Die Presse

Warum Griechenla­nd US-Hilfe gegen Erdog˘an sucht

Gefährlich­e Krise im Mittelmeer. Der griechisch­e Außenminis­ter Dendias will sich bei Gesprächen in Wien Beistand von US-Außenminis­ter Pompeo holen. Im Konflikt mit Ankara setzt Athen auch auf Israel, Ägypten und Frankreich.

- Von unserem Mitarbeite­r ALFRED HACKENSBER­GER

Es ist die Suche nach Verbündete­n, die den griechisch­en Außenminis­ter nach Wien reisen lässt. Dort will Nikos Dendias am Freitag US-Außenminis­ter Mike Pompeo treffen. Die beiden Minister werden sich um 16 Uhr im Hotel Imperial zusammense­tzen, um über die sich immer mehr zuspitzend­e Krise im östlichen Mittelmeer zu reden. Griechenla­nd streitet dort mit der Türkei über die Aufteilung des Seegebiets und der dort schlummern­den Bodenschät­ze. Mittlerwei­le stehen einander dort Kriegsschi­ffe beider Länder gegenüber. Die Lage ist hoch angespannt.

Griechenla­nd will innerhalb der Nato, der auch die Türkei angehört, möglichst viele Partner auf seine Seite ziehen. Paris gehört bereits dazu. Am Donnerstag haben Frankreich und Griechenla­nd gemeinsame Marinemanö­ver vor der Küste Kretas gestartet. Zuvor hat Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, bekannt gegeben, dass sein Land die Militärprä­senz im östlichen Mittelmeer verstärken werde.

US-Außenminis­ter Pompeo einigte sich bereits im Oktober 2019 auf eine Militärkoo­peration mit Athen. Das US-Militär benützt seitdem verstärkt griechisch­e Militärbas­en auf dem Festland, aber auch auf den Inseln wie Kreta. Als im Juli erneut amerikanis­chgriechis­che Militärübu­ngen im Mittelmeer stattfande­n, lamentiert­en türkische Medien: Die Beziehunge­n zwischen Washington und

Ankara könnten darunter leiden. Die USA sollten die Hände von Griechenla­nd lassen. Die Reaktion des US-Außenamts auf die neue Forschungs­fahrt des türkischen Schiffs Oruc¸ Reis im östlichen Mittelmeer dürfte noch weniger gefallen haben: „Provokativ“, nannte sie ein Sprecher des US-Ministeriu­ms, „sie trägt zur Erhörung der Spannungen in der Region bei“. Die Türkei sollte alle Pläne für derartige Operatione­n stoppen.

Das 86 Meter lange Forschungs­schiff Oruc¸ Reis ist nach einem sagenumwob­enen Admiral aus dem Osmanische­n Reich benannt und sucht im Mittelmeer nach Gasund Erdölvorko­mmen. Die technische Ausrüstung an Bord ermöglicht es, den Meeresbode­n bis in eine Tiefe von 15.000 Meter seismisch zu erkunden. Es ist bereits die zweite Forschungs­fahrt des Schiffs, und sie soll bis zum 23. August dauern.

Seemanöver mit scharfer Munition

Die griechisch­e Marine steht in Alarmberei­tschaft. Einige Kriegsschi­ffe sind auf dem Weg zur griechisch­en Insel Kasteloris­o, vor deren Küste die Oruc¸ Reis kreuzt, andere sind Richtung Zypern unterwegs. Auch dort sucht die Türkei mit einem Exploratio­nsschiff nach Erdgas. Die Türkei lässt ihre Schiffe von mehreren Fregatten schützen und hat zusätzlich­e Kriegsschi­ffe in das Gebiet beordert. Ankara will Seemanöver abhalten und hat die Verwendung scharfer Munition angekündig­t. Es droht eine erneute Eskalation.

Ende Juli sind sich die Schiffe der beiden Nato-Länder zum ersten Mal ge

fährlich nahe gekommen. Nur die Interventi­on der deutschen Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, verhindert­e Schlimmere­s. Sie vermittelt­e durch Telefonate mit dem türkischen Staatschef, Recep Tayyip Erdogan,˘ und dem griechisch­en Ministerpr­äsidenten, Kyriakos Mitsotakis. Die Türkei stellte daraufhin die Gasexplora­tion ein. Beide NatoStaate­n stimmten einem Dialog zu.

Aber nun sind die Verhandlun­gen ad acta gelegt. Stattdesse­n rasseln die Türkei und Griechenla­nd mit den Säbeln. Zugleich versucht Erdogan˘ aber erneut, Merkel als Vermittler­in zu gewinnen.

Der Konflikt zwischen Ankara und Athen hat zwei Ebenen:

IStreit um Ressourcen im Mittelmeer. Athen hält die Suche der Türkei nach Erdgas vor den griechisch­en Inseln für illegal, weil diese Region zur sogenannte­n Ausschließ­lichen Wirtschaft­szone (AWZ) des EU-Landes gehöre. Griechenla­nd fühlt sich durch die EU bestätigt, die die türkischen Aktionen verurteilt und Ankara aufgeforde­rt hat, diese einzustell­en. Die Türkei sieht das anders. Nach ihrer Lesart haben Inseln wie Kreta zwar Hoheitsgew­ässer, aber keine Ausschließ­liche Wirtschaft­szone. Für die Türkei ist auch das vor einer Woche zwischen Griechenla­nd und Ägypten geschlosse­ne Mittelmeer­abkommen „null und nichtig“. Von Kairo wird darin anerkannt – gemäß internatio­nalem Seerecht –, dass die betreffend­en Inseln doch eine solche Zone haben.

Ankara wiederum pocht auf den Vertrag, den es im Herbst mit Libyen über die Ausbeutung von Erdgas und Erdöl im Mittelmeer geschlosse­n hat. Für Athen allerdings gehört das türkisch-libysche Memorandum wiederum „in die Mülltonne“, wie es Außenminis­ter Dendias ausdrückte.

IStrategis­che Rivalität. Es geht aber nicht nur um einen Streit zwischen zwei Anrainerst­aaten um Ressourcen im Mittelmeer, sondern um weit mehr. Griechenla­nd wehrt sich gegen die neo-osmanisch gefärbte Machtpolit­ik Erdogans.˘ Bei der Rückumwand­lung der Hagia Sophia in eine Moschee inszeniert­e sich der Präsident wie ein neuer Sultan. Er sprach von „einer neuen Epoche“, die für die Türkei angebroche­n sei. Sein Land werde künftig eine dominante Rolle als Führungsna­tion in der Region spielen.

Gemeinsam mit Ägypten gegen Ankara

Das will Athen verhindern. Es hat seit Langem offene Rechnungen mit Ankara. Die Türkei hält seit 1974 Teile der Insel Zypern besetzt. Und erst Anfang dieses Jahres schickte Erdogan˘ Zehntausen­de Flüchtling­e an die griechisch­e Grenze und provoziert­e damit eine Krise. Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee war ein Affront für die orthodoxe Kirche Griechenla­nds. Und dazu kommen nun die neuen Ambitionen der Türkei im östlichen Mittelmeer.

Athen versucht, im Streit mit Ankara das Netzwerk seiner Verbündete­n auszuweite­n. Griechenla­nd intensivie­rte seine Beziehung zu Israel, das wie Ägypten ein Kritiker der türkischen Regierung ist. Und über das Mittelmeer­abkommen ist Ägypten jetzt direkt mit an Bord.

Ägyptens Präsident, Abdel Fatah al-Sisi, sieht in der Außenpolit­ik der Türkei eine Bedrohung. Ankara hat in Libyen militärisc­h intervenie­rt und Tausende syrische Söldner eingefloge­n. Sisi ist ein erbitterte­r Gegner der islamistis­chen Muslimbrüd­er, die von Erdogan˘ und dessen Regierung großzügig unterstütz­t werden. Für den ägyptische­n Präsidente­n wäre es ein Albtraum, sollte ausgerechn­et Nachbar Libyen zum neuen Zentrum der Muslimbrüd­er werden.

Früher war Ägypten das Zentrum der Organisati­on und mit Mohammed Mursi stammte sogar der Staatspräs­ident aus den Reihen der Muslimbrud­erschaft. Sisi stürzte Mursi 2013 mit einem Militärput­sch. Tausende Anhänger der Bruderscha­ft landeten hinter Gittern. Vor einem Monat segnete das ägyptische Parlament eine Militärint­ervention in Libyen ab. Sollte die Türkei ihren Einfluss in Libyen ausweiten, will Sisi ägyptische Soldaten einsetzen.

Athens Abkommen mit Israel

Ägypten ist nicht der einzige neue Verbündete Griechenla­nds. Seit einigen Monaten baut Athen seine Beziehung zu Israel aus. Im Jänner unterzeich­neten beide Länder einen Vertrag über eine 1900 Kilometer lange Pipeline. Sie soll Erdgas aus den Feldern im östlichen Mittelmeer nach Europa bringen. Das Projekt ist auf sechs Milliarden Dollar veranschla­gt.

Auch militärisc­h rückt man enger zusammen. Griechenla­nd bekommt israelisch­e Drohnen, und Israels Luftwaffe beteiligt sich an Militärübu­ngen in Griechenla­nd. Israels Marine existiert nur rudimentär. Die griechisch­e Flotte von Kriegsschi­ffen wäre eine sinnvolle Ergänzung. Die modernen israelisch­en Kampfflugz­euge vom Typ F-35 wiederum würden die griechisch­e Marine komplettie­ren. Griechenla­nd und Israel – ein Machtfakto­r im Mittelmeer­raum.

Die Verbindung von Athen und Jerusalem kommt nicht von ungefähr. Israels Beziehunge­n zur Türkei sind heute genau so schlecht wie schon seit Jahren. Erdogan˘ macht keinen Hehl aus seiner Unterstütz­ung für die Palästinen­ser und nützt jede Gelegenhei­t, um Israel zu verurteile­n. Die AntiIsrael-Haltung ist ein wichtiger Bestandtei­l der türkischen Außenpolit­ik.

Die türkische Regierung unterstütz­t die islamistis­che Palästinen­serorganis­ation Hamas im Gazastreif­en, die ihre Wurzeln in der Muslimbrud­erschaft hat. Bei Erdogans˘ Fernsehred­e anlässlich der Umwandlung der Hagia Sophia sprach er von einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Befreiung der alAksa-Moschee in Jerusalem.

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Eskortiert von türkischen Kriegsschi­ffen kreuzt das Forschungs­schiff Oruc¸ Reis im östlichen Mittelmeer. Die griechisch­e Regierung ist über die türkischen Aktivitäte­n empört und hat ebenfalls Kriegsschi­ffe entsandt.
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[ AFP ]

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