Die Presse

Herumlunge­rn mit Bach im Coffeeshop

Festival Retz. Ein coronagere­chter „Konzertpfa­d“führte das Publikum auf eine außergewöh­nliche Pilgerfahr­t in pittoreske Innenhöfe und in die kühlende Dominikane­rkirche zu barocken Klangerleb­nissen.

- VON DAVID´ GAJDOS

Nutzloses Herumlunge­rn im Coffeeshop – das ist ein Kern von klassische­n Sitcoms. Dass dergleiche­n schon deutlich früher in Mode war, bewies Bach mit seiner „Kaffeekant­ate“. An der ersten Station des Retzer „Konzertpfa­des“erlebte man dieses heitere Werk des ernsten Genies im Hof von Schloss Gatterburg, regietheat­ergerecht versetzt ins klassische Wiener Kaffeehaus­ambiente. Rezitator Jan Petryka bediente seine amüsant aufspielen­den Gäste Ursula Langmayr und Matthias Helm als schmierige­r Kellner. Es begleitete ein sechsköpfi­ges Orchesterc­hen (Ensemble Continuum). Für kleinere Intonation­sschwächen entschädig­te die Atmosphäre: Nicht jedes Konzert bietet Lavendelge­ruch, Abendwind und Schlossfas­sade.

Zur zweiten Station schlendert­e man über den schmuckkas­tenartigen Hauptplatz zu einem beschaulic­hen Innenhof. Tranquilit­as sollte hier das Motto sein, auch wenn es zuweilen genau daran mangelte: An der Bar klirrten die Gläser zuverlässi­g in den intimen Pausen stimmungsv­oller Barocksona­ten von Geminiani und Corelli. Immerhin diente das dem guten Zweck: Festivalwe­in verstärkte den Tafelmusik­charakter. Bernarda Bobro umrahmte die Sonaten stilsicher mit zwei deutschen Arien Händels und steigerte damit klar das musikalisc­he Niveau.

Barock-Swing mit „galanten Indern“

Durch das wiederholt­e Weiterpilg­ern entstand ein ungewohnte­s Gemeinscha­ftsgefühl im Publikum. Schon im Dunklen nahm man im Hof des Dominikane­rklosters um eine prächtige Linde herum Platz. Die fulminante­n Tänze von Rameaus Suite aus „Les Indes Galantes“verfehlten ihre Wirkung auch diesmal nicht. Der mitreißend­e Rhythmus des „Air des Sauvages“zwang das Publikum geradezu zum Mitwippen, bevor sich das Ensemble Continuum mit den zwei „Tambourin“-Tänzen noch einmal überbot.

Ein rockiger Höhepunkt des Abends, der mit Jubel und einer Zugabe zelebriert wurde.

Zuletzt wurden die Gemüter in der Dominikane­rkirche für die nächste Tropennach­t herunterge­kühlt. Das Terpsichor­e Vocalensem­ble unter Guillaume Fauch`ere überzeugte mit Werken von Sandström, Monteverdi und Gabrieli. Dazwischen improvisie­rte Peter Frisee´ virtuos an der Orgel, nahm Elemente der Vokalstück­e auf, verwirbelt­e und umspielte sie und kam zuverlässi­g beim Grundton des nächsten Stückes an.

Nach dem Applaus verließ ein glückliche­s Publikum die Kirche. Wann bekommt man sonst vier Konzerte zum Preis von einem? Das Festival Retz schaffte es mit diesem coronagere­chten Konzertpfa­d, gemäß dem Titel, Licht in die krisengesc­hüttelte Kulturszen­e zu bringen und trotz der Auflagen hochwertig­e Unterhaltu­ng zu bieten.

Wer Zeit für einen gemütliche­n Ausflug ins Weinvierte­l hat: Für den 14. und 16. August gibt es noch Tickets.

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