Ohne Sanktion „weniger Wille“
Karoline Edtstadler hielte Strafen auch bei künftigen Coronaregeln für sinnvoll. Sie sei „nicht glücklich“, dass die alten Verordnungen gesetzwidrig gewesen seien. Anschober habe damals aber ihr Angebot für rechtliche Hilfe abgelehnt.
Die Presse: Wie geht es Ihnen als Verfassungsministerin damit, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) zwei Corona-Verordnungen der Regierung als gesetzwidrig erkannt hat? Die Ausgangsbeschränkungen und die Ungleichbehandlung der Geschäfte bei der Wiedereröffnung.
Karoline Edtstadler: Ich nehme das sehr ernst. Es geht mir auch darum, die Lehren daraus zu ziehen. Wir schauen uns jetzt an, was man an den gesetzlichen Grundlagen ändern muss, damit eine derartige Situation nicht mehr eintritt. Es war aber nicht meine Verordnung, sondern die des Gesundheitsministers.
Aber hatten Sie im März und April nie Zweifel, dass diese Verordnungen gegen das Gesetz verstoßen könnten?
Es war eine Ausgangssituation, die wir vorher noch nie erlebt haben. Uns allen war der Schutz der Bevölkerung am wichtigsten. In der Zwischenzeit haben wir viel gelernt: Über das Virus, aber auch über die juristischen Möglichkeiten, die wir haben.
Juristen hatten schon bald darauf aufmerksam gemacht, dass die Verordnungen gesetzwidrig sein könnten. Warum hat die Regierung sie nicht geändert?
Es war eine Ausnahmesituation. Es sind die Verordnungen des Gesundheitsministers, der stark in der Pflicht war. Ich habe ihm die Expertise des Verfassungsdienstes angeboten, aber diese wurde dazumal nicht in Anspruch genommen. Das war in der Zeit der Krise, im April, rund um den Oster-Erlass.
Sind Sie selbst davon ausgegangen, dass es nur drei, vier oder fünf Gründe gab, wegen derer man auf die Straße gehen darf?
Mir schien es logisch, dass man den Menschen sagt, dass nur Abstand wahren und zu Hause bleiben hilft. Ich habe das ja auch in Italien gesehen und mit dem Amtskollegen besprochen.
Aber die Regeln dafür hätte man ja rechtskonform ausgestalten können.
Als ehemalige Richterin muss ich Ihnen sagen: Im Nachhinein tut sich der Richter leicht, wenn er meint, der Unfall wäre nicht passiert, wenn der eine früher gebremst hätte. Aber in der Situation mussten wir agieren. Der Entscheidungsdruck auf die Regierung war ein enormer.
Der Kanzler hatte im April Kritik an den Verordnungen als „juristische Spitzfindigkeiten“bezeichnet. Würden Sie auch diese Worte wählen?
Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Der Herr Bundeskanzler wollte zum Ausdruck bringen, dass es nötig war zu entscheiden. Ich bin persönlich nicht glücklich darüber, dass es gesetzwidrige Verordnungen gegeben hat.
Nun will die Koalition ein neues Corona-Gesetz beschließen, auf dem künftige Verordnungen aufbauen. Soll das Gesetz auch komplette Ausgangssperren ermöglichen?
Wir wollen alle verhindern, dass es so umfassende Beschränkungen gibt. Aber das Gesetz soll alles abbilden, was notwendig werden könnte, um den Schutz der Bevölkerung garantieren zu können. Die Beschränkungen sollen dann aber möglichst nur regional angewendet werden.
Der VfGH konnte über die strittigen Corona-Verordnungen erst Monate später entscheiden. In Deutschland gab es hingegen Eilverfahren bei den Gerichten. Sollte es diese in Österreich auch geben?
Das jetzige Verfahren ist ganz gut. Denn bevor ein Höchstgericht entscheidet, sollen alle Streitparteien gehört werden. Das Eilverfahren könnte nur zu Lasten des Parteiengehörs gehen.
Soll es künftig wieder Strafen geben, wenn man im Freien den Mindestabstand von einem Meter zum anderen nicht einhält?
Meine Erfahrung als Strafrichterin ist: Wenn es keine Sanktion gibt, dann ist der Wille einiger Menschen, sich an etwas zu halten, weniger stark ausgeprägt.
Am Weg zu einem Lokal musste man nach der alten Verordnung einen Meter Abstand zu Freunden halten, im Lokalinneren mit höherer Ansteckungsgefahr durfte man eng beieinander sitzen, beim Nachhauseweg musste man wieder Abstand halten. Ist das nicht merkwürdig?
Ich halte nichts davon, dass man zu den Leuten, mit denen man ins Lokal geht, dann im Freien Abstand hält. Da muss man schauen, wie man die neue Verordnung ausgestaltet. Aber ich möchte nicht im Supermarkt bedrängt werden. Und dafür braucht man eine rechtliche Grundlage.
Im Supermarkt benötigt man jetzt eine Maske, im Drogeriemarkt nebenan nicht. Hat der Verfassungsdienst schon geprüft, ob die Differenzierung gerechtfertigt ist?
Meines Wissens noch nicht. Aber in den Supermarkt müssen die Leute jedenfalls hineingehen. Das war ein erster wichtiger Schritt, um zu signalisieren, dass es nicht vorbei ist.
Das Transparenzpaket haben Sie noch für vor dem Sommer angekündigt. Wann beginnt für Sie der Sommer?
Also für mich hat er noch nicht begonnen, ich war noch nicht auf Urlaub (lacht). Aber im Ernst: Es gibt viele Details zu besprechen. Es ist so ein großes Vorhaben, dass ein paar Wochen Verzögerung dem keinen Abbruch tun.
Die Grünen wollen einen Informationsfreiheitsbeauftragten, der bei Streit statt der Behörde die Akten ansieht und entscheidet, ob man sie herausgibt. Warum möchten Sie das nicht?
Ich halte nichts davon, nach der Verwaltungsreform aus dem Jahr 2014 wieder Sonderbehörden einzurichten. Es gibt schon die Datenschutzbehörde und sie soll mitwirken.
Aber sie soll nur die Ämter beraten dürfen, doch nicht über die Herausgabe entscheiden. Das ist ein großer Unterschied.
Ja, aber wenn jemand keine Auskunft bekommt, kann er sich bei den Verwaltungsgerichten beschweren.
Das kann er ja jetzt auch schon. Worin soll also die Neuerung liegen?
Im Paradigmenwechsel, den wir vorhaben. Es soll ein Recht auf Information statt des Amtsgeheimnisses geben. Dieses Umdenken muss stattfinden. Es braucht aber eine Vorbereitungsphase für die Behörden dafür, meiner Einschätzung nach mindestens ein Jahr nach Beschluss des neuen Gesetzes.
Das Upskirting, das ungewünschte Fotografieren von Personen in Unterwäsche (etwa unter den Rock), soll künftig mit bis zu einem Jahr Haft oder mit bis zu 720 Tagessätzen bestraft werden. Das ist dieselbe Strafe wie bei der einfachen Körperverletzung. Passen hier die Relationen, ist beides gleich schlimm?
Ich halte die Strafdrohung für gerechtfertigt, weil es ein starker Eingriff in die Privatsphäre ist. Sehr viel Unterschied zwischen jemandem ins Gesicht zu schlagen und jemandem unter den Rock zu filmen, sehe ich nicht.