Die Presse

„Viele haben Angst zu tanzen“

ImPuls. Voguing ist inspiriert von Modelposen und Kampfkunst. Workshop-Leiterin Karin Cheng über Ausgrenzun­g, Gratiskurs­e für Flüchtling­e und ihre Inspiratio­nsquelle Tai Chi.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Tänzerin und Choreograf­in Karin Cheng über Ausgrenzun­g, Gratiskurs­e für Flüchtling­e und Tai-Chi.

Karin Cheng kommt mit dem Tretroller zum Interview. Man könnte sie glatt für einen Teenager halten, so jung sieht sie aus. Das mag an ihren asiatische­n Wurzeln liegen. Und an ihrer Berufung, die sie trotz abgeschlos­senem Architektu­rstudium nicht an den Zeichentis­ch, sondern ins Tanzstudio zog. „Ich bin schon ziemlich früh zum Tanzen gekommen, weil ich mich sehr für Musik interessie­rt habe“, erzählt Cheng.

Mit einem Hiphop-Kurs in ihrer Heimatstad­t Salzburg fing es an. Als Au Pair lernte sie Waacking kennen – einen in der LGBTSzene der 1970er-Jahre entstanden­en Tanzstil. In Wien belegte sie Kurse bei Romy Kolb (die ImPulsTanz-Workshops für House und Hiphop leitet) – bis einmal Katrin Blantar supplierte. Die steckte Cheng mit dem Voguing-Fieber an und richtet nun drei Workshops mit ihr gemeinsam aus (18., 26. und 30. 8.). Getanzt wird zu House-Musik, „denn das gehört zum Voguing dazu“. Kommen kann jeder. Der sich traut. „Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen Angst haben zu tanzen. Sie denken, Tanz sei etwas Schwierige­s, Intimes. Man will sich nicht blamieren. Das ist schade.“

Cheng hingegen tanzt ausgiebig und gern. „Ich bin generell fasziniert von vielen Tanzstilen, vor allem aus der afroamerik­anischen Kultur“, sagt sie. In New York vertiefte sie ihre Kenntnis und ihre Liebe zum Voguing, dessen Wurzeln bis ins Harlem des 19. Jahrhunder­ts reichen. 1869 fand dort der erste Drag-Ball statt – eine Szene-Party, bei der sich Homosexuel­le gefahrlos treffen konnten. Erst später standen die Events unter Beobachtun­g: Die Sittenwäch­ter des Committee of Fourteen (die auch gegen Alkoholkon­sum vorgingen) veröffentl­ichten ab 1916 nicht weniger als 130 Berichte. Unter anderem ist darin von „männlichen Perverslin­gen“in „teuren Kitteln und Perücken“die Rede, die „aussehen wie Frauen“. Der Mainstream war dagegen.

„Wenn man queer, black oder trans ist“

Doch die Drag-Balls hielten sich, wurden größer und boten den Humus, auf dem sich die neue Tanzform entwickeln konnte. „Die Essenz des Voguing sind Menschen, die von der Gesellscha­ft unterdrück­t wurden, die nie Platz hatten, sich auszudrück­en und deren Leben bedroht war“, sagt Cheng. „Voguing ist aus dem Erfahrungs­system entstanden, dass man, wenn man queer oder black oder trans ist, nicht zum Mainstream gehört, dass man immer ausgeschlo­ssen und diskrimini­ert wird.“Dass just die weiße Pop-Diva Madonna den zu Beginn der 1980er-Jahre in der Ballroom-Szene von Harlem geprägten Begriff mit ihrem Song „Vogue“(1990) bekannt machte und kommerzial­isierte, ist daher bis heute ein sensibles Thema.

Voguing ist von der „Vogue“inspiriert, von Modelposen, Catwalks, Haute Couture, aber auch von Kung-Fu-Filmen, Martial Arts und der eleganten chinesisch­en Kampfkunst Wushu. Cheng verknüpft damit Kindheitse­rinnerunge­n: „Ich bin sehr traditione­ll chinesisch aufgewachs­en.“Die Sommerferi­en verbrachte sie in China. „Dort waren Wushu und Tai Chi etwas ganz Natürliche­s, weil es die Leute in der Früh gemeinsam im Park praktizier­en. Ich habe auch Tai Chi gelernt – das beeinfluss­t und inspiriert mich bis heute.“Deshalb fühle sie sich auch zu Voguing hingezogen. Und weil sie das Gefühl kennt, anders zu sein. Im traditione­llen Salzburg bekam sie es als Kind zu spüren. „Ich fühlte mich ausgeschlo­ssen.“Niemand habe ihr gesagt, dass es okay ist, wenn man mit Stäbchen isst. „Für mich war das natürlich, für die anderen komisch“, sagt sie.

Im Voguing hingegen wird die Vielfalt gefeiert. Hier darf jeder in unterschie­dliche Rollen schlüpfen – auch in solche, die einem im wirklichen Leben verwehrt bleiben. „Voguing ist sehr expressiv und oft spielt man auch mit verschiede­nen sexuellen Identitäte­n, weil man sie sonst nicht ausleben kann“, sagt Cheng.

Zusammenha­lt wie in einer Familie

1970 wurde in den USA das erste „House“gegründet – ein Ort, wo Mitglieder der Community wie eine Familie zusammenwo­hnen, weil sie sonst (oft auch in der eigenen Familie) nicht geduldet werden. Cheng hat in Wien etwas Ähnliches gegründet, allerdings leben die Mitglieder für sich. Man trainiert gemeinsam, geht auf Demos oder grillen und ist füreinande­r da. Das reicht vom Umhören nach einem Job bis zum gratis Tanzkurs für Flüchtling­e aus der LGBTQ-Blase. „Denn für solche Menschen gibt’s Voguing“.

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[ ImPulsTanz/TimCavadin­i ] Karin Cheng fühlte sich als Kind in Salzburg ausgeschlo­ssen: „Niemand hat mir gesagt, dass es okay ist, wenn man mit Stäbchen isst.“

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