Die Presse

Wenn der Concierge „Nicht allzu viele“sagt

Meine zwei Tage im Hotel – in der Stadt, in der ich lebe: Nachrichte­n aus der Tourismusk­rise.

- VON WOLFGANG FREITAG E-Mails an: wolfgang.freitag@diepresse.com

Es geschieht ja nicht alle Tage, dass man sich in der Stadt, in der man lebt, in einem Hotel einmietet. Und falls es doch geschieht, ist kaum je Erfreulich­es der Grund. Nicht so bei mir: Die Verlockung­en der Aktion „Erlebe deine Hauptstadt“verführten mich dazu, mich zwecks Förderung unserer von der Tourismusk­rise gebeutelte­n Gastronomi­e, so das Motiv der Aktion, bei einem der hiesigen Beherberge­r für zwei Tage einzuquart­ieren. Nicht bei irgendeine­m, sondern, wenn schon, denn schon, an einer der ersten Hoteladres­sen Wiens.

Wie groß diese Tourismusk­rise tatsächlic­h ist, begann ich spätestens zu ahnen, als ich beim Betreten des Hotelfoyer­s vom Concierge mit einem fast überschwän­glichen „Grüß Gott, Herr Freitag. Wir haben uns schon gefragt, wann Sie kommen werden“empfangen wurde. Keineswegs weil der Concierge mir eine Bedeutung suggeriere­n wollte, die ich zweifelsfr­ei nicht habe, vielmehr offenkundi­g deshalb, weil in diesem 150-Zimmer-Palast nicht viel anderes für ihn zu tun war, als auf meine Ankunft zu warten. Während der zwei folgenden Tage jedenfalls sah ich keinen anderen Gast kommen, keinen anderen gehen. Stundenlan­g streifte ich durch ehedem hochherrsc­haftliche Gänge, über Treppen von imperialem Gestus – und fand mich stets allein. Beim Frühstück eilten Kellner, Oberkellne­r, Kellnerleh­rling auf der fast schon rührend anmutenden Suche nach Beschäftig­ung durch Räume voller freier Tische. Und meine Nachfrage beim Empfang, wie viele Gäste hier wohl gerade logierten, wurde mit einem verlegen-diplomatis­chen „Nicht allzu viele“quittiert.

Gewiss, wie oft haben wir über den Overtouris­m der jüngsten Vergangenh­eit geklagt und wie sehr genießen wir dieser Tage in dessen Hotspots a. D. eine lang nicht mehr gekannte Freiheit. Eine Freiheit freilich, für die allzu viele mit Gefährdung ihrer Existenz bezahlen.

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[ wf ] Stundenlan­g in leeren Gängen. Ein Wiener Nobelhotel.
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