Die Presse

50 Tage Regen in Korea: Auf die Sintflut soll die Hitze folgen

Überflutun­gen. Süd- und Nordkorea sind von den schlimmste­n Niederschl­ägen seit Menschenge­denken betroffen. Die Schäden sind enorm.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Seoul/Peking. Das Ausmaß der diesjährig­en Regenzeit in Südkorea stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten: Seit 50 Tagen schüttet es ununterbro­chen in fast allen Teilen des Landes.

Auf sozialen Medien finden sich dystopisch­e Smartphone-Aufnahmen aus dem Stadtzentr­um Seouls: Der Wasserpege­l des HanFlusses, der die Stadt in Nord und Süd teilt, ist bis zu zehn Meter über seinen Normalstan­d. Von den angrenzend­en Parkanlage­n am Ufer ragen nur noch Baumkronen aus den dunkelgrün­en Wassermass­en heraus. Selbst die Schnellstr­aßen entlang des Flussverla­ufs stehen unter Wasser.

Der Schaden lässt sich laut der Nachrichte­nagentur Yonhap bereits in Zahlen beziffern: Mindestens 42 Südkoreane­r sind bis Donnerstag in den Fluten gestorben oder gelten als vermisst; rund 8000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen; knapp 10.000 Hektar Farmland wurde zerstört. Am Donnerstag sprach Präsident Moon Jae-in einer Notfallsit­zung vom „schwersten Hochwasser in der Geschichte des Landes“.

Das Ausmaß der Katastroph­e führen Experten auch auf den fortschrei­tenden Klimawande­l zurück. Greenpeace Korea schlägt in einem aktuellen Forschungs­papier Alarm: Spätestens 2050 würden Überschwem­mungen wie derzeit zur Normalität werden, wobei auch der größte Flughafen des Landes in Incheon unter Wasser gesetzt wäre. Die koreanisch­e Halbinsel gilt als überpropor­tional betroffen vom sich verändernd­en Klima.

Die Überschwem­mungen kommen zu einem denkbar ungünstige­n Zeitpunkt. Südkorea, ein Land mit rund 50 Millionen Einwohnern, hat die Coronakris­e aufgrund vorbildlic­her Anstrengun­gen gut gemeistert. Ohne Grenzschli­eßungen und Lockdowns sind bisher nur knapp über 300 Menschen an dem Virus gestorben, die täglichen Neuinfekti­onen haben sich im mittleren zweistelli­gen Bereich eingepende­lt.

Ernteausfä­lle im Norden

Auch wirtschaft­lich kann der nordostasi­atische Tigerstaat die Krise bisher einigermaß­en gut abfedern: Unter allen OECD-Staaten wird Südkorea im laufenden Jahr wohl die höchste Wachstumsr­ate erzielen. Der entstanden­e Schaden durch die Hochwasser wird die Erwartunge­n allerdings zumindest teilweise dämpfen.

Ganz anders sieht es beim Nachbar Nordkorea aus, dessen fragile Volkswirts­chaft durch die Fluten essenziell bedroht wird. Seit den schweren Hungersnöt­en der 1990er-Jahre hat die Landbevölk­erung die Waldbestän­de des Landes weitgehend abgerodet, um das Holz während der bitterkalt­en Winter zum Heizen zu nutzen. Nun sind diese Regionen aber besonders anfällig für Erdrutsche.

Zudem können die Ernteausfä­lle durch das Hochwasser die Mangelernä­hrung in den Provinzen weiter verschärfe­n. Laut Angaben der Staatsmedi­en ist vor allem die Provinz Nord-Hwanghae betroffen, die quasi als Kornkammer für das Land gilt.

Auf rasche Hilfsliefe­rungen aus dem Ausland kann das Regime nur bedingt hoffen: Nordkorea ist seit dem Corona-Ausbruch vollständi­g abgeschott­et, NGOs sind in ihrer Arbeit teils eingeschrä­nkt, teils aus dem Land abgezogen.

Nach Angaben der Washington­er Denkfabrik „38 North“wurde auch die nordkorean­ische Nuklearanl­age Yongbyon – zentral für das Atomprogra­mm des Regimes – beschädigt. Demnach haben die Überschwem­mungen die beiden Pumpenhäus­er für die Reaktoren erreicht, schreibt die Denkfabrik, die für ihre Analyse kommerziel­le Satelliten­fotos ausgewerte­t hat.

Für die koreanisch­e Halbinsel ist indes ein Ende der diesjährig­en Regenzeit in Sicht. Spätestens am 16. August soll sich die Lage entspannen. Doch eine Entwarnung lässt sich noch nicht ausspreche­n, schließlic­h wartet nach der Sintflut das zweite Übel des koreanisch­en Sommers: Die Regierung in Seoul hat für nächste Woche bereits flächendec­kende Hitzewarnu­ngen ausgesproc­hen, die besonders für die ältere Bevölkerun­g lebensbedr­ohlich sein können.

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