor geschmissen wurde, zu einer Zusammenarbeit ein. Sie willigt nur unter Bedingungen ein: Sie werde nicht Pierres Geliebte, und sie dulde keine Verbesserungsvorschläge. Nun, Pierre erweist sich als kompatibler Partner für die stets um Anerkennung kämpfende Curie.
Gerade in den Szenen, in denen Pierre in traditionellere Rollenmuster zurückzufallen scheint, erlaubt sich das Drehbuch deutliche Abweichungen von der historischen Realität. So wird hier dargestellt, dass Pierre alleine nach Stockholm gereist wäre, um sich den Physiknobelpreis abzuholen, während Marie zuhause bei den Kindern blieb. „Wie kannst du dir meine Brillanz zu eigen machen?“, schreit sie ihn daraufhin an.
Auf ihre Entdeckungen selbst geht der Film nicht ein, so wie er überhaupt wenig Fakten vermittelt, wohl aber auf die Folgen, die die Curies hier in grellen Visionen heimzusuchen scheinen. Überdeutlich wird die Zukunft gemalt: Ein Bub, der lange nach Maries Tod in einer Radiotherapieröhre geschoben wird. Der Atombombenabwurf über Hiroshima, wo gerade noch Kinder durch die Straßen getollt sind, bevor die Explosion sie dahinrafft. Auf einem Testgelände in Nevada zahlen die Leute Eintritt, um zuzuschauen, wie Schaufensterpuppen unter einem Atompilz schmelzen, bis nichts von ihnen übrig bleibt. Und Marie Curie ist überall dabei, dank verspielter Schnitteffekte: Eine Montage lässt einen Feuerwehrwagen, der an ihr vorbeidonnert, geradewegs zum Reaktorunglück in Tschernobyl rasen.
So plakativ diese Bilder sind, wirklich erfahrbar macht der Film die offenbar gespaltenen Gefühle der genialen Wissenschaftlerin nicht. Die Intention der Regisseurin scheint klar. Eine komplexe Frau soll mit einem komplexen Film gewürdigt werden. Doch die Zeitsprünge und anderen Spompanadeln wirken letztlich inkonsistent: Als hätte Madame Curie nur Chaos im Kopf gehabt.