Drei Verletzte nach Schüssen auf Boot
Streit im Mittelmeer. Griechenland pocht auf „Souveränität“und beruft Dringlichkeitssitzung der EU-Außenminister ein.
Griechenland. Vor der griechischen Insel Rhodos ist laut Informationen der türkischen Küstenwache ein Privatboot beschossen worden. Die Insassen, zwei Türken sowie ein Syrer, seien verletzt worden, einer von ihnen schwer. Die türkische Küstenwache habe den Hinweis erhalten, griechische Einsatzkräfte hätten die Schüsse abgefeuert. Als türkische Boote den Ort erreichten, seien jedoch keine griechischen Einsatzkräfte zu sehen gewesen.
Athen. Im östlichen Mittelmeer liegen die Nerven blank. Die griechische Regierung hat am Dienstag eine deutliche Botschaft an die Türkei gerichtet: „Griechenland wird seine Souveränität und seine Rechte verteidigen“, sagte der griechische Außenminister Nikos Dendias. „Wir fordern die Türkei auf, sofort den griechischen Festlandsockel zu verlassen.“
Die Lage hat sich erneut zugespitzt, nachdem die Türkei ihr Forschungsschiff Oruc¸ Reis auf die weite offene See zwischen Kreta und Zypern geschickt hat, um seismische Untersuchungen durchzuführen. Das Schiff wird von türkischen Kriegsschiffen begleitet. Sofort nachdem die türkische Seite ihr Vorhaben bekannt gegeben hatte, liefen auch griechische Marineschiffe aus. Seither liegen die Schiffe einander gegenüber. Und niemand kann ausschließen, dass irgendwann ein „Unfall“passiert auf See, oder im Luftraum darüber, wo die beiden Nato-Partner einander ebenfalls belauern.
Griechenland hat am Dienstag eine Dringlichkeitssitzung der EUAußenminister gefordert. In Regierungskreisen hieß es, Athen wolle sich dabei Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags berufen, der einen Beistand unter den EU-Mitgliedern bei einem bewaffneten Angriff vorsieht. Zudem will Griechenland den Fall innerhalb der Nato, der auch die Türkei angehört, zur Sprache bringen. Von türkischer Seite wurde zunächst am Dienstag aber angekündigt, dass die Forschungsmission die nächsten Wochen fortgesetzt werde.
Konflikt um Festlandsockel
Die Türkei verletzt nach Auffassung Athens griechische Hoheitsrechte. Es geht dabei um den Festlandsockel, der über die Grenzen hinausreicht, und nach internationalem Seerecht vom jeweiligen Staat wirtschaftlich genutzt werden darf, beispielsweise zur Ausbeutung von Erdöl- und Erdgasvorkommen.
Der Haken dabei: Anrainerstaaten werden, ebenfalls per internationalem Seerecht, dazu aufgefordert, ihre jeweiligen Festlandsockel in Verhandlungen abzustecken. Das haben Athen und Ankara bisher nicht getan. Die Türken stört vor allem, dass auch die vielen griechischen Inseln und Inselchen, die bis an die türkische Küste reichen, über einen Festlandsockel verfügen und damit das Meer für Ankara „sperren“. Deshalb will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ im Grunde nicht nur die Festlandsockel, sondern über die Grenzen in der Ägäis insgesamt reden. Davon will Griechenland aber nichts wissen.
Schon Ende Juli waren die Flotten aufmarschiert. Damals sollte die Oruc¸ Reis ebenfalls auslaufen, auf beiden Seiten fuhren Kriegsschiffe auf. Die EU und die USA vermittelten, Erdogan˘ ließ das Forschungsschiff im Hafen und kündigte Bereitschaft zu Sondierungsgesprächen mit Athen an.
Doch vergangene Woche haben sich die Voraussetzungen geändert: Überraschend verständigten sich Griechenland und Ägypten nach jahrelangen Verhandlungen auf die teilweise Abgrenzung der Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ), der sogenannten 200-Meilen-Zone, zwischen den beiden Ländern. Auch dabei handelt es sich um Gewässer, in denen ein Staat über seine Staatsgrenzen hinaus Hoheitsrechte ausüben kann. Erdogan˘ betrachtete das Abkommen als Wortbruch der griechischen Seite und ließ seine Schiffe wieder auffahren.
Neue gefährliche Fronten
Die Griechen beschleunigten ihre Verhandlungen mit Ägypten erst, als die Türkei Ende 2019 mit der international anerkannten libyschen Regierung unter Fayez alSarraj ihre Meereswirtschaftszonen abgrenzte, was Griechenland zur Weißglut brachte – denn Inseln wie Kreta, Karpathos und Kastelorizo wurden bei der Grenzziehung einfach ignoriert. Es ist also kein Wunder, dass das griechisch-ägyptische das türkisch-libysche Abkommen ignoriert. Zugleich aber haben sich durch diese neuen Bündnisse gefährliche Fronten im Mittelmeer aufgebaut.
Es sind die Erdgasfunde und Planungen für eine gigantische Erdgasleitung, der EastMed, die zu den Aktionen der Türkei geführt haben. Ankara demonstriert in griechischen und zypriotischen Gewässern, dass es sich nicht kampflos von den Erdgasvorkommen ausschließen lassen wird.