Herumlungern mit Bach im Coffeeshop
Festival Retz. Ein coronagerechter „Konzertpfad“führte das Publikum auf eine außergewöhnliche Pilgerfahrt in pittoreske Innenhöfe und in die kühlende Dominikanerkirche zu barocken Klangerlebnissen.
Nutzloses Herumlungern im Coffeeshop – das ist ein Kern von klassischen Sitcoms. Dass dergleichen schon deutlich früher in Mode war, bewies Bach mit seiner „Kaffeekantate“. An der ersten Station des Retzer „Konzertpfades“erlebte man dieses heitere Werk des ernsten Genies im Hof von Schloss Gatterburg, regietheatergerecht versetzt ins klassische Wiener Kaffeehausambiente. Rezitator Jan Petryka bediente seine amüsant aufspielenden Gäste Ursula Langmayr und Matthias Helm als schmieriger Kellner. Es begleitete ein sechsköpfiges Orchesterchen (Ensemble Continuum). Für kleinere Intonationsschwächen entschädigte die Atmosphäre: Nicht jedes Konzert bietet Lavendelgeruch, Abendwind und Schlossfassade.
Zur zweiten Station schlenderte man über den schmuckkastenartigen Hauptplatz zu einem beschaulichen Innenhof. Tranquilitas sollte hier das Motto sein, auch wenn es zuweilen genau daran mangelte: An der Bar klirrten die Gläser zuverlässig in den intimen Pausen stimmungsvoller Barocksonaten von Geminiani und Corelli. Immerhin diente das dem guten Zweck: Festivalwein verstärkte den Tafelmusikcharakter. Bernarda Bobro umrahmte die Sonaten stilsicher mit zwei deutschen Arien Händels und steigerte damit klar das musikalische Niveau.
Barock-Swing mit „galanten Indern“
Durch das wiederholte Weiterpilgern entstand ein ungewohntes Gemeinschaftsgefühl im Publikum. Schon im Dunklen nahm man im Hof des Dominikanerklosters um eine prächtige Linde herum Platz. Die fulminanten Tänze von Rameaus Suite aus „Les Indes Galantes“verfehlten ihre Wirkung auch diesmal nicht. Der mitreißende Rhythmus des „Air des Sauvages“zwang das Publikum geradezu zum Mitwippen, bevor sich das Ensemble Continuum mit den zwei „Tambourin“-Tänzen noch einmal überbot.
Ein rockiger Höhepunkt des Abends, der mit Jubel und einer Zugabe zelebriert wurde.
Zuletzt wurden die Gemüter in der Dominikanerkirche für die nächste Tropennacht heruntergekühlt. Das Terpsichore Vocalensemble unter Guillaume Fauch`ere überzeugte mit Werken von Sandström, Monteverdi und Gabrieli. Dazwischen improvisierte Peter Frisee´ virtuos an der Orgel, nahm Elemente der Vokalstücke auf, verwirbelte und umspielte sie und kam zuverlässig beim Grundton des nächsten Stückes an.
Nach dem Applaus verließ ein glückliches Publikum die Kirche. Wann bekommt man sonst vier Konzerte zum Preis von einem? Das Festival Retz schaffte es mit diesem coronagerechten Konzertpfad, gemäß dem Titel, Licht in die krisengeschüttelte Kulturszene zu bringen und trotz der Auflagen hochwertige Unterhaltung zu bieten.
Wer Zeit für einen gemütlichen Ausflug ins Weinviertel hat: Für den 14. und 16. August gibt es noch Tickets.