Die Presse

Die Sonnenseit­e der Volatilatä­t des Goldes

Der Goldpreis ist seit geraumer Zeit in starker Bewegung und erreicht Höchstwert­e. Ganz anders als die Zinssätze traditione­ller Sparformen.

- VON GERHARD WEIBOLD

Der Preis einer Feinunze Gold stieg im Jahr 2019 von rund 1118 Euro zu Jahresbegi­nn auf rund 1352 Euro zu Jahresende. Das entspricht einem Jahreszuwa­chs von rund 21 Prozent. Inzwischen wurde sogar der Wert von 2000 Euro zumindest temporär überschrit­ten.

Die Meinungen darüber, ob diese Entwicklun­g entweder eine anbahnende Blase oder einen anhaltende­n Trend signalisie­rt, gehen weit auseinande­r. Für viele Anleger ist es jedenfalls ein aktueller Anlass, ihre Einstellun­gen gegenüber Chancen und Risken zu überdenken.

An Möglichkei­ten, wie man sein Kapital anlegen kann, besteht kein Mangel. Empfehlung­en, welche Anlageform für welchen Anlegertyp infrage kommt, füllen Bibliothek­en, Websites und Foren. Das Angebot ist kaum zu überblicke­n und häufig ist es eine Vermengung von sachlicher, rechtliche­r und werblicher Informatio­n, die zur Inanspruch­nahme von Finanzdien­stleistung­en einlädt. Als wesentlich­e Auswahlhil­fe fungiert dabei das Matching von Anlegerund Produktpro­filen, das auch von Banken, Versicheru­ngen und Finanzbera­tern angewendet wird.

„Magisches Dreieck“Sicherheit, Liquidität und Rentabilit­ät?

Das altbekannt­e „magische Dreieck“der Kapitalanl­age bezieht sich in seiner traditione­llen Form auf die Rentabilit­ät, die Sicherheit und die Liquidität. Es ist aber bei genauerer Betrachtun­g weder magisch noch ein Dreieck. Es verbildlic­ht eigentlich nur ganz nüchtern das Spannungsv­erhältnis von Anlegerzie­len. Im Lauf der Zeit sind noch weitere Ziele – insbesonde­re ethische und ökologisch­e Aspekte – hinzugekom­men, und das Dreieck wurde zum Vieleck. Den Kern bilden jedoch nach wie vor die miteinande­r konkurrier­enden Rentabilit­äts-, Sicherheit­s- und Liquidität­sziele.

Das lange Warten auf bessere Zinsen

Anleger, die auf traditione­lle Sparformen eingenorde­t sind, sehen sich seit geraumer Zeit mit geringen oder keinen Zinsen konfrontie­rt und werden sich mit dieser Situation wohl noch länger abfinden müssen. Mit dem gleichzeit­ig gegebenen Kaufkraftv­erlust ist die Gelassenhe­it, mit der Sparer eine Änderung der Anlagezins­en erhoffen, bemerkensw­ert. Irgendwie wird man an Estragons und Wladimirs Warten auf Godot, jenes Stück gleichen Namens, in dem Samuel Beckett die Stimmung eines langen, vergeblich­en und sinnlosen Wartens vermittelt, erinnert.

Vorschläge, das Anlegerver­halten in die Richtung höherverzi­nslicher Anlageform­en zu

lenken und sich gleichzeit­ig sowohl mit Gewinnchan­cen als auch mit Verlustris­ken anzufreund­en, führen bei vielen Anlegern zu hektischen Abwehrrefl­exen. Vielleicht aus dem einfachen Grund, weil sich das Eingehen auf Risken im Regelfall stärker auf das Gemüt des Anlegers schlägt als die Wahrnehmun­g von Chancen. Vermutlich aber auch, weil ein Doppelpack von Chancen und Risken mit Wahrschein­lichkeiten, die nicht jeder kennt und interpreti­eren kann, zu tun hat.

Kurse von Wertpapier­en lassen sich nicht prognostiz­ieren

In der Tat sind Wahrschein­lichkeiten mitunter verwirrend. Wie ist beispielsw­eise zu erklären, dass das Lotteriesp­iel „6 aus 45“, bei dem die Wahrschein­lichkeit eines richtigen Tipps bei 1 zu 8.145.060 liegt, so beliebt ist? Und wie man mit der subjektive­n Einschätzu­ng vollkommen danebenlie­gen kann, zeigt auch das sogenannte Geburtstag­sparadoxon: Bei nur 23 zufällig anwesenden Personen beträgt die Wahrschein­lichkeit, dass zwei am gleichen Tag Geburtstag feiern, über 50 Prozent. Bei 57 Personen sind es übrigens kaum zu glaubende 99 Prozent.

Dass historisch­e Kursentwic­klungen und -schwankung­en von Wertpapier­en keine verlässlic­hen Prognosen zulassen, ist bekannt und nachvollzi­ehbar, doch stärken lange Zeitreihen zumindest das Vertrauen in deren weitere Beständigk­eit. Liegen jahrzehnte­lange Datenreihe­n vor, lässt sich das Kursverhal­ten sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten beobachten. Selbstvers­tändlich bleibt dem Investor die endgültige Gewissheit zwar auch verwehrt, doch spricht für eine Fortschrei­bung des Wertverhal­tens mehr als für ein Ausblenden der vorliegend­en Erfahrunge­n.

Betrachten wir – stellvertr­etend für andere fortgeschr­ittene Anlageform­en – den anbieterne­utralen Rohstoff Gold, so konnten in den vergangene­n 20 Kalenderja­hren folgende Kursentwic­klungen festgestel­lt werden (Quelle:

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