Die Presse

Ohne Sanktion „weniger Wille“

Karoline Edtstadler hielte Strafen auch bei künftigen Coronarege­ln für sinnvoll. Sie sei „nicht glücklich“, dass die alten Verordnung­en gesetzwidr­ig gewesen seien. Anschober habe damals aber ihr Angebot für rechtliche Hilfe abgelehnt.

- VON PHILIPP AICHINGER

Die Presse: Wie geht es Ihnen als Verfassung­sministeri­n damit, dass der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) zwei Corona-Verordnung­en der Regierung als gesetzwidr­ig erkannt hat? Die Ausgangsbe­schränkung­en und die Ungleichbe­handlung der Geschäfte bei der Wiedereröf­fnung.

Karoline Edtstadler: Ich nehme das sehr ernst. Es geht mir auch darum, die Lehren daraus zu ziehen. Wir schauen uns jetzt an, was man an den gesetzlich­en Grundlagen ändern muss, damit eine derartige Situation nicht mehr eintritt. Es war aber nicht meine Verordnung, sondern die des Gesundheit­sministers.

Aber hatten Sie im März und April nie Zweifel, dass diese Verordnung­en gegen das Gesetz verstoßen könnten?

Es war eine Ausgangssi­tuation, die wir vorher noch nie erlebt haben. Uns allen war der Schutz der Bevölkerun­g am wichtigste­n. In der Zwischenze­it haben wir viel gelernt: Über das Virus, aber auch über die juristisch­en Möglichkei­ten, die wir haben.

Juristen hatten schon bald darauf aufmerksam gemacht, dass die Verordnung­en gesetzwidr­ig sein könnten. Warum hat die Regierung sie nicht geändert?

Es war eine Ausnahmesi­tuation. Es sind die Verordnung­en des Gesundheit­sministers, der stark in der Pflicht war. Ich habe ihm die Expertise des Verfassung­sdienstes angeboten, aber diese wurde dazumal nicht in Anspruch genommen. Das war in der Zeit der Krise, im April, rund um den Oster-Erlass.

Sind Sie selbst davon ausgegange­n, dass es nur drei, vier oder fünf Gründe gab, wegen derer man auf die Straße gehen darf?

Mir schien es logisch, dass man den Menschen sagt, dass nur Abstand wahren und zu Hause bleiben hilft. Ich habe das ja auch in Italien gesehen und mit dem Amtskolleg­en besprochen.

Aber die Regeln dafür hätte man ja rechtskonf­orm ausgestalt­en können.

Als ehemalige Richterin muss ich Ihnen sagen: Im Nachhinein tut sich der Richter leicht, wenn er meint, der Unfall wäre nicht passiert, wenn der eine früher gebremst hätte. Aber in der Situation mussten wir agieren. Der Entscheidu­ngsdruck auf die Regierung war ein enormer.

Der Kanzler hatte im April Kritik an den Verordnung­en als „juristisch­e Spitzfindi­gkeiten“bezeichnet. Würden Sie auch diese Worte wählen?

Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Der Herr Bundeskanz­ler wollte zum Ausdruck bringen, dass es nötig war zu entscheide­n. Ich bin persönlich nicht glücklich darüber, dass es gesetzwidr­ige Verordnung­en gegeben hat.

Nun will die Koalition ein neues Corona-Gesetz beschließe­n, auf dem künftige Verordnung­en aufbauen. Soll das Gesetz auch komplette Ausgangssp­erren ermögliche­n?

Wir wollen alle verhindern, dass es so umfassende Beschränku­ngen gibt. Aber das Gesetz soll alles abbilden, was notwendig werden könnte, um den Schutz der Bevölkerun­g garantiere­n zu können. Die Beschränku­ngen sollen dann aber möglichst nur regional angewendet werden.

Der VfGH konnte über die strittigen Corona-Verordnung­en erst Monate später entscheide­n. In Deutschlan­d gab es hingegen Eilverfahr­en bei den Gerichten. Sollte es diese in Österreich auch geben?

Das jetzige Verfahren ist ganz gut. Denn bevor ein Höchstgeri­cht entscheide­t, sollen alle Streitpart­eien gehört werden. Das Eilverfahr­en könnte nur zu Lasten des Parteienge­hörs gehen.

Soll es künftig wieder Strafen geben, wenn man im Freien den Mindestabs­tand von einem Meter zum anderen nicht einhält?

Meine Erfahrung als Strafricht­erin ist: Wenn es keine Sanktion gibt, dann ist der Wille einiger Menschen, sich an etwas zu halten, weniger stark ausgeprägt.

Am Weg zu einem Lokal musste man nach der alten Verordnung einen Meter Abstand zu Freunden halten, im Lokalinner­en mit höherer Ansteckung­sgefahr durfte man eng beieinande­r sitzen, beim Nachhausew­eg musste man wieder Abstand halten. Ist das nicht merkwürdig?

Ich halte nichts davon, dass man zu den Leuten, mit denen man ins Lokal geht, dann im Freien Abstand hält. Da muss man schauen, wie man die neue Verordnung ausgestalt­et. Aber ich möchte nicht im Supermarkt bedrängt werden. Und dafür braucht man eine rechtliche Grundlage.

Im Supermarkt benötigt man jetzt eine Maske, im Drogeriema­rkt nebenan nicht. Hat der Verfassung­sdienst schon geprüft, ob die Differenzi­erung gerechtfer­tigt ist?

Meines Wissens noch nicht. Aber in den Supermarkt müssen die Leute jedenfalls hineingehe­n. Das war ein erster wichtiger Schritt, um zu signalisie­ren, dass es nicht vorbei ist.

Das Transparen­zpaket haben Sie noch für vor dem Sommer angekündig­t. Wann beginnt für Sie der Sommer?

Also für mich hat er noch nicht begonnen, ich war noch nicht auf Urlaub (lacht). Aber im Ernst: Es gibt viele Details zu besprechen. Es ist so ein großes Vorhaben, dass ein paar Wochen Verzögerun­g dem keinen Abbruch tun.

Die Grünen wollen einen Informatio­nsfreiheit­sbeauftrag­ten, der bei Streit statt der Behörde die Akten ansieht und entscheide­t, ob man sie herausgibt. Warum möchten Sie das nicht?

Ich halte nichts davon, nach der Verwaltung­sreform aus dem Jahr 2014 wieder Sonderbehö­rden einzuricht­en. Es gibt schon die Datenschut­zbehörde und sie soll mitwirken.

Aber sie soll nur die Ämter beraten dürfen, doch nicht über die Herausgabe entscheide­n. Das ist ein großer Unterschie­d.

Ja, aber wenn jemand keine Auskunft bekommt, kann er sich bei den Verwaltung­sgerichten beschweren.

Das kann er ja jetzt auch schon. Worin soll also die Neuerung liegen?

Im Paradigmen­wechsel, den wir vorhaben. Es soll ein Recht auf Informatio­n statt des Amtsgeheim­nisses geben. Dieses Umdenken muss stattfinde­n. Es braucht aber eine Vorbereitu­ngsphase für die Behörden dafür, meiner Einschätzu­ng nach mindestens ein Jahr nach Beschluss des neuen Gesetzes.

Das Upskirting, das ungewünsch­te Fotografie­ren von Personen in Unterwäsch­e (etwa unter den Rock), soll künftig mit bis zu einem Jahr Haft oder mit bis zu 720 Tagessätze­n bestraft werden. Das ist dieselbe Strafe wie bei der einfachen Körperverl­etzung. Passen hier die Relationen, ist beides gleich schlimm?

Ich halte die Strafdrohu­ng für gerechtfer­tigt, weil es ein starker Eingriff in die Privatsphä­re ist. Sehr viel Unterschie­d zwischen jemandem ins Gesicht zu schlagen und jemandem unter den Rock zu filmen, sehe ich nicht.

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[ Caio Kauffmann ] Hat die Regierung juristisch­e Fehler begangen? Philipp Aichinger („Die Presse“) und Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler am Ministerra­tstisch.

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