Die Presse

„Es gibt ein faschistis­ches Virus“

Interview. Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger spricht über Proben mit Peymann, Schauspiel­er, die Nähe fürchten, und die Fehde zwischen den Chefs der Albertina und der Staatsoper: „Wir Direktoren sollten einander jetzt helfen.“

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Presse: Wie geht es Ihrem Theater, wie laufen die Vorbereitu­ngen für die Saison? Herbert Föttinger: Wir probieren seit 1. August wieder. Claus Peymann, die Schauspiel­er und alle Mitarbeite­r sind auf Covid-19 getestet. Die ganze Kunstszene testet viel mehr als andere Institutio­nen. Ich bin zuversicht­lich, dass es keine gröberen Schwierigk­eiten geben wird. Und es ist eine Freude, Claus Peymann, diese Legende, hier zu haben (er inszeniert die Eröffnungs­premiere, Anm.). Wir haben ein fantastisc­hes Verhältnis.

Das Verhältnis zwischen Peymann und der Josefstadt war nicht immer gut, wenn man an die Zeit seiner Burgtheate­r-Intendanz denkt. Die Josefstadt war etwa im „Heldenplat­z“-Skandal eher auf der Seite des konservati­ven Publikums.

Damals war es kein gutes Verhältnis, das stimmt. Mittlerwei­le schwärmt er von der Josefstadt in den höchsten Tönen. Er hat im Gegensatz zu einigen österreich­ischen Feuilleton­isten mitbekomme­n, wie sehr sich dieses Theater verändert hat.

Wer hat jetzt mehr Autorität, der Intendant oder der Regie-Altmeister?

Wir schenken uns beide nichts. Die Stückfindu­ng war nicht einfach. Es brauchte Monate, bis wir uns geeinigt haben. Peymann hat ständig neue Vorschläge gemacht, die gesamte deutsche Literatur rauf und runter, und mit jedem Vorschlag war er nach einer Woche nicht mehr zufrieden. Thomas Bernhard war mein Wunsch. Ich bin froh, dass ich mich mit dem Stück durchgeset­zt habe.

Was macht den „Deutschen Mittagstis­ch“, der im Juni Premiere haben sollte, zum richtigen Eröffnungs­stück nach Corona? Es gibt ja nicht nur das Coronaviru­s. Es gibt auch ein faschistis­ches Virus. Und solang es noch Österreich­er gibt, die der Meinung sind, dass es „auch irgendwann mal wieder gut ist“mit der Vergangenh­eitsbewält­igung, besteht dringender Bedarf, zum Beispiel Thomas Bernhard zu spielen.

Hat Corona den Spielplan beeinfluss­t? Natürlich. Es ist aber gar nicht so einfach, das richtige Stück zur Stunde zu finden. Wir spielen „Die Stadt der Blinden“nach einem Roman von Jose´ Saramago über eine Pandemie der Erblindung, die in einen autoritäre­n Staat mündet. Die Beschäftig­ung mit den Auswirkung­en der Pandemie auf unsere Gesellscha­ft ist das, was Theater jetzt leisten muss. Ohne doofe Corona-Anspielung­en. Oder Maskenwitz­e. Das finde ich peinlich.

Wird jetzt eigentlich mit Maske geprobt? Nein. Es gibt keine Restriktio­nen, die sich auf die künstleris­che Arbeit auswirken. Da ist man meiner Forderung nachgekomm­en.

Die Schauspiel­er dürfen sich also auch, wie Sie gefordert haben, küssen, angreifen und bespucken?

War das denn wirklich verboten? Erst wenn ich mir die Proben angeschaut habe, kann ich Ihnen sagen, ob es nicht innere Sperren gibt, die sich die Schauspiel­er und Regisseure selbst auferlegen. Ich finde es eh besser, wenn man ein bisschen distanzier­ter spielt und einander nicht ständig um den Hals fällt – aber das überlasse ich den Schauspiel­ern.

Was ist, wenn ein Schauspiel­er eine Rolle, die viel körperlich­e Nähe erfordert, nicht spielen will?

Es gibt schon gewisse Ängste in unserem Ensemble. Das respektier­e ich. Ich muss erst sehen, wie ich auf Dauer damit umgehe. Man kann ein Theater von außen lahmlegen, es besteht aber auch die Gefahr, dass es von innen lahmgelegt wird. Da muss man versuchen, einfühlsam auf die Kollegen einzugehen. Claus Peymann (er ist 83 Jahre alt, Anm.) ist angstbefre­it, Achim Freyer (der Bühnenbild­ner ist 86) auch. Überhaupt hat man das Gefühl, dass die Älteren viel unerschroc­kener sind als manch Jüngerer.

Die geplante Corona-Ampel könnte jederzeit eine Verschärfu­ng der Maßnahmen bringen. Sind Sie darauf vorbereite­t? Darauf kann man sich gar nicht vorbereite­n. Alle Maßnahmen, die vom Gesundheit­sministeri­um kommen, sind ein bisschen irrwitzig. Aber wenn Verschärfu­ngen für den Theaterber­eich kommen sollten, werden wir sie akzeptiere­n. Für die Konsequenz­en muss ohnehin der Staat aufkommen.

Sie meinen, dass der Staat haftet, wenn Sie zum Beispiel gezwungen sind, die Sitzplätze zu reduzieren und verkaufte Karten wieder zurückzune­hmen?

Alles andere würde eine Zerstörung der Kulturland­schaft bedeuten. Natürlich könnte es passieren, dass das Publikum auch während der Vorstellun­g Masken tragen muss. Wenn dem so ist, werden wir Schutzvisi­ere aus Plexiglas anbieten.

Man könne auch ohne Theater auskommen, meinte Albertina-Direktor Schröder im „Kurier“. Was sagen Sie dazu?

Das ist natürlich Blödsinn. Ich habe am nächsten Tag mit ihm telefonier­t und den Eindruck gewonnen, dass ihn eine gewisse Tendenz in den Fragen zu dieser Aussage geführt hat. Ich hatte immer das Gefühl, dass Klaus Albrecht Schröder ein feinsinnig­er Mensch ist, der das Theater liebt.

Staatsoper­ndirektor Bogdan Rosˇciˇc´ hat sehr polemisch auf seine Aussagen reagiert. Wie ordnen Sie die Fehde ein? Liegen die Nerven blank im Kulturbetr­ieb? Ich weiß nicht, ob man einen Konflikt in dieser offensiven Form austragen muss, wie das Rosˇciˇc´ getan hat. Ich denke, wir sollten in diesen schwierige­n Zeiten, in denen wir künstleris­che Direktoren jetzt leben, einander eher helfen und weniger den Fehdehands­chuh werfen.

Soll man aus Gründen des Schutzes der Gesundheit auf Kultur verzichten?

Ich war immer der Meinung, dass es vernünftig­er ist, eine Institutio­n zu schließen, als ein zu großes Gesundheit­srisiko einzugehen. Es ist dumm, etwas gegeneinan­der auszuspiel­en. Wenn Schröder sagt, Theater sei kein Lebensmitt­el, gilt das natürlich auch für ein Museum. Auch ein Museum ist nicht lebensnotw­endig. Aber Kunst und Kultur sind geistige Nahrung. Für eine humanistis­che Gesellscha­ft ist diese essenziell. Eine kulturlose Zeit führt zur Verrohung.

Aber so weit ist es Ihrer Meinung nach jetzt noch nicht, oder?

Nach fünf Monaten zu sagen, wir stehen vor einer Kunstkatas­trophe, wäre übertriebe­n. Dennoch müssen wir wachsam bleiben.

Denken Sie sich nie, wenn Sie von steigenden Infektions­zahlen hören, dass es schlauer wäre, wenn die Leute noch nicht ins Theater gingen?

Wir haben die Erlaubnis, wieder zu spielen, und das werden wir unter Einhaltung aller Schutzmaßn­ahmen auch tun. Zudem denke ich, dass es sich bei unserem Publikum um besonnene Menschen handelt, die ihre Masken tragen, vorsichtig miteinande­r umgehen, die den von Werner Kogler ständig beschworen­en Hausversta­nd tatsächlic­h in die Vorstellun­g mitnehmen.

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[ Clemens Fabry ] Die Kulturszen­e sei besonders vorsichtig im Umgang mit dem Virus, meint Herbert Föttinger.

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