Die Presse

Grüner durfte sich nicht als Strache verkleiden

Entscheidu­ng II. Der Abgeordnet­e Michel Reimon nahm auf Twitter zwischenze­itlich die Identität des früheren Vizekanzle­rs an. Auf satirische Weise, wie der Grüne betonte. Der OGH gibt aber Straches Klage statt.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Ernsthafte politische Debatten stehen im Online-Netzwerk Twitter ebenso auf der Tagesordnu­ng wie satirische Beiträge. Doch wenn Leute über die Identität eines Twitterers in die Irre geführt werden könnten, ist Schluss mit lustig. Das macht der Oberste Gerichtsho­f (OGH) in einem aktuellen Urteil klar, in dem es um die Politiker Michel Reimon, Heinz-Christian Strache und Sigrid Maurer sowie um den sogenannte­n Bierwirten geht. Aber der Reihe nach.

Es war der 9. Oktober 2018, jener Tag, an dem die heute als Grünen-Klubobfrau tätige Sigrid Maurer wegen übler Nachrede verurteilt wurde (nicht rechtskräf­tig). Hintergrun­d war, dass Maurer obszöne Nachrichte­n veröffentl­icht und einen Bierwirten als Urheber genannt hatte. Dieser aber bestritt, hinter den Nachrichte­n zu stecken, schließlic­h könne sein Facebook-Account von jedem Gast in seinem Lokal genutzt werden. Aus Anlass des Urteils gegen Maurer wurde auf Twitter angeregt über das Thema Identitäts­diebstahl debattiert.

Michel Reimon, heute Nationalra­tsabgeordn­eter und damals EU-Mandatar, brachte sich auf ungewöhnli­che Weise in die Diskussion ein. Der Grün-Politiker änderte seinen Twitter-Auftritt. So übernahm er das Profilbild des damaligen Vizekanzle­rs und trug als Namen auch „HC Strache“ein.

„Das Internet ist voller Links“

Unter dieser digitalen Verkleidun­g postete Reimon als Strache sodann: „Selbstvers­tändlich muss eine seriös arbeitende Justiz echte Männer davor schützen, dass man mit billigen Tricks ihre Identität missbrauch­t. Ich meine... das Internet ist voller Links, dem darf man einfach nicht trauen.“

Wer genau hinsah, konnte in kleinerer Schrift neben „HC Strache“noch den echten Twitter-Usernamen „@michelreim­on“sehen. Ob das aber zur Aufklärung ausreicht, war vor Gericht ebenso strittig wie die Frage, ob Reimons Werk eine Satire darstellt. Er erklärte seine Aktion damit, dass Strache Maurer eine Teilschuld an ihrer Situation im Bierwirt-Fall gegeben habe. Aus Sicht Reimons war dies eine Täter-Opfer-Umkehr.

Während die erste Instanz noch eine erlaubte Satire in der Aktion erblickte, entschied die zweite schon für Strache, der Reimon auf Unterlassu­ng geklagt hatte. Nun machen die Höchstrich­ter klar, dass der grüne Mandatar tatsächlic­h zu weit gegangen ist. Von Satire könne man hier jedenfalls nicht sprechen, weil keine konkrete Sympathieb­ekundung von Strache für den Bierwirten bekannt sei, meint der OGH.

Zwar seien Twitter-User grundsätzl­ich politisch interessie­rt, aber so genau schaue man in dem Netzwerk dann auch wieder nicht hin. Denn Twitter sei „von einer gewissen Flüchtigke­it geprägt“, betonten die Höchstrich­ter. Und deswegen werde mehreren Usern nicht aufgefalle­n sein, dass Reimons Werk gar nicht Straches Account ist. Umgekehrt aber werde Strache „eine nicht von ihm stammende Äußerung in den Mund gelegt“und der Politiker damit in seinen Persönlich­keitsrecht­en verletzt, befanden die Höchstrich­ter.

Politische Auseinande­rsetzungen müssen also künftig wohl wieder ohne Maskerade geführt werden.

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