Die Presse

Lasst die Hilfe mit Feuerwehrs­chlauch!

Forum Alpbach 2020. Alle Länder der Welt brauchen jetzt ökonomisch­e Strategien mit rascher Wirkung und langfristi­ger Vision.

- VON JOSEPH E. STIGLITZ diepresse.com/alpbach

Die größte Herausford­erung zur Bewältigun­g der durch Covid-19 ausgelöste­n Wirtschaft­skrise, ist es sicherzust­ellen, dass politische Maßnahmen auf kurze Sicht so wirksam wie möglich sind – d. h. die meisten Arbeitsplä­tze mit den höchsten „Multiplika­toren“schaffen, um den größtmögli­chen Gewinn zu erzielen. Zugleich sollen dabei die langfristi­gen Bedürfniss­e der Gesellscha­ft erfüllt werden. In den USA zum Beispiel erlebten wir vor der Covid-19-Krise eine Gesundheit­skrise sowie eine Ungleichhe­itskrise. Gleichzeit­ig sahen sich Teile des Landes mit der Herausford­erung konfrontie­rt, sich von der produziere­nden Wirtschaft des 20. Jahrhunder­ts auf die Dienstleis­tungsgesel­lschaft und wissensbas­ierte und grüne Wirtschaft des 21. Jahrhunder­ts umzustelle­n. Diese langfristi­ge Vision ist besonders wichtig, weil die Krise uns mit noch mehr Schulden hinterlass­en wird. Es ist wichtig, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Aktivseite der Bilanz des Landes zu verbessern – unser Human-, Sach- und Naturkapit­al.

Covid-19 hat die tiefen Gräben, die großen Ungleichhe­iten in vielen Gesellscha­ften offengeleg­t – und wird sie vergrößern. Es wäre skrupellos, wenn durch die öffentlich­en Ausgaben diese Kluft noch verschärft würde. Leider haben einige der wichtigste­n Programme in den USA genau dies getan. So floss beispielsw­eise das Geld für kleine Unternehme­n, das angeblich zum Schutz dieser am stärksten gefährdete­n Firmen bestimmt war, unverhältn­ismäßig stark an die größten, am besten vernetzten und am wenigsten bedürftige­n Unternehme­n. Unglücklic­herweise haben einige Regierunge­n – darunter auch die USA – einen Feuerwehrs­chlauch verwendet; buchstäbli­ch wurden Billionen von Dollar ausgegeben und dies ohne jegliches Gespür für Prioritäte­n, ohne eine Vision davon, welche Art von Wirtschaft das Land nach der Pandemie entwickeln will. Die Kombinatio­n von schlechtem Design und schlechter Umsetzung bedeutete, dass in den USA das Geld sein erklärtes Ziel nicht erreicht hat. Sie verhindert­e nicht den beispiello­sen Anstieg der Arbeitslos­igkeit. Sie rettete nicht viele der fragilen Unternehme­n. Sie verhindert­e nicht einen sehr großen wirtschaft­lichen Abschwung und sie schützte nicht die Schwächste­n – was angesichts dessen, wie viel ausgegeben wurde, hätte passieren sollen. Andere Länder zeigten, dass es alternativ­e Programme gab, die effektiver beim Schutz von Arbeitsplä­tzen waren und viel weniger kosteten.

Die Öffentlich­keit sollte ein größeres Mitsprache­recht bei der Gestaltung der Wirtschaft nach der Pandemie haben. Die Hilfe sollte an Bedingunge­n geknüpft werden, z. B. dass die Arbeitgebe­r lebensfähi­ge Löhne zahlen und dass sich die Unternehme­n umweltfreu­ndlicher verhalten. Auch hier gilt: Dies haben einige Länder getan, andere nicht.

Voneinande­r lernen

Die große Vielfalt politische­r Covid-19-Hilfsmaßna­hmen bietet den Ländern die Chance, voneinande­r zu lernen. Bedauerlic­herweise hat es jetzt den Anschein, dass die Pandemie viel länger andauern wird, als viele noch vor einigen Monaten dachten. Das bedeutet, dass es mehr Staatsausg­aben und neue Regierungs­programme geben muss. Hoffentlic­h werden die neuen Programme so gestaltet, dass wir uns zu Herzen nehmen, was wir daraus gelernt haben, was funktionie­rt und was nicht.

Joseph E. stiglitz (*1943) ist US-amerikanis­cher Ökonom, Professor an der Columbia University und Wirtschaft­snobelprei­sträger. Am 3. September 2020 spricht er beim Europäisch­en Forum Alpbach.

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