Sanktionen, die Antwort auf alle politischen Fragen?
Politische Spannungen wie zwischen den USA und Russland bedeuten für Unternehmen oft fehlende Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit.
Sanktionen und Embargos waren seit jeher das Werkzeug der Weltgemeinschaft, die „schwarzen Schafe“, also Länder, die sich nicht an die Regeln dieser Gemeinschaft halten, durch wirtschaftlichen Druck – bis hin zur wirtschaftlichen Isolation – in diese Konformität zu zwingen. Diese Gemeinschaft wurde weithin durch die Vereinten Nationen repräsentiert, die in Form von Beschlüssen oder Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats Sanktionen als Mittel zur Erhaltung des Friedens, Einhaltung von Menschenrechten und Lösung bewaffneter Konflikte einsetzt.
Aber auch die Europäische Union beschließt Sanktionen als Teil ihrer „Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik“. Darauf, was so ein Verhalten nun beinhalten darf, konnte man sich da und dort nicht immer einigen. Dies führte dazu, dass Staaten in Hinsicht auf Sanktionen auch eigene Wege beschritten – zum Missfallen anderer. Ein Beispiel dafür sind die Kuba-Sanktionen der USA Mitte der Neunzigerjahre, welche prompt zu einer Abwehrreaktion der Europäischen Union in Form eines sogenannten Blocking Statute führten.
Energieexport der USA stärken
Die vergangenen Jahre zeichneten ein neues Bild: Nach außen gerichtete Sanktionen dienen vermehrt der Verfolgung innenpolitischer Ziele. Außenpolitische Maßnahmen erwecken verstärkt den Eindruck eines Vorwands, um die außenwirtschaftliche Vormachtstellung zu stärken.
Unter dem Deckmantel des Schutzes eines Verbündeten werden Maßnahmen ergriffen, die weder von diesem Verbündeten gewünscht noch eingefordert wurden und sich auch deutlich von der einst vorherrschenden Zielvorstellung von Sanktionen unterscheiden. Als konkretes Beispiel dient hier das „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“, welches sich gegen die europäisch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 richtet. Erlassen wurde es nicht von einem europäischen Staat und stellt wohl ebenso wenig einen selbstlosen Akt eines Drittstaates dar. Vielmehr geht es hierbei darum, den Energieexport der USA nach Europa zu stärken.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Aus innenpolitischer Sicht bedeutet dies für die derzeitige US-Regierung aber auch, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, wird dabei doch auch innenpolitischen Vorwürfen wie der Einflussnahme und auch Anbiederung an die russische Führung begegnet.
Die Nahebeziehung Europas zu Russland, die von den USA als „Abhängigkeit“eingestuft wird, in Hinsicht auf die Versorgung mit Energie, insbesondere Gas und Öl, soll sich zugunsten der USA verlagern. Die USA hatten bereits Ende 2019 eine Unterbrechung des Baus durch Festsetzung von Sanktionen gegen Betreiber von Verlegeschiffen erreicht. Nun soll dieses neue Gesetz in Zukunft auch auf Unternehmen und Investoren ausgeweitet werden. Damit noch nicht genug, die USA drohen sogar einen Schritt weiter zu gehen, indem auch alle Behörden und deren Mitarbeiter, die an einem Genehmigungsverfahren beteiligt sind, mit US-Sanktionen konfrontiert werden sollen. Diese Ausweitung der Extraterritorialität weist eine neue Qualität von Sanktionen auf und wird überwiegend als völkerrechtswidriger, direkter Eingriff in das Rechtssystems und die Souveränität Europas angesehen. Die beabsichtigte Schutzwirkung des Sanktionsgesetzes für Europa liegt wohl im Auge des Betrachters.
Wo bleibt der Bezug zum Land?
Es ist bereits das Konzept der sogenannten extraterritorialen Sanktionen, also solche Sanktionen, denen es an jeglichem Bezug zu dem Land, das sie ausspricht, mangelt, höchst kritisch zu betrachten. Die Einhaltung wird ausschließlich über die Drohung erwirkt, die Wirtschaftsmacht eines Landes zur Umsetzung zu nutzen. Während die bereits erwähnten Gegenmaßnahmen der Europäischen Union gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen des „Helms-Burton Acts“, den Kuba-Sanktionen der USA aus 1996, auf Europa damals noch geduldet wurden, kann Europa heute wohl nicht mehr darauf setzen.
Um die Komplexität noch weiter zu steigern, gibt es aber auch solche Sanktionen, die von mehreren Staaten oder Staatengemeinschaften erlassen werden, jedoch weitestgehend auf unterschiedlichen Erwägungen basieren. So sehen sowohl die USA als auch die Europäische Union den Erlass des Hongkonger Sicherheitsgesetzes äußerst kritisch. Doch während die EU derweil noch zurückhaltend agiert und Menschenrechte im Zentrum der Erwägungen stehen, stellen die bereits umgesetzten US-Sanktionen lediglich das nächste Kapitel im seit Jahren schwelenden Wirtschaftskrieg der USA mit China dar. Wobei hier zusätzlich zu Sanktionen aufgrund der zunehmenden Einmischung Pekings in die chinesische Sonderverwaltungsregion Hongkong alle vorteilhaften Behandlungen wie Erleichterungen im Bereich der Exportkontrollen, Zoll- und Visaangelegenheiten beendet werden. Dies alles vor dem Hintergrund, dass aktuelle Statistiken mit Blick auf die jeweiligen Bruttoinlandsprodukte prognostizieren, dass sich China bis 2024 auf ca. 2.000.000 (in Milliarden US-Dollar) den USA annähern wird und der zweite Platz wohl nicht das Ziel der Entwicklung darstellt.
Angesichts der zunehmend komplexen Situation zwischen der EU und den Vereinigten Staaten hoffen letztere auf einen neuen Verbündeten, das Vereinigte Königreich. Der britische Gesetzgeber ging mittels eigener Listungen bereits früher schon über die Embargo- und Sanktionsverordnungen der EU hinaus. Bereits nach dem EU-Mitgliedschaftsreferendum 2016 wurde eine rechtliche Grundlage für die Verstärkung dieser Tendenz mit dem Sanctions and Anti-Money Laundering Act 2018 durch das Vereinigte Königreich geschaffen. Das Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich lässt den Raum für Sanktionsrecht und damit eine Annäherung an die USSanktionspolitik weiter offen.
Entspannung kaum in Sicht
Diese Spannungsfelder lassen Unternehmen jedes Mal aufs Neue eine grundlegende Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns vermissen. Die Herausforderungen für international tätige Unternehmen steigen enorm. Auch wenn es immer gut ist, eine Geschichte mit einem positiven Ende zu versehen, ist ein Ausblick auf eine Entspannung kaum in Sicht. Eine solche Erwartung wird selbst im Fall einer Veränderung des politischen Umfelds in den Vereinigten Staaten nicht – zumindest nicht unmittelbar – erwartet.