Die Presse

Drei Verletzte nach Schüssen auf Boot

Streit im Mittelmeer. Griechenla­nd pocht auf „Souveränit­ät“und beruft Dringlichk­eitssitzun­g der EU-Außenminis­ter ein.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTIAN GONSA

Griechenla­nd. Vor der griechisch­en Insel Rhodos ist laut Informatio­nen der türkischen Küstenwach­e ein Privatboot beschossen worden. Die Insassen, zwei Türken sowie ein Syrer, seien verletzt worden, einer von ihnen schwer. Die türkische Küstenwach­e habe den Hinweis erhalten, griechisch­e Einsatzkrä­fte hätten die Schüsse abgefeuert. Als türkische Boote den Ort erreichten, seien jedoch keine griechisch­en Einsatzkrä­fte zu sehen gewesen.

Athen. Im östlichen Mittelmeer liegen die Nerven blank. Die griechisch­e Regierung hat am Dienstag eine deutliche Botschaft an die Türkei gerichtet: „Griechenla­nd wird seine Souveränit­ät und seine Rechte verteidige­n“, sagte der griechisch­e Außenminis­ter Nikos Dendias. „Wir fordern die Türkei auf, sofort den griechisch­en Festlandso­ckel zu verlassen.“

Die Lage hat sich erneut zugespitzt, nachdem die Türkei ihr Forschungs­schiff Oruc¸ Reis auf die weite offene See zwischen Kreta und Zypern geschickt hat, um seismische Untersuchu­ngen durchzufüh­ren. Das Schiff wird von türkischen Kriegsschi­ffen begleitet. Sofort nachdem die türkische Seite ihr Vorhaben bekannt gegeben hatte, liefen auch griechisch­e Marineschi­ffe aus. Seither liegen die Schiffe einander gegenüber. Und niemand kann ausschließ­en, dass irgendwann ein „Unfall“passiert auf See, oder im Luftraum darüber, wo die beiden Nato-Partner einander ebenfalls belauern.

Griechenla­nd hat am Dienstag eine Dringlichk­eitssitzun­g der EUAußenmin­ister gefordert. In Regierungs­kreisen hieß es, Athen wolle sich dabei Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags berufen, der einen Beistand unter den EU-Mitglieder­n bei einem bewaffnete­n Angriff vorsieht. Zudem will Griechenla­nd den Fall innerhalb der Nato, der auch die Türkei angehört, zur Sprache bringen. Von türkischer Seite wurde zunächst am Dienstag aber angekündig­t, dass die Forschungs­mission die nächsten Wochen fortgesetz­t werde.

Konflikt um Festlandso­ckel

Die Türkei verletzt nach Auffassung Athens griechisch­e Hoheitsrec­hte. Es geht dabei um den Festlandso­ckel, der über die Grenzen hinausreic­ht, und nach internatio­nalem Seerecht vom jeweiligen Staat wirtschaft­lich genutzt werden darf, beispielsw­eise zur Ausbeutung von Erdöl- und Erdgasvork­ommen.

Der Haken dabei: Anrainerst­aaten werden, ebenfalls per internatio­nalem Seerecht, dazu aufgeforde­rt, ihre jeweiligen Festlandso­ckel in Verhandlun­gen abzustecke­n. Das haben Athen und Ankara bisher nicht getan. Die Türken stört vor allem, dass auch die vielen griechisch­en Inseln und Inselchen, die bis an die türkische Küste reichen, über einen Festlandso­ckel verfügen und damit das Meer für Ankara „sperren“. Deshalb will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ im Grunde nicht nur die Festlandso­ckel, sondern über die Grenzen in der Ägäis insgesamt reden. Davon will Griechenla­nd aber nichts wissen.

Schon Ende Juli waren die Flotten aufmarschi­ert. Damals sollte die Oruc¸ Reis ebenfalls auslaufen, auf beiden Seiten fuhren Kriegsschi­ffe auf. Die EU und die USA vermittelt­en, Erdogan˘ ließ das Forschungs­schiff im Hafen und kündigte Bereitscha­ft zu Sondierung­sgespräche­n mit Athen an.

Doch vergangene Woche haben sich die Voraussetz­ungen geändert: Überrasche­nd verständig­ten sich Griechenla­nd und Ägypten nach jahrelange­n Verhandlun­gen auf die teilweise Abgrenzung der Ausschließ­lichen Wirtschaft­szonen (AWZ), der sogenannte­n 200-Meilen-Zone, zwischen den beiden Ländern. Auch dabei handelt es sich um Gewässer, in denen ein Staat über seine Staatsgren­zen hinaus Hoheitsrec­hte ausüben kann. Erdogan˘ betrachtet­e das Abkommen als Wortbruch der griechisch­en Seite und ließ seine Schiffe wieder auffahren.

Neue gefährlich­e Fronten

Die Griechen beschleuni­gten ihre Verhandlun­gen mit Ägypten erst, als die Türkei Ende 2019 mit der internatio­nal anerkannte­n libyschen Regierung unter Fayez alSarraj ihre Meereswirt­schaftszon­en abgrenzte, was Griechenla­nd zur Weißglut brachte – denn Inseln wie Kreta, Karpathos und Kasteloriz­o wurden bei der Grenzziehu­ng einfach ignoriert. Es ist also kein Wunder, dass das griechisch-ägyptische das türkisch-libysche Abkommen ignoriert. Zugleich aber haben sich durch diese neuen Bündnisse gefährlich­e Fronten im Mittelmeer aufgebaut.

Es sind die Erdgasfund­e und Planungen für eine gigantisch­e Erdgasleit­ung, der EastMed, die zu den Aktionen der Türkei geführt haben. Ankara demonstrie­rt in griechisch­en und zypriotisc­hen Gewässern, dass es sich nicht kampflos von den Erdgasvork­ommen ausschließ­en lassen wird.

 ?? [ Getty Images ] ?? Das türkische Schiff Oruc¸ Reis führt Untersuchu­ngen zwischen Kreta und Zypern durch. Das verärgert Athen.
[ Getty Images ] Das türkische Schiff Oruc¸ Reis führt Untersuchu­ngen zwischen Kreta und Zypern durch. Das verärgert Athen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria