Lasst die Hilfe mit Feuerwehrschlauch!
Forum Alpbach 2020. Alle Länder der Welt brauchen jetzt ökonomische Strategien mit rascher Wirkung und langfristiger Vision.
Die größte Herausforderung zur Bewältigung der durch Covid-19 ausgelösten Wirtschaftskrise, ist es sicherzustellen, dass politische Maßnahmen auf kurze Sicht so wirksam wie möglich sind – d. h. die meisten Arbeitsplätze mit den höchsten „Multiplikatoren“schaffen, um den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Zugleich sollen dabei die langfristigen Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllt werden. In den USA zum Beispiel erlebten wir vor der Covid-19-Krise eine Gesundheitskrise sowie eine Ungleichheitskrise. Gleichzeitig sahen sich Teile des Landes mit der Herausforderung konfrontiert, sich von der produzierenden Wirtschaft des 20. Jahrhunderts auf die Dienstleistungsgesellschaft und wissensbasierte und grüne Wirtschaft des 21. Jahrhunderts umzustellen. Diese langfristige Vision ist besonders wichtig, weil die Krise uns mit noch mehr Schulden hinterlassen wird. Es ist wichtig, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Aktivseite der Bilanz des Landes zu verbessern – unser Human-, Sach- und Naturkapital.
Covid-19 hat die tiefen Gräben, die großen Ungleichheiten in vielen Gesellschaften offengelegt – und wird sie vergrößern. Es wäre skrupellos, wenn durch die öffentlichen Ausgaben diese Kluft noch verschärft würde. Leider haben einige der wichtigsten Programme in den USA genau dies getan. So floss beispielsweise das Geld für kleine Unternehmen, das angeblich zum Schutz dieser am stärksten gefährdeten Firmen bestimmt war, unverhältnismäßig stark an die größten, am besten vernetzten und am wenigsten bedürftigen Unternehmen. Unglücklicherweise haben einige Regierungen – darunter auch die USA – einen Feuerwehrschlauch verwendet; buchstäblich wurden Billionen von Dollar ausgegeben und dies ohne jegliches Gespür für Prioritäten, ohne eine Vision davon, welche Art von Wirtschaft das Land nach der Pandemie entwickeln will. Die Kombination von schlechtem Design und schlechter Umsetzung bedeutete, dass in den USA das Geld sein erklärtes Ziel nicht erreicht hat. Sie verhinderte nicht den beispiellosen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Sie rettete nicht viele der fragilen Unternehmen. Sie verhinderte nicht einen sehr großen wirtschaftlichen Abschwung und sie schützte nicht die Schwächsten – was angesichts dessen, wie viel ausgegeben wurde, hätte passieren sollen. Andere Länder zeigten, dass es alternative Programme gab, die effektiver beim Schutz von Arbeitsplätzen waren und viel weniger kosteten.
Die Öffentlichkeit sollte ein größeres Mitspracherecht bei der Gestaltung der Wirtschaft nach der Pandemie haben. Die Hilfe sollte an Bedingungen geknüpft werden, z. B. dass die Arbeitgeber lebensfähige Löhne zahlen und dass sich die Unternehmen umweltfreundlicher verhalten. Auch hier gilt: Dies haben einige Länder getan, andere nicht.
Voneinander lernen
Die große Vielfalt politischer Covid-19-Hilfsmaßnahmen bietet den Ländern die Chance, voneinander zu lernen. Bedauerlicherweise hat es jetzt den Anschein, dass die Pandemie viel länger andauern wird, als viele noch vor einigen Monaten dachten. Das bedeutet, dass es mehr Staatsausgaben und neue Regierungsprogramme geben muss. Hoffentlich werden die neuen Programme so gestaltet, dass wir uns zu Herzen nehmen, was wir daraus gelernt haben, was funktioniert und was nicht.
Joseph E. stiglitz (*1943) ist US-amerikanischer Ökonom, Professor an der Columbia University und Wirtschaftsnobelpreisträger. Am 3. September 2020 spricht er beim Europäischen Forum Alpbach.