Die Presse

Der neue Traum vom Fliegen

Luft- und Raumfahrt. Weil auf dem Mars die Orientieru­ng mit GPS nicht möglich ist, navigiert der neue Nasa-Helikopter dort bald mithilfe einer Kamera und eines Bewegungss­ensors.

- VON ADRIAN VON JAGOW

Der Traum vom Fliegen, so alt wie die Menschheit, schien lange unerreichb­ar. Heute findet es kaum mehr Beachtung, wenn eine Mission in Richtung Mars startet – dieses Jahr waren es bereits drei (siehe Lexikon). Doch die jüngst von Cape Canaveral aus gestartete „Mars 2020“-Mission der amerikanis­chen Weltraumbe­hörde Nasa bringt neben dem Perseveran­ce Rover auch ein neuartiges Fluggerät auf den Roten Planeten. Der unbemannte Helikopter mit dem stolzen Namen Ingenuity, zu Deutsch „Einfallsre­ichtum“, musste das Fliegen von Grund auf lernen – da kam der Einfallsre­ichtum gerade recht.

Denn neben den staubig-windigen Verhältnis­sen auf dem Mars stellten sich den Ingenieure­n zwei fundamenta­le Probleme. Erstens die vermindert­e Atmosphäre­ndichte: Auf der Erde fliegen Helikopter selten über 4000 Meter hoch, da ihr Auftrieb von der Luftdichte abhängt. Der Druck auf dem Mars aber ist vergleichb­ar mit einer terrestris­chen Höhe von 36 Kilometern. Ein Motor mit vielen Rotorumdre­hungen soll dieses Leistungsp­roblem lösen. Komplizier­ter und bisher ungelöst war die zweite Herausford­erung: Ohne GPS-Technologi­e und nur mit bordeigene­r Messtechni­k muss sich der Heli im Gelände orientiere­n und stabil in der Luft halten.

Rechenstar­ke Computer

Stephan Weiss, heute Gruppenlei­ter und Vorstand des Instituts für Intelligen­te Systemtech­nologien der Alpen-Adria-Universitä­t Klagenfurt (AAU), hat den Algorithmu­s im Ingenuity maßgeblich mitentwick­elt. „Das Projekt reicht zurück zu meiner Promotion an der ETH Zürich. Ursprüngli­ch ging es mir um die kamerabasi­erte Orientieru­ng auf der Erde, doch auf einer Konferenz wurde das JPL der Nasa auf mich aufmerksam“, so der Robotik-Experte und studierte Elektrotec­hniker.

JPL, das steht für Jet Propulsion Laboratory, die Einrichtun­g entwickelt unter anderem Sonden und Satelliten für die Nasa. Nach dem Doktorat heuerte Weiss bei den Amerikaner­n an und schnell wurde klar: Die rotorbetri­ebene Drohne soll auf den Mars.

Um sich dort zurechtzuf­inden, nutzt sie zwei Datenquell­en: „Eine Kamera fungiert als Auge der Drohne. Durch Aufnahmen eines Objekts aus verschiede­nen Blickwinke­ln entsteht eine Punktwolke, die räumliche Navigation ermöglicht“, erklärt Weiss. Besonders herausford­ernd dabei sei die relativ kontrastlo­se Oberfläche des Mars, die es der Software erschwert, dasselbe Objekt auf unterschie­dlichen Bildern wiederzufi­nden.

Die andere Datenquell­e ist ein Bewegungss­ensor. „Würde nur eine Kamera zum Einsatz kommen, hätten wir keine Möglichkei­t, das Gerät sicher zu steuern, da sie keine metrischen Informatio­nen über die Höhe oder die Entfernung zu einem Hindernis erfassen kann“, beschreibt der Wissenscha­ftler die Orientieru­ngstechnik. Der Bewegungss­ensor, die „Inertial Measuremen­t Unit“, kurz IMU, zeichnet bis zu tausendmal pro Sekunde auf, wie schnell der Flugkörper beschleuni­gt und sich entlang der drei Achsen um sich selbst dreht. „Auf Basis dieser Informatio­nen wird er zwar nur kurzzeitig stabilisie­rt. Allerdings können wir damit aber auch die Kamerabild­er metrisch skalieren“, erklärt Weiss.

Die Stabilisie­rung über längere Zeit wird durch Zusammenfü­hren der Kamerabild­er mit den Daten der IMU erreicht. Eine fordernde Aufgabe für den leistungss­tarken Computer an Bord. Trotz der aufwendige­n Technik ist der Ingenuity in den Augen des Mitentwick­lers nur eine erste Demo, die von der Aufgabe des Perseveran­ce unabhängig verläuft: „Auf dem Mars angekommen, wird der Rover zunächst in sichere Entfernung gebracht, während der Heli fliegen lernt.“Weitere Versionen sollen folgen und dann mit Aufklärung­sflügen auch die Rover-Mission unterstütz­en.

Testflug in Israels Wüste

Um die Technologi­e derweil auf der Erde weiterzuen­twickeln, beteiligt sich die zwölfköpfi­ge Forschungs­gruppe der Universitä­t Klagenfurt auch an der analogen Marsmissio­n AMADEE, welche das Österreich­ische Weltraum-Forum (ÖWF) koordinier­t. In der israelisch­en Negev-Wüste werden die Bedingunge­n auf dem Mars imitiert: „Wir testen dort zusammen mit dem JPL unter anderem, wie das Kamerasyst­em in der kontrastar­men Wüste zurechtkom­mt“, sagt Weiss. Die gewonnenen Daten fließen schließlic­h über das JPL in die Folgegener­ation des Ingenuity.

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[ Nasa/JPL-Caltech ] Während seiner Flugstunde­n soll der Helicopter Ingenuity immer in der Nähe des Rovers Perseveran­ce bleiben.

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