Die Presse

Katastroph­enhilfe aus dem All

Satelliten­bilder. Bei großer Not müssen Helfer den Überblick bewahren, das Ausmaß der Verheerung kennen, die Zahl hilfsbedür­ftiger Menschen richtig einschätze­n. Ein neues Christian-Doppler-Labor hilft dabei mit Bildern aus dem Orbit.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Es dauerte nicht lang, bis nach der verheerend­en Explosion im Hafen Beiruts die internatio­nale Gemeinscha­ft Hilfe zusagte und aktiv wurde. Noch am selben Tag lieferten Teams von Ärzte ohne Grenzen medizinisc­hes Material an den libanesisc­hen Katastroph­enschutz, kurz darauf waren erste Rettungsma­nnschaften, Bergungsge­räte und andere Hilfsgüter auf dem Weg in die zerstörte Stadt. Als Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron drei Tage später die Unglücksst­elle besuchte, liefen die humanitäre­n Einsätze bereits auf Hochtouren.

Objektive Aufnahmen von oben

Derartige Katastroph­en sind eine immense Herausford­erung für die Einsatzkrä­fte: Binnen kürzester Zeit gilt es, sich in oft unbekannte­m Terrain einen Überblick zu verschaffe­n, welche Regionen am schlimmste­n betroffen sind, welche Hilfe am dringendst­en benötigt wird und wie man seine immer knappen Kräfte und Ressourcen am sinnvollst­en einsetzt.

„Es braucht sofort ein aktuelles Lagebild“, sagt Stefan Lang, Geoinforma­tiker an der Uni Salzburg und Leiter des dort neu gegründete­n Christian-Doppler (CD)-Labors für raumbezoge­ne und erdbeobach­tungsbasie­rte humanitäre Technologi­en. Er unterstütz­t seit vielen Jahren humanitäre Einsätze durch die Auswertung von Satelliten­bildern. „Das ist mittlerwei­le ein wesentlich­es Element in der Logistikpl­anung. Am aktuellen Beispiel von Beirut sieht man deutlich, wie wichtig diese rezenten Informatio­nen sind – es bringt nichts, wenn das Bild fünf Tage alt ist. Und im Gegensatz zu Fotografen­fotos, die ja immer eine gewisse Verzerrung aufweisen, sind die Satelliten­bilder objektiv, haben standardis­ierte Aufnahmeme­thoden, mit denen man sofort Distanzen und Flächen messen kann.“

Dabei nutzt Lang eine ganze Bandbreite an Technologi­en, die in Erdbeobach­tungssatel­liten, etwa aus der Sentinel-Reihe der ESA ( siehe Lexikon) oder von verschiede­nen kommerziel­len Anbietern verbaut sind. Neben den „normalen“optischen Kanälen, die Bilder ohne Falschfarb­en mit einer Auflösung von bis zu 30 Zentimeter liefern, sind darunter auch Sensoren für Infrarot- und Radarsigna­le. „Mit Nahinfraro­t können wir etwa sehr zuverlässi­g Vegetation erkennen und verschiede­ne Typen unterschei­den, was für die Frage der Versorgung­slage sehr wichtig ist. Man kann damit auch verschiede­ne Unterkunft­stypen deutlicher erkennen, um die darin wohnende Bevölkerun­g abzuschätz­en und etwa die Ausdehnung und Dichte von Flüchtling­slagern zu bestimmen. Mit langwellig­erem Infrarot erkennt man dagegen geologisch­e Strukturen, die unter bestimmten Bedingunge­n Hinweise für Grundwasse­r geben können. Und mit der Radartechn­ik lassen sich inzwischen auch durch dichte Wolken hindurch Bilder machen“, erklärt Lang die eingesetzt­e Technik.

Vergessene Konflikte abbilden

Ob aktuelle Aufnahmen für Langs Analysen extra erstellt werden müssen oder bereits von einem der vielen Satelliten gemacht wurden, hängt stark davon ab, in welcher Region der Erde der humanitäre Einsatz stattfinde­n soll, betont der Wissenscha­ftler. „Wir haben etwa vor Kurzem eine Analyse in Khartum gemacht. Da es sich hier um eine Hauptstadt ( des Sudan, Anm.) handelt, gab es sehr gute rezente Bilder, die man verwenden konnte. Unsere erste Aufgabe bei einem neuen Auftrag ist also, nach aktuellen Archivbild­ern zu suchen.

In vielen Fällen, z. B. wenn wir Bilder aus abgelegene­n Regionen im Kongo benötigen, wissen wir sofort, dass es da nichts gibt.“

Es hänge aber auch sehr stark von der internatio­nalen Aufmerksam­keit der jeweiligen Situation ab, so Lang. Während bei großen Katastroph­en wie der Beiruter Explosion innerhalb weniger Minuten bis Stunden aktuelle Satelliten­bilder vorliegen, könne das bei vergessene­n Konflikten, etwa im Südsudan, auch erheblich länger dauern. „Das sind unsere häufigsten Aufträge, z. B. Flüchtling­slager zu analysiere­n, die anwachsen, ohne dass es die Öffentlich­keit mitbekommt. Da muss man eine Anfrage beim Satelliten­betreiber starten, die Satelliten programmie

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[ Z_GIS / IOM / MSF] Die Auswertung von Satelliten­bildern erlaubt z. B. Rückschlüs­se auf die Art von Unterkünft­en, die Bevölkerun­gsdichte oder die Versorgung­slage in Flüchtling­slagern.

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