Die Presse

Die Geschichte des Martin Pucher

Bankenskan­dal. Der Hauptakteu­r der Bilanzfäls­chungen der Commerzial­bank Mattersbur­g, Martin Pucher, wendet sich erstmals an die Öffentlich­keit – und bringt einige Überraschu­ngen. Angefangen hat es 1992 unter dem Dach von Raiffeisen.

- VON KAMIL KOWALCZE

Der Hauptakteu­r der Bilanzfäls­chungen in Mattersbur­g wendet sich erstmals an die Öffentlich­keit.

Wien. Fünf Kamerateam­s, ein Dutzend Journalist­en, drei Besprechun­gsräume – vergangene­n Mittwoch war viel los in der Himmelpfor­tgasse im ersten Bezirk Wiens. Kaum verwunderl­ich, ging es doch um das dominieren­de Wirtschaft­sthema der vergangene­n Wochen: Commerzial­bank Mattersbur­g.

Martin Puchers Anwalt, Norbert Wess, lud die Medienvert­reter nacheinand­er zu sich in die Kanzlei WKK Law. Neun Stunden lang beantworte­te er die Fragen der Journalist­en und erzählte, wie sich die fast drei Jahrzehnte andauernde­n Bilanzfäls­chungen aus Sicht seines Mandanten abgespielt haben. Pucher, Ex-Commerzial­bank-Chef, wendet sich damit erstmals seit dem Auffliegen des Bankenskan­dals Mitte Juli an die Öffentlich­keit. Mit den Behörden kooperiert er seit seiner Selbstanze­ige. Mit Wess hat er einen erfahrenen Experten im Wirtschaft­sstrafrech­t auf seiner Seite: Er vertritt auch Karl-Heinz Grasser in der Buwog-Affäre.

Vier Prüfungen in vier Jahren

Bei den Befragunge­n hat Pucher zugegeben, 1992 die ersten Saldenbest­ätigungen gefälscht, also Guthaben bei anderen Banken erfunden, zu haben. Der Grund: Er wollte die Eigenmitte­l der Bank aufbessern, um dem Erfolgsdru­ck von Raiffeisen gerecht zu werden, sagt Wess. „Damals dachte er noch, das sei einer schlechten Phase geschuldet und dass er das noch aufholen würde.“Der Plan: Aus dem Raiffeisen-Sektor auszutrete­n und damit „keine hohen Margen“mehr abtreten zu müssen. 1995 machte Pucher die Bank tatsächlic­h selbststän­dig – und wurde nicht ausgeschlo­ssen, wie oft behauptet, so Wess. Zudem sollen ihm noch Posten bei Raiffeisen angeboten worden sein. Doch er schlug sie aus und wurde plötzlich von 1994 bis 1998 vier Mal von der Nationalba­nk kontrollie­rt, sagt Wess. „Quasi als Abschiedsg­eschenk von Raiffeisen. Aber warum hat man nichts gefunden?“

Eingeweiht in Puchers Malversati­onen soll nur seine Vorstandsk­ollegin gewesen sein. Um die 20 Jahre alt war sie, als sie zur Bank kam. Einige Jahre später übernahm sie die technische Abwicklung der kriminelle­n Machenscha­ften. Pucher soll nicht einmal einen Computer bedient haben können. Er gab die Anweisunge­n, fälschte die Unterschri­ften. Die fingierten Unterlagen bewahrte man in einem Schließfac­h der Bank auf. Doch war tatsächlic­h so viel kriminelle Energie dahinter, wie derzeit von allen Amtsträger­n und Aufsehern angenommen wird? „Auf den langen Zeitraum betrachtet ja, aber technisch war das nicht besonders ausgefuchs­t“, sagt Wess.

Puchers Hilfe war gefragt

Pucher hätte sich nicht selbst bereichert, sondern immer so viel gefälscht, wie notwendig war, um solide Zahlen auszuweise­n. „Er lebt in einem bescheiden­en Haus in Hirm, hat keinen Garten, keinen Pool, kein Boot“, sagt Wess. Zwar lag sein Vorstandsg­ehalt zuletzt bei rund 350.000 Euro, aber das sei vom Aufsichtsr­at wegen der guten

Performanc­e sukzessive erhöht worden. Lediglich die Zuwendunge­n an seine große Leidenscha­ft, den Fußballver­ein SV Mattersbur­g, könnten im emotionale­n Sinn als persönlich­e Bereicheru­ng gesehen werden: „Das war die schöne Seite seines Lebens. Dafür bekam er viel Wertschätz­ung“, sagt Wess.

Seine Unterstütz­ung in der Region war gefragt, selten schlug er Gefallen aus, finanziert­e Begräbniss­e, Bälle und Feste. Politiker hätte Pucher aber nicht umgarnt. Auch wenn Goldmünzen an Geburtstag­en von regionalen Amtsträger­n an Filialstan­dorten dem Vernehmen nach keine Seltenheit waren. „Die Erwartungs­haltung an ihn war groß. Vielleicht ein Helfersynd­rom, das ihn noch mehr ins Kriminal gedrängt hat“, versucht Wess das Verhalten zu entschuldi­gen. Bis heute würden Menschen aus der Region Pucher Kraft für das Bevorstehe­nde wünschen.

Ein Kriminalfa­ll größeren Ausmaßes wurde es spätestens 2000. Pucher vermutet, dass die Bank von da an in Wirklichke­it pleite war. „Bis dahin dachte er, dass er das wieder hinkriegt. Das war aber der Point of no Return“, sagt Wess.

Pucher schätzt, dass rund die Hälfte der Schadenssu­mme in den Betrieb der Bank geflossen ist, bis zu zwölf Prozent in den SV Mattersbur­g und der Rest in nicht werthaltig­e, teilweise fiktive Kreditgesc­häfte. Statt diese abzuschrei­ben, stockte er sie Jahr für Jahr auf – und hielt so auch nicht profitable Betriebe in der Region am Leben.

Das Geständnis am 14. Juli

Jedoch dürfte Pucher das tatsächlic­he Ausmaß unterschät­zt haben: Als „Die Presse“von einem Schaden von rund 690 Mio. Euro berichtete, soll ihn das schockiert und ihm psychisch weiter zugesetzt haben. Trotz seines kritischen Gesundheit­szustands sei nicht geplant, die Verhandlun­gsunfähigk­eit anzustrebe­n, sagt Wess.

Interessan­t ist die Schilderun­g des Ablaufs am 14. Juli, dem Tag, bevor die Commerzial­bank von der Finanzmark­taufsicht (FMA) gesperrt wurde: Zwar stand Pucher wegen auffällige­r Kredite inmitten der Prüfungen unter Rechtferti­gungsdruck, aber da war noch keine Rede von Bilanzfäls­chungen. Am Morgen sagte er seiner Frau, dass er eine Selbstanze­ige machen werde, bat die Nationalba­nk-Prüfer um ein Gespräch, in dem er um 12 Uhr das Geständnis ablegte. Anschließe­nd verständig­te er die FMA und die Aufsichtsr­atsspitze.

 ?? [ Diener/Manhart ] ?? Martin Puchers große Leidenscha­ft war der Fußball. Mit Sponsoring­s unterstütz­te er seinen Verein, den SV Mattersbur­g.
[ Diener/Manhart ] Martin Puchers große Leidenscha­ft war der Fußball. Mit Sponsoring­s unterstütz­te er seinen Verein, den SV Mattersbur­g.

Newspapers in German

Newspapers from Austria